Fiebig, Kurt
Duo
für Klavier und Bratsche
Musik mit dem Prädikat „zu Unrecht vergessen“ ist bisweilen nicht bloß von der Geschichte übergangen, sondern auch ganz real von der Bildfläche verschwunden: So galt das vorliegende Duo für Bratsche und Klavier von Kurt Fiebig bald nach der Uraufführung 1931 als verschollen. Selbst im Nachlass des 1988 gestorbenen Komponisten war es nicht zu finden. Erst 2010 tauchte das Manuskript zufällig in einem Detmolder Antiquariat wieder auf. Nun ist es (mehr als 80 Jahre nach der Komposition) bei der Mainzer Ponticello Edition zum ersten Mal im Druck erschienen.
Fiebig ist vor allem als Komponist von Chor- und Kirchenmusik hervorgetreten. Das dreisätzige, etwa 12 Minuten lange Duo zeigt jedoch, dass er auch auf dem Gebiet der Kammermusik Bemerkenswertes leisten konnte. Es stammt vom Ende seiner Studienzeit in Berlin und wurde damals auch prompt mit dem renommierten Mendelssohn-Preis ausgezeichnet.
Stilistisch orientiert sich Fiebig hier bereits deutlich an Paul Hindemith, den er Zeit seines Lebens als Vorbild ansah. Die Bezeichnung „Sonate“ wird dabei offenbar bewusst vermieden: Tatsächlich sind zwar die traditionellen Satztypen der klassischen Sonate (Kopfsatz – langsamer Satz – Finale) noch vorhanden, die zugehörigen Formverläufe jedoch nur noch rudimentär erkennbar. Neu ist vor allem, dass sich die dichte thematische Arbeit des Stücks (die in ihrer Intensität durchaus noch an Brahms oder Reger erinnert) nicht mehr in harmonisch-prozesshaften Verläufen, sondern konsequent in linearer Kontrapunktik äußert: So wird z. B. das zweite Thema des Finales zunächst als Kanon zwischen Bratsche und Klavier eingeführt und später überraschend mit dem ersten Thema kombiniert. Im ersten Satz sind umgekehrt alle wichtigen Motive aus den jeweiligen Begleitfiguren der vorangegangenen Themen entwickelt. Und im Zentrum des Adagios steht eine Art dreistimmige Invention, deren Mittelstimme in der Viola nicht nur das Finalthema von Mozarts Jupiter-Sinfonie zitiert, sondern motivisch wiederum aus den Anfangstakten des Satzes abgeleitet ist.
Der Vergleich mit Hindemith gilt freilich auch für die technischen Anforderungen: Beide Partien sind durchweg anspruchsvoll und brauchen versierte SpielerInnen. Nicht zufällig hat Fiebig eine (allzu) hohe Stelle selbst als Ossia-Variante eine Oktave tiefer gesetzt. Dies ist nur eine von zahlreichen Informationen, die dem umfassenden kritischen Bericht zu entnehmen sind, den man sich (ein Novum im Verlagswesen) bei Interesse direkt von der Ponticello-Website herunterladen kann.
Auch ansonsten ist die Edition von Claus Woschenko äußerst gründlich und detailgenau. Allenfalls im Notenbild hätte man sich hier und da ein paar kleine Änderungen gewünscht (einheitlichere Taktbreiten, zusätzliche Vorzeichen, keine gestrichelten Crescendo-Balken). Das soll jedoch den vorbildlichen Gesamteindruck nicht schmälern.
Joachim Schwarz