Marotzke, Luisa / Tatjana Merzyn

Ein gelbes Haus voller Musik

Das soziale Musikprojekt ARPEGIO in Peru eröffnet Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2011 , Seite 48

“Materielle Armut kann nur mit ­geistigem Reichtum bekämpft werden”, so José Antonio Abreu, Gründer von “El Sistema” in Venezuela. Das peruanische Musikprojekt ARPEGIO ermöglicht Kindern und Jugend­lichen eine umfassende Musikaus­bildung und hilft ihnen im Kampf gegen Armut und häusliche Gewalt.

Geht man wochentags die Straße Nicolás Rebaza in der peruanischen Küstenstadt Trujillo entlang, hört man schon von Weitem aus einem gelben Haus mit geschwungenen Fens­tern Musik ertönen. Wenn man näher kommt, kann man beobachten, wie Kinder und Jugendliche mit Geigen- und Cellokästen oder Klarinettenkoffern auf dieses Haus zustreben. Sie alle wollen zur Musikschule ARPEGIO.
ARPEGIO ist in Peru eine außergewöhnliche Einrichtung. Zwar gibt es einige Musikschulen, doch sind diese – anders als ARPEGIO – zumeist der reichen Oberschicht vorbehalten. Inspiriert vom venezolanischen Vorbild „El Sistema“ gründeten die Brüder Joe und Diego Rodríguez 2004 die „Asociación Cultural ARPEGIO“ mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft Instrumentalunterricht zu ermöglichen. Die Beschäftigung mit Musik soll sie in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Ausdrucksfähigkeit stärken.

Viel mehr als eine Musikschule

Am Anfang stießen die beiden Brüder bei einigen Eltern – besonders in den ärmeren Vierteln – auf viel Unverständnis. Die Eltern, die jeden Tag darum kämpfen müssen, genug Geld für die nächste Woche zu haben, sahen zunächst wenig Sinn darin, ihr Kind zu einem Musikprojekt zu schicken. Während der Gründungsphase mussten die Initiatoren daher viel Überzeugungsarbeit leisten. Erschwerend kam hinzu, dass die räumliche und finanzielle Ausstattung zu Beginn sehr dürftig war. Zunächst standen nur Plastikblockflöten zur Verfügung, auf denen die Kinder in großen Gruppen in den Randvierteln Trujillos unterrichtet wurden. Erst nach einigen Monaten hat ARPEGIO durch eine Spende Orchesterinstrumente erwerben können, sodass nach und nach alle Kinder auf diese umsteigen und im weiteren Verlauf erste Erfahrungen im Gruppen- und Orchesterspiel sammeln konnten. Wenig später wurde das „Orquesta de Barro“ gegründet.
Bis zum heutigen Tag hat sich vieles verändert: Inzwischen nutzen mehr als 300 Kinder und Jugendliche das Angebot von ARPEGIO. Im Zentrum Trujillos wurde das „Gelbe Haus“ zu einer großen Musikschule ausgebaut. Es gibt rund zehn Unterrichtsräume für den Einzel- und den Kammermusikunterricht, aber auch einen großen Probensaal für die beiden Orchester und die regelmäßigen Schülervorspiele. Viele der SchülerInnen kommen täglich hierher, um zu üben und gemeinsam zu proben. Die Musikschule ist aber nicht nur ein Ort des Unterrichtens, sondern auch ein Ort der Begegnung und des sozialen Rückhalts. Es gibt eine Sozialarbeiterin, die stets ein offenes Ohr für Kinder und Eltern hat. So geht die tatsächliche Arbeit ARPEGIOs weit über die einer gewöhnlichen Musikschule hinaus.
Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Orchesterarbeit. In den Orchestern begegnen sich Kinder und Jugendliche aller gesellschaftlichen Schichten auf Augenhöhe. Beim gemeinsamen Musizieren lernen sie aufei­nander zu hören, miteinander zu spielen und diszipliniert zu arbeiten. Im Orchester muss man sich mit seiner Stimme innerhalb der Gruppe immer wieder über- und unterordnen, mal solistisch hervortreten, um dann wieder Begleitfunktion zu übernehmen. Es geht ARPEGIO nicht darum, Einzelkämpfer auf dem Instrument auszubilden, sondern viel mehr darum, in der Orchestergemeinschaft Verantwortungsbewusstsein, Teamgeist und Respekt zu fördern. Die gemeinsamen Konzerte und Reisen motivieren die SchülerInnen zusätzlich, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Das rund 50-köpfige „Orquesta de Barro“ gibt fast jeden Monat Konzerte in Trujillo und in anderen peruanischen Städten. Auch die Kammermusikensembles konzertieren regelmäßig.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2011.