Krause, Andreas
Ein Renner der Violinliteratur
Fingersatzvarianten und Interpretationsvergleiche als Hilfen für die Einstudierung von Bruchs Violinkonzert
Noch immer ist das Violinkonzert g-Moll op. 26 von Max Bruch der Einstieg für junge Geigerinnen und Geiger ins große Konzertrepertoire – nach den „Schülerkonzerten“ von Rieding, Seitz, Accolay und, dieser Kategorie teils entwachsen, Auguste de Bériot. Der Grund für diese Bevorzugung mag vor allem in der Kompaktheit des als „Vorspiel“ betitelten Kopfsatzes liegen, der eine Mischung aus freier Fantasie und Sonatenhauptsatzform darstellt.
Nach einer kurzen Eingangskadenz, die formal Beethovens und Schumanns Vorbild (zu beobachten in deren Klavierkonzerten, nicht in deren Violinkonzerten) folgt, wird nicht nur, wie in Mendelssohns Violinkonzert, die Tutti-Exposition ausgespart, sondern nach der regelkonformen Vorstellung zweier kontrastierender Themen durch den Solisten und einem Durchführungsteil auch die Reprise ausgelassen. Ein ausgedehntes „Mitteltutti“ erscheint hier nach (nicht wie im klassischen Konzert vor) dem Durchführungsteil, es federt die Auslassung der Reprise tonal durch ausgiebige Betonung der Moll-Tonika ab und ist aus Gründen der Klangproportion zwischen Solist und Orchester unverzichtbar (wobei man es beim Korrepetieren mit Klavier ohne erkennbaren Substanzverlust auf ein furioses g-Moll-Arpeggio verkürzen kann). Nur kurz wird durch die variiert wiederholte, tonal aber ausweichende Kadenz an den Beginn erinnert.
Bei der Einstudierung entfällt so die lästige Pflicht, alles nochmals in einer anderen Tonart zu lernen, und bei den beiden harschen Dreiklangsstellen (Takte 34-36 und 83-85) darf es auch schon mal „kratzen“, was vor allem den in den meisten Geigenklassen zunehmend seltenen männlichen Nachwuchs – oft mehr am sportiven Ausprobieren interessiert – zusätzlich für dieses Stück begeistern kann.
Nach einer kurzen Überleitung des Orchesters folgt attacca sogleich der ausgedehnte, durch zahlreiche b-Tonarten wandernde Adagio-Satz, vielleicht der melodie- und klangseligste Mittelsatz eines Violinkonzerts, der je komponiert wurde. Wiederum attacca folgt ein ausgelassenes und spielfreudiges Rondofinale in der (durch Auslassung der Kopfsatzreprise bislang vorenthaltenen) Dur-Tonika. In seinen Terz-, Sext- und Dezimen-Doppelgriffen ist dieses Finale nicht unheikel, doch entspricht dies dem durch Studium der ersten beiden Sätze zu erwartenden Fortschritt. Mit den verminderten und chromatischen Arpeggien und Läufen des Kopfsatzes ist so das vollständige Flesch-Rüstzeug auf bemerkenswert kurzer Distanz versammelt: Da weitere Kadenzen des Solisten nicht vorgesehen sind, liegt die Spieldauer aller drei Sätze zusammen bei nicht mehr als ca. 24 Minuten – kaum mehr als die Dauer allein des Kopfsatzes in den Violinkonzerten von Beethoven und Brahms.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2009.