Gutzeit, Reinhart von / Karin Nohr
Eine sehr persönliche Beziehung
Wie Instrument und Persönlichkeit einander finden und prägen
Die Wahl eines Instruments ist für MusikerInnen der Auftakt einer oft langjährigen Beziehung. Doch wie werden Instrumente erwählt? Wie empfinden MusikerInnen ihre Bindung zum Instrument? Und was sagt die Instrumentenwahl über ihre Persönlichkeit aus? Reinhart von Gutzeit im Gespräch mit Karin Nohr, Psychoanalytikerin und Autorin der Studie “Der Musiker und sein Instrument”.
Frau Nohr, in Ihrem Buch „Der Musiker und sein Instrument“ vergleichen Sie die Erstbegegnung eines Kindes mit seinem Instrument mit der oft so bedeutsamen Erstbegegnung zweier Menschen. Ist dies eine Wahrnehmung vor allem mit dem Blick auf sehr erfolgreiche Musiker, für die jene Begegnung schicksalhaft wurde, oder auch übertragbar auf „normale“ Fälle?
Wenn man als Kind von den Eltern – gut gemeint als Bildungsangebot – ein Instrument angeboten bekommt, zum Beispiel eine Blockflöte, wird man es als Jugendlicher meist ablehnen, entweder direkt oder indirekt durch Vernachlässigung des Übens, und im guten Fall sich ein neues, „passendes“ Instrument suchen. Warum? Weil das Kind die Flöte und das Üben als „aufgedrückt“ empfand, als „fremd“, „nicht für es speziell ausgesucht“, als „Elternwille“. Das kommt häufig so oder so ähnlich vor.
Man sieht an diesem Beispiel, wie in die zeitweilige Übernahme eines Instruments sich ein „Beziehungselement“ hineinmischt; eine Anmutung von Unfreiwilligkeit und Anpassung hineinwirkt, die nicht folgenlos bleibt. Am Instrument wird etwas ausgelebt, was mit dem Instrument als solchem zunächst einmal wenig zu tun hat. Mit dem Angebot werden dem Kind eben unweigerlich Wünsche und Forderungen der Eltern überreicht, auch wenn dies gar nicht gesagt wird. Manchmal gelingt es dem Kind, aus dem „Beziehungsangebot“ etwas zu machen; doch braucht es hierzu hilfreiche flankierende Begleiterscheinungen wie eine gute Beziehung zum Instrumentallehrer oder eine motivierende musikalische Situation durch ein Ensemble mit Gleichaltrigen.
In der Tat werden Kindern Instrumente häufig „zugeteilt“ – vor allem von ihren Eltern oder von der Musikschule. Aber doch nicht immer…
Ein anderer Auftakt, der auch ein Beziehungsauftakt ist, liegt vor, wenn sich ein Kind, Jugendlicher oder Erwachsener aus eigenem Wunsch einem Musikinstrument zuwendet. Es wird als „passend“ zur Identität des Spielers gewählt, erlebt und zunächst positiv besetzt. So wie ein Verliebter ja auch die Erwählte in rosarot sieht. Daraus folgt aber nicht automatisch, dass das Instrument, das zunächst eine mehr narzisstische Funktion der Selbst-Bereicherung oder Selbst-Ergänzung ausübt, wirklich zu einem „Gegenüber“ wird.
Wie in einer menschlichen Beziehung muss man sich am Instrument abarbeiten, sowohl an dessen „Körper“ mit seinen gegebenen Schwierigkeiten oder Sperrigkeiten als auch an dem, was man selbst an Anforderungen und Wünschen an das eigene Selbst in diesen Instrumentenkörper hineinprojiziert: ein unweigerlich ablaufender, herausfordernder Vorgang. Das hoch positiv besetzte Klavier kann dann immer wieder zu einem zähnefletschenden Monster werden, dem man nicht den eigenen Willen aufdrücken kann, oder zu einem Guru, dem man nie genügt etc. Wenn es nicht gelingt, diese projektiven Vorgänge produktiv zu bearbeiten, wird das Instrument nie zu einem förderlichen Begleiter oder Partner, ganz ähnlich wie in einer Ehe oder Partnerschaft.
Sie beschreiben, dass auch familiäre Beziehungen – zu den Eltern, zu den Geschwistern – im Sinne von Identifikation bzw. Abgrenzung bei der Instrumentenwahl eine wichtige Rolle spielen.
Ja, und das ist nicht nur bei Gidon Kremer so (beide Eltern Geiger), sondern überall. Dabei spielt vielerlei mit, das ich nur andeuten kann: bei einem Einzelkind die Nähe zu dem einen oder die dadurch mögliche Abgrenzung von dem anderen, meist dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. So kann die Tochter das Klavier auswählen, das der Vater gern gespielt hätte oder spielt, nicht weil das Klavier primär als so toll empfunden wird, sondern weil dadurch eine Nähe ausgedrückt und gelebt werden kann; das Geigenangebot der selbst geigenden Mutter oder der Mutter, die so gern Geige gelernt hätte, wird per Klavier ausgeschlagen, damit sich die Tochter vor dem Zuviel, das sie in dem Mutterwunsch deutlich spürt, schützen kann. Manchmal wird auch die Identifikation mit Selbstaspekten aus der Großelterngeneration gesucht, um sich von beiden Eltern und deren ausgesprochenen oder unausgesprochenen Wünschen und dem damit verbundenen Druck abgrenzen zu können.
Bei Geschwistern ist es häufig so, dass jüngere Kinder den älteren nacheifern und sie oft schnell übertreffen, was gar nichts mit einem mehr an Begabung zu tun haben muss, sondern der Intensität des Wunschs entspringt, in die (vermutete, nicht unbedingt tatsächliche) narzisstische Position des älteren Geschwisters bei den Eltern treten zu können. Was nie gelingen kann. Im Feld der Identifikationen sind schier unendliche Möglichkeiten gegeben, da Kinder auch an nahe oder sogar ferner stehende Andere ihre Identifikationswünsche herantragen. „So sein wie“ – dieser Wunsch enthält ein starkes Antriebspotenzial, da darin für den sich Identifizierenden oder oft auch idealisierenden jungen Menschen eine Art Verheißung mitschwingt: Wenn ich so bin wie…, wenn ich so gut Trompete spiele wie… – dann werde ich geliebt, werde ich bewundert, werde ich gesehen, werde ich beachtet.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2013.