Hindemith, Paul

Drei frühe Stücke

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , Seite 59

PianistInnen, die sich mit Paul Hindemith beschäftigen, finden in dessen Œuvre ein stilistisch vielfältiges Angebot. Es reicht von der burschikosen, der neuen Unterhaltungsmusik US-amerikanischer Provenienz huldigenden Suite 1922 über die drei Klaviersonaten der Jahre 1935/36 bis zum konstruktiv ambitionierten Ludus tonalis von 1942, mit dem Hindemith sein in der Unterweisung im Tonsatz beschriebenes System der Tonverwandtschaften exemplifiziert. Das Werkverzeichnis des Komponisten enthält aber noch zahlreiche weitere zu Lebzeiten unveröffentlichte Klavierstücke aus der frühen Schaffensperiode, die allerdings in der Mehrzahl als „verschollen“ gelten. Erhalten haben sich drei kurze Kompositionen aus den Jahren 1921 und 1929, die in Band V, 9 (Klaviermusik I) der Hindemith-Gesamtausgabe erschienen sind und nun in einer praktischen Einzeledition vorgelegt werden.
Von diesen drei Miniaturen, die im Druckbild jeweils lediglich ein oder zwei Seiten einnehmen, erweist sich das während einer Spanien-Tournee mit dem Rebner-Quartett in ein Skizzenbuch notierte Lied von 1921 als besonders schlicht gestaltet, aber atmosphärisch wirksam: ein „langsam“ in Piano- und Pianissimo-Schattierungen vorzutragendes Stück, das im Unisono von linker und rechter Hand beginnt, sich zweistimmig auffächert und die Melodielinie dann sparsam akkordisch grundiert.
Ähnlichen Charakter hat eine neutral als Klavierstück bezeichnete, während einer Konzerttournee in Prag 1929 entstan­dene Komposition. „Sehr ruhig“ entfaltet sich deren Musik in dreiteiliger Bogenform in einer im Kern zweistimmig kontrapunktischen Anlage, die sich gelegentlich vollstimmiger erweitert. Metrik und Rhythmik wirken hier freilich weit komplexer als im pianistisch recht bescheidenen Lied.
Die im gesamten Schaffen Hindemiths immer wieder hervortretende Neigung zur Parodie lebt sich auch in der 1921 in Donaueschingen geschriebenen Berceuse aus, bei der schon die (pleonastische?) Anweisung „für Klavierpianoforte“ stutzig macht. Von einem „Schlaflied“ kann bei dieser „sehr lebhaft“ zu spielenden Komposition keine Rede sein, die sich mit gehämmerten Figuren- und Akkord-Repetitionen vom anfänglichen einfachen Forte über ein Fortefortissimo bis hin zu einem abschließenden Fortissimo possibile steigert. Ein Spiel mit falschen Erwartungen treibt Hindemith hier. Dazu passt auch bestens die humoristische Notiz des Komponisten auf der Titelseite des Autografs: „Stündlich nicht mehr als 1 Esslöffel einnehmen. – Neue, sehr verbesserte und unbedingt annehmbare Ausgabe (ungefährlich!!!!)“.
Gerhard Dietel