© Svenja Diste

Diste, Svenja

„Each one teach one“

Das „digi MusicLab“ in Münster öffnet allen Interessierten die Türen zur digitalen Musik

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 28

Kaum eine andere Bildungs- oder Kultureinrichtung hat so viele und diverse direkte Kontakte mit Bürgerinnen und Bürgern aller Generationen und Lebensbereiche wie die Bibliothek. Sie ist für viele Menschen der teilhabeorientierte Mittelpunkt in der Stadt – und das nicht nur für die Ausleihe von Medien, sondern auch als Begegnungs- und Verweilort. Zeit für innovative Ideen, kreative Formate und neue Kooperationen. Zeit, nicht nur Ort der Stille, sondern auch laut zu sein. Mit einem innovativen Projekt rücken die Stadtbücherei Münster, die Westfälische Schule für Musik und das Musiklabel „Trust in Wax“ die digitale Musik in den Fokus – in einem offenen Musiklabor.

Musik mit all ihren Klängen, Tönen, Geräuschen und Bibliotheken, die als ruhige Orte des Lernens und des Schmökerns in Büchern bekannt sind: Wie passt das zusammen? Bibliotheken befinden sich im ständigen Wandel, immer bereit, neue Gegebenheiten, Technologien und Trends auszuprobieren, zu experimentieren und neue Wege zu beschreiten. So sind sie schon lange nicht mehr ausschließlich Orte der Stille, an denen außer dem Rascheln der Buchseiten kein Ton zu hören ist und das Bibliothekspersonal mit dem Finger an den Lippen zur Ruhe mahnt. Bibliotheken sind viel mehr: Sie bieten Raum für Austausch, Aktivität, Kreativität und Veranstaltungen – mal im Großen, mal im Kleinen; mal laut, mal leise. Und so findet auch die Musik Einzug in die öffentlichen Büchereien.
Die Stadtbücherei Münster ist im besten Sinne öffentlich: Sie ist verlässliche Partnerin in der Stadtgesellschaft und realisiert niederschwellig und konsumfrei seriöse Informationsvermittlung, bietet Wissen und Kultur. Sie unterstützt beim Erwerb digitaler und analoger Medienkompetenz und bietet zugleich einen Ort, der kulturelle, soziale und digitale Teilhabe ermöglicht. Das ist nicht nur Kerngeschäft der Bücherei, sondern ihre zivilgesellschaftliche Aufgabe, verankert im Bibliotheksstärkungs­gesetz.1 Ihre Aufgabe im Bereich digitaler Medien geht dabei über die Bereitstellung digitaler Endgeräte weit hinaus. Mutige Konzepte sind gefragt, innovative Ideen und ganz neue Partnerschaften.

FabLabs und Makerspaces

Denkt man die mutigen Konzepte, innovativen Ideen und neuen Partnerschaften weiter, dann wird man sich als Bücherei mit den Konzepten der FabLabs, Creative Labs oder Makerspaces beschäftigen. Ein FabLab (engl. fabrication & laboratory) – auch: Makerspace/CreativeLab – ist eine Werkstatt, in der im Do-it-yourself-Prinzip eigene Ideen in die Tat umgesetzt werden können. Der Zugang ist offen, sodass es jeder und jedem ermöglicht wird, die dort vorhandenen Ressourcen (Geräte, Maschinen etc.) zu nutzen und das benötigte Wissen zu erhalten. Die Schwerpunkte der Labs variieren.
In diesem Feld kann die Stadtbücherei die technische und räumliche Infrastruktur stellen und als Vermittlerin Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu werden. Interessierte Kunst- und Kulturschaffende können nicht nur Veranstaltungen besuchen, sondern auch selbst Veranstaltungen konzipieren, organisieren und durchführen. Die neuen Kreativräume dienen vor allem auch der Vernetzung. Man tüftelt nicht mehr alleine im Verborgenen vor sich hin, sondern experimentiert gemeinschaftlich im öffentlichen Raum mit neuen Techniken, tauscht Erfahrungen aus und findet Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
So wird die Bibliothek zu einem Ort, an dem der Gedanke des „each one teach one“ gemeinsam gelebt werden kann. In Makerspaces wird außerdem Know-how außerhalb des regulären Bildungssystems vermittelt und trägt damit zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit bei. Die Herausforderung besteht darin, in einem dynamischen, sich ständig weiterentwickelnden Prozess die Interessen der Bürgerinnen und Bürger aufzugreifen und flexibel darauf zu reagieren.
Gerade im musikalischen Bereich gibt es bereits erste Erfahrungen mit musikalischen Kreativangeboten. So waren das „Scratch-Café – Wie werde ich eigentlich DJ?“, die interaktive Ausstellung „Mein Musikzimmer“ oder „Samplings – aus Musikschnipseln entsteht neue Musik“ bereits erfolgreiche Veranstaltungsformate in der Stadt­bücherei und verwandelten diese in einen Ort des Musizierens.

Gemeinsam aktiv im „digi MusicLab“

Mit diesen Aspekten im Blick beschreitet die Stadtbücherei Münster seit Juli 2020 einen neuen Weg und wendet sich mit dem digi MusicLab dem Themengebiet der digital produzierten Musik zu. Musik bringt Generationen zusammen, ruft Emotionen hervor und wird zur Brücke zwischen Menschen, wenn Unterschiede in Sprache, Kultur oder Religion Begegnungen schwieriger machen. Dazu haben sich die Stadtbücherei Münster, die Westfälische Schule für Musik sowie das Münsteraner Künstlerkollektiv und Musiklabel „Trust in Wax“ zu einer einzigartigen Kooperation zusammengeschlossen und das digi MusicLab als digitales Musiklabor ins Leben gerufen.
Die Erfahrungen und Einschätzungen der beteiligten Kooperationspartner verdeutlichten im Vorfeld, dass der Bereich des digitalen Musikmachens und Experimentierens in Münster noch sehr ausbaufähig ist. Aktuell gibt es keinen Raum in der Stadt, der den hier angedachten professionellen und gleichzeitig niedrigschwelligen Charakter besitzt. Diese Lücke möchte das digi MusicLab schließen. Die Stadtbücherei Münster stellt den Nutzerinnen und Nutzern mit dem digi MusicLab eine technische und räumliche Infrastruktur zur Verfügung2 und bietet ihnen die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden – sei es als Besucherin oder Besucher eines Vortrags oder aber als Leiterin oder Leiter eines Workshops, um die eigene Begeisterung für ein Thema mit anderen Menschen zu teilen oder sich über Gelerntes auszutauschen.
Durch das digi MusicLab entstehen Krea­tivorte (z. B. Tonstudios oder Probenräume) in der Bücherei, in der Musikschule, im öffentlichen oder virtuellen Raum, um digital zu experimentieren, Musik zu schaffen und sich über Musik auszutauschen. Das digi MusicLab möchte vor allem das Thema „digitale Musik“ in den Fokus rücken. Das heißt allerdings nicht, dass klassische Musikinstrumente wie Gitarre oder Klavier gänzlich verbannt werden. Es geht vielmehr darum, mit der Hard- und Software zu experimentieren, Technik und Musik zu kombinieren, mit der Musik zu spielen und Neues auszuprobieren. Diese Kreativ­orte laden dazu ein, gemeinsam an Projekten zu arbeiten, sich auszutauschen und zu vernetzen. So erweitert das digi MusicLab das Konzept der Bibliothek als „Dritten Ort“: ein Treffpunkt, der leicht zugänglich und einladend ist, der ein informelles Zusammensein ermöglicht und an dem sich jede und jeder aufhalten und mit anderen ins Gespräch kommen kann.

Zentrale Anlaufstelle und mobiles Equipment

Das Projekt ist ein offener und dynamischer Prozess für Partnerinnen und Partner sowie Teilnehmende: Formate und Veran­stal­tungs­orte variieren und können den aktuellen Anforderungen, Interessen und Entwicklungen angepasst werden. Geplant ist, für das Musiklabor einen neuen zentralen Ort in Münsters Innenstadt einzurichten, um noch mehr Raum und Möglichkeiten für das digitale Musizieren zu schaffen. So soll dort unter anderem ein professionelles Ton­studio entstehen sowie eine gemüt­liche Leseecke mit Noten, Partituren und musikbezogener Literatur ausgestattet werden. Damit wird die Verbindung zwischen digitalen und analogen (Bücherei-) Medien geschaffen.
Die Einrichtung dieses zentralen Ortes bedeutet aber nicht, dass ausschließlich dort Veranstaltungen stattfinden werden; genutzt werden auch weiterhin die Räume der Stadtbücherei und der Musikschule. Das digi MusicLab wird sich mit Workshops und weiteren Mitmachaktionen im gesamten Stadtgebiet Münsters wiederfinden – möglich machen das die Stadtteilbüchereien, die ein wichtiger Bestandteil der Stadtbücherei Münster sind. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung, denn bei 312000 Einwohnern und 45 Stadtteilen gilt es, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich aufhalten. Mobiles Equipment ist hier gefragt.
Der Zugang zum Musiklabor soll möglichst niederschwellig sein, sodass jede Bürgerin und jeder Bürger sich dort ausprobieren kann. Zwar zielt das digi MusicLab vor allem auf Jugendliche und junge Erwachsene, aber da die Stadtbücherei Münster von einem sehr heterogenen Publikum besucht wird, setzt sie auch im Musiklabor beim Alter keine festen Grenzen.3 Jede musikinteressierte Person ist herzlich willkommen. Oftmals sind es sogar die (Alters-)Unterschiede der Teilnehmenden, die die spannendsten Diskussionen und musikalischen Ergebnisse hervorrufen. Schließlich kann es sehr interessant sein, die eigene Lieblingsplatte aus den siebziger Jahren nach einer gemeinsamen Mixing-Session an den Turn­tables einmal neu interpretiert zu hören.
Im digi MusicLab entsteht Musik als verbindende Kraft, als generationsübergreifendes Medium, als Bildungsangebot für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, als interkulturelle und intergenerative Brücke zwischen Menschen, die wahrscheinlich sonst nie zusammenkommen würden. Jede und jeder Teilnehmende kann außerdem Wünsche für Workshops vorbringen oder selbst Veranstaltungen durchführen.

Erste Erfahrungen

Das digi MusicLab hat sich durch Corona zwar ein wenig abbremsen, aber nicht ausbremsen lassen. Im Juli 2020 gestartet, gab es bereits in den Sommerferien die ersten Veranstaltungen, die von den Münsteranern sehr gut angenommen wurden. Zur Sprechstunde „120 Minuten, 2 Producer“ kamen die Teilnehmenden, um Hilfe bei der Fertigstellung ihres „work in progress“ – z. B. Songentwürfe, Beats und Mixingsessions – zu erhalten. Im „Crashkurs Ableton“ bekamen die Interessierten einen Einblick, wie mit Hilfe von Computer und speziellen Controllern digitale Musik gebastelt wird. Dass Musik auch im Verbund mit anderen Künsten wirkt, zeigt sich im Musiklabor beispielsweise bei der Produktion eigener Musikvideos und dem Erlernen der Technik, die dahintersteckt.

Eine starke Zusammenarbeit

Eine große Rolle bei der Erstellung und Durchführung der Veranstaltungen spielen die Kooperationspartner der Stadtbücherei Münster – die Westfälische Schule für Musik und das Musiklabel „Trust in Wax“ –, die sowohl Expertinnen und Experten unterschiedlicher musikalischer Bereiche sind, als auch musikpädagogisches Wissen und viel Erfahrung mitbringen. Ihre Verankerung in der Musikszene Münsters stärkt außerdem das Vertrauen in die Professionalität des Angebots digi MusicLab. Durch das Zusammenspiel der Kompetenzen der einzelnen Kooperationspartner konnte ein innovatives und starkes Angebot geschaffen werden.
Zukünftig werden außerdem noch weitere Akteurinnen und Akteure aus dem digitalen und künstlerischen Bereich an dem Projekt mitwirken. Es sind nicht nur Musikerinnen und Musiker gefragt, sondern beispielweise auch Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Coverdesign auskennen, oder Kreative, die zeigen wollen, wie man den Social-Media-Kanal für die eigene Band gestaltet. Die Veranstaltungen im digi MusicLab sollen also nicht nur den Bereich Musik abdecken, sondern auch weitere künstlerische Aspekte und digitale Möglichkeiten einbeziehen.
Das digi MusicLab4 möchte neue Wege gehen, offen sein, vielfältige Ideen ausprobieren und zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern und den Partnerinnen und Partnern wachsen und sich entwickeln. Getragen wird das Projekt von der Begeisterung für Musik und gemeinsames Musizieren.

1 GV.NRW. – 2019, 25: Gesetz zur Stärkung der kulturellen Funktion der Öffentlichen Bibliotheken und ihrer Öffnung am Sonntag (Bibliotheksstärkungsgesetz): „Die öffentlichen Bibliotheken sind nach Maßgabe der Bestimmungen ihres Trägers Orte der Kultur. Insofern dienen sie
– 1. dem Informationszugang und lebenslangen Lernen,
– 2. der Begegnung, Kommunikation, dem kulturellen Austausch und der gesellschaftlichen Integration,
– 3. der Leseförderung sowie der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz,
– 4. der Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung sowie
– 5. der demokratischen Willensbildung und gleich­berechtigten Teilhabe, insbesondere durch ein vielfältiges Presseangebot.“
2 Angeschafft wurden z. B. Laptops, Mikros und Kopfhörer, Ableton Push, entsprechende Software, Video-Equipment, Field Recorder etc.
3 Bei der Bewerbung der Veranstaltungen werden die Altersangaben offen angegeben, z. B. ab 16 Jahren.
4 Das digi MusicLab wird gefördert innerhalb des Programms „hochdrei – Stadtbibliotheken ver­ändern“ der Kulturstiftung des Bundes. Dieses Förderprogramm stärkt Stadtbibliotheken in ihrer Rolle als kooperationsfreudige und teilhabeorientierte Kulturorte.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2021.