Rüdiger, Wolfgang

Ein Ohrenschmaus

Das Klavierstück „Rührei“ von Gilead Mishory aus dem Zyklus „Oma, Opa & Ich. 19 Kinderstücke für Klavier“

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2025 , Seite 46

Ein beharrlich wiederholtes Fünf-Achtel-Motiv in der linken Hand, locker angerührt als Fingerkreisel 4-3-5-2-1 im „lustigen“ Staccato und fast spiegelsymmetrisch: g-(a)-fis-cis’ -d’: Dies ist die Grundfigur von Gilead Mishorys kleinem Klavierstück Rührei. Nicht einmal eine Minute lang; und doch ein Fass – oder sollen wir sagen: eine Pfanne – voller Themen: Opa und Enkel, Kochen als Klangkunst, Fest und Vermischung der Sinne, Tasten, Hören, Riechen, Schmecken, Sehen in eins…
Was ist das für ein Motiv, dies quirlige Ostinato? Titel Rührei – ach ja, das schlägt man, bevor Eigelb und Eiweiß gut vermischt in die heiße Pfanne kommen. Genau das hat Mi­shory komponiert. Des geliebten Großvaters „goldene Rührei-Regel“ – 100-mal mit der Gabel schlagen – ist hier in Musik übertragen: elf Takte Ostinato links – man hört gleichsam die Gabel im Glas schlagen –, ab T. 12 rechts im Sieben-Achtel-Takt (g und a als Viertel), tonal etwas „verquirlt“ (gis’ statt g’ T. 14), mit „gewürzten“ Offbeats links und einem lustigen Liedchen auf den Lippen (g’-a’ … h’-g’-a’).
Vorher aber, in T. 5-8, über der Ostinatofigur: ah und oh, ein „Duft-Akkord!“ rechts, chromatischer Cluster fis’-g’-as’-a’, Lufthauch mehr als Klang, mit Fingern in Tuchfühlung und geweiteten Nasenflügeln vier Mal leise angeschlagen und gehalten: Tenuto als krasser Gegensatz zum Staccato. In T. 19-20 taucht der Duftklang etwas dunkler links wieder auf und schwebt zum Schluss alleine hell und heiter eine Oktave höher in der Luft, sodass das Stück quasi mit der Nase endet: Gehör, Gefühl, Geruchssinn und Geschmack vereint, bevor mit tiefem D ein Schlusspunkt gesetzt wird – zu Tisch bitte!

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