Dahlhaus, Bernd

Einzigartig. Wertvoll.

Instrumentalpädagogische Profile. Teil I: Was mich als Instrumentalpädagoge auszeichnet

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 09

Idee und Nutzen

Das satirische Internet-Nachrichtenportal „Dummerang“ meldete vor einiger Zeit, dass der Technologiekonzern Apple ein „fahrzeugloses Auto“ zu bauen beabsichtige.1 Diese Meldung ironisiert gekonnt die Marketingstrategien der Digitalindustrie. Genauso wenig, wie die konkrete Realisierung des angekündigten Produkts in der Praxis vorstellbar ist (zumindest nach heutigen Maßstäben), ist in der Übertragung der Formulierung des „fahrzeuglosen Autos“ auf unser Thema die Existenz eines „profillosen Instrumentalpädagogen“ denkbar. Selbstverständlich lassen sich bei jedem Instrumentallehrer bestimmte Merkmale – Fähigkeiten, Eigenschaften, Interessen – in den Fokus nehmen, die ihn sowohl als Inst­­rumentalpädagogen auszeichnen als auch auf seine Einzigartigkeit verweisen. Allerdings ist nach meiner Beobachtung der Bewusstseins- und Reflexionsgrad über das eigene Berufsprofil unter den KollegInnen unterschiedlich stark ausgeprägt.
Unter „instrumentalpädagogischem Berufs­profil“ verstehe ich die Selbstbeschreibung dessen, was einen Instrumentalpädagogen in seinen beruflichen Tätigkeiten, Neigungen, Fähigkeiten, Eigenschaften, Bedürfnissen, Werten und Überzeugungen auszeichnet.2 Da sich diese im Lauf des Berufslebens auch verändern (können), handelt es sich bei der Formulierung eines Berufsprofils nicht um etwas Statisches und Abgeschlossenes, sondern um eine Momentaufnahme in einem kontinuierlichen Prozess der Selbstreflexion.
Bereits vor über 2000 Jahren betrachteten die Stoiker die Selbsterkenntnis als Weg für den Menschen, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben, wobei mit „Natur“ die des Menschen selbst wie auch seine damit in Wechselwirkung stehende Umwelt gemeint war. Übertragen auf unser Thema kann dieser Gedanke so verstanden werden, dass ein klares Wissen über das eigene instrumentalpädagogische Profil eine günstigere „Passung“ von Person und Arbeitskontext ermöglichen kann. Beispiele hierfür sind die individuelle Zielgruppenausrichtung eines Lehrers, der von sich weiß, dass er erfolgreich (nur) mit Erwachsenen (und vielleicht nur in Gruppen) arbeiten kann, oder die Klavierlehrerin, der Selbstbestimmung als Wert so wichtig ist, dass sie die freiberufliche Tätigkeit einer weisungsgebundenen TVöD-Anstellung vorzieht (auch wenn sich dadurch möglicherweise andere Herausforderungen ergeben).
In beiden Beispielen wird deutlich, dass eine persönliche Profilierung letztlich immer eine Wahl ist, die auf bisherigen, subjektiv-bestätigenden Erfahrungen beruht. Lege ich mich fest, nur Erwachsene zu unterrichten, weil ich dies für eine meiner Stärken halte, vermeide ich dadurch gleich­zeitig, mich auf ungewohnte Erfahrungs­situationen einzulassen und dadurch neue Fähigkeiten zu lernen, indem ich beispielsweise mit (behinderten) Kindern arbeite.
Auch der persönliche Unterrichtsstil und das Unterrichtskonzept können als „Passung“ von Person und didaktisch-methodischen Wahlentscheidungen verstanden wer­den, wenn z. B. eine Kollegin mit der Solmisationsmethode arbeitet, weil ihr diese „liegt“.
Als Orientierungshilfe für mich selbst und andere hat ein klares Berufsprofil erfahrungsgemäß vielfältige nützliche Auswirkungen. Hierzu gehören:
– ein besseres Stimmigkeitsgefühl mit sich selbst: mehr Sicherheit im Selbsterleben, mehr (Selbst-)Zufriedenheit und Sinnerleben in den Tätigkeiten, dadurch ein gestärktes fachliches Selbstbewusstsein;
– eine deutlichere Klarheit in der Wahl der Tätigkeiten, z. B. in Bezug auf Unterrichtsfächer, Einsatzgebiete, Schülerzielgruppen… (man macht mehr von dem, was man gerne tut);
– eine größere Überzeugungskraft in Gesprächen mit SchülerInnen, deren Eltern, KollegInnen und Vorgesetzten;
– insgesamt eine für Körper, Geist und Seele „gesündere“ Ausübung des Berufs.
Des Weiteren:
– eine bessere Erkennbarkeit für andere auf dem „instrumentalpädagogischen Markt“ (An­bieter, Mitwettbewerber, Kunden);
– eine leichtere Positionierung als ExpertIn für bestimmte Unterrichtsinhalte oder Arbeitsweisen (Alleinstellungsmerkmal im Rahmen des Selbstmarketings), dadurch Wertsteigerung auf dem „instrumentalpädagogischen Markt“.
Konkrete praktische Anlässe außerhalb des Unterrichts sind:
– Bewerbung bzw. Vorstellungsgespräch,
– Informationsgespräche mit (erwachsenen) Unterrichtsinteressenten,
– (Kennenlern-)Gespräche auf Kongressen und Fortbildungen sowie
– die Selbstdarstellung der Person und der Tätigkeit in Werbematerialien oder auf der eigenen Internetseite.

Drei Profilbeschreibungen

Im Rahmen meiner Recherchen für diesen Beitrag habe ich mehrere KollegInnen gebeten, ihr instrumentalpädagogisches Profil in knapper Form zu beschreiben. Hier eine Auswahl:

1. Ulrike Höffkes: Studium IP und Orchester in Detmold und Berlin, seit 1981 an der Musik- und Kunstschule Duisburg sowie freischaffende Flötistin.
„Aufgewachsen in einem musikalischen Umfeld empfinde ich es als völlig unverzichtbaren Teil meines Lebens, Musik zu erleben (aktiv oder passiv). Als Instrumen­talpädagogin für Flöte versuche ich, genau das zu vermitteln und erlebbar zu machen: Musizieren und Musik hören als großartige, elementare Lebensbereicherung.
Ansatz, Technik, Atmung, Haltung, Artikulation, Sinn für Metrum und Betonung – das alles möchte ich optimal, das heißt im Rahmen der Möglichkeiten jeder Schülerin erarbeiten; aber das Ziel ist, ,flötisch‘ zu reden, musikalisch zu sprechen und Empfindungen auszudrücken. ,Spiel so, dass man merkt, wo die Musik hin will‘ – egal, ob es sich um eine Improvisation, ein klassisches Stück oder einen Popsong handelt.
Und ich vermittle ein Gefühl für Tradition und Geschichte: Wir als Teil einer langen Kette von Menschen, die sich mit (dieser) Musik schon beschäftigt haben. Ebenfalls wichtig sind mir Bezüge zu Zeitumständen, Architektur, Mode oder Kunst.
Ein strahlendes: ,Das hat Spaß gemacht‘, oder: ,Ich liebe meine Flöte, weil sie so schön klingt‘, natürlich auch begeisterte Ensemblemitglieder, Wettbewerbsteilnehmer, begeisterte Berichte über Konzert­besuche und bestandene Aufnahmeprüfungen sind mir Ansporn und Belohnung.“

2. Andreas Lobisch: Pianist (Dipl. Mus.) und Klavierlehrer (Dipl. Mus.päd.), Lehrtätigkeit als freiberuflicher Klavierlehrer, als TvÖD-Lehrkraft an der Musikschule Lüdinghausen und als Lehrbeauftragter am Institut für Musikpädagogik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster für Haupt-/Nebenfach Klavier.
„Als Klavierpädagoge bilde ich seit fast zwei Jahrzehnten Kinder, Jugendliche und Studenten pianistisch aus. In verantwortungsvoller Weise die Ressourcen, Interessen und Fähigkeiten jedes Einzelnen effektiv zu entwickeln, dessen Potenziale voll auszuschöpfen und bewusstes und verstehendes Hören, Lesen und Spielen unterschiedlicher Musikstile zu bilden, ist zent­rales Anliegen meines Unterrichts. Hier ist mir individuelle, künstlerische Arbeit im Einzelunterricht als Basis des Unterrichts wichtig.
Meine künstlerische Arbeit als Pianist umfasst regelmäßige Kammermusikkonzerte und konzertante Auftritte mit dem Schwerpunkt im klassischen Repertoire, aber auch im Bereich Jazz und U-Musik.
Ich bin Teil der Vereinigung freiberuflicher Musiklehrer ,Musiker im Münsterland‘ als Plattform instrumentalpädagogischer Zusammenarbeit. Als künstlerischer Leiter des Schimmel Klavierspielwettbewerbs NRW bin ich auch organisatorisch-gestaltend tätig.“

3. Lucia von Zadow: Instrumentalpädagogin (Klavier, EMP) in Essen.
„In meiner Tätigkeit ist mir wichtig, den Schülern Möglichkeit zu geben, sich selbst als Musiker zu erfahren und zu entwickeln, und sie auf diesem Weg zu begleiten.
Kulturvermittlung ist mir ein besonderes Anliegen. Ich meine damit einen Kulturbegriff, der auf Vielfalt basiert. In meiner Arbeit spielen deswegen Werke aus verschiedenen Stilrichtungen, Epochen und Gattungen eine Rolle. Hier geht es auch um die individuellen Neigungen der Schüler, allerdings sehe ich meine Aufgabe auch darin, den kulturellen Horizont zu erweitern und das Wecken bisher verborgener Vorlieben zu ermöglichen.
Zudem sehe ich Leistung als pädagogisches Prinzip: Schüler sollen die Möglichkeit haben zu erfahren, dass sie selbst zu etwas in der Lage sind, was sie vorher nicht konnten und auf das sie stolz sein können. Sie sollen die Möglichkeit haben, ein tragfähiges Selbstbild im musikalisch-kulturellen Bereich zu erlangen.“

Impulsfragen zur Reflexion des eigenen Profils

Sicher haben Sie bereits während Ihrer Aus­bildung oder Ihrer beruflichen Laufbahn in ähnlicher Weise über Ihr Profil nachgedacht. Darüber hinaus möchte ich Sie mit nachfolgenden, ausgewählten Impulsfragen dazu anregen, noch mehr in die Tiefe zu gehen und noch näher zu Ihrem Profil-Kern zu gelangen. Lassen Sie die Fragen auf sich wirken, vor allem die, deren Beantwortung zunächst schwierig erscheint. Schnelle Antworten sind ein Hinweis auf Denk­automatismen, die einerseits Stimmigkeit im bisherigen Profilbewusstsein widerspiegeln und andererseits unhinterfragt keine neuen Erkenntnisse ermöglichen.
Empfehlenswert ist es auch, sich mit einem interessierten und in „sokratischer Haltung“ nachfragenden Gegenüber als Erkenntnishelfer auszutauschen. Für einen wirklichen Erkenntnisgewinn ist es hilfreich, die Fragen schriftlich zu beantworten, weil durch die Externalisierung der eigenen Gedanken diese wirklich konkret, bewusst und rational verfügbar werden.

1. Beschreiben Sie ein musikpädagogisches Highlight, eine für Sie besonders bereichernde, schöne, berührende Situation bzw. Erfahrung aus Ihrem Unterricht.
2. Beschreiben Sie einen instrumental­pädagogischen Tiefschlag aus Ihrem Unterricht, eine persönliche Erfahrung, die man auch als fachliches Scheitern bezeichnen könnte.
3. Was sind Ihre besonderen Stärken, Neigungen, Fähigkeiten, Schwerpunkte in Ihrem Beruf?
4. Was fällt Ihnen in Ihrer Berufstätigkeit ganz leicht, was können Sie gut? Und was können KollegInnen besser, leichter, einfacher, spielerischer… als Sie?
5. Was ist Ihnen in Ihrem Unterricht besonders wichtig? Nennen Sie drei bis fünf Aspekte und fassen Sie diese jeweils in Werte zusammen. (Beispiele für Werte sind Pünktlichkeit, Leistung und Spaß.)
6. Woran kann Ihr Gegenüber (SchülerInnen, deren Eltern, KollegInnen, Vorgesetzte) erkennen, dass Ihnen diese Werte wichtig sind? Beschreiben Sie Ihr von außen wahrnehmbares (Kommunikations-) Verhalten möglichst konkret.
7. Wie lauten Ihre Grundüberzeugungen zu zentralen Aspekten des Instrumentalpädagogikberufs? Vervollständigen Sie, möglichst ohne längeres Nachdenken, folgende Satzanfänge: „Musiklehrer sind…“, „Schüler sind…“ und „Der Instrumentalpädagogikberuf…“.
8. Wobei helfen Ihnen konkret diese Über­zeugungen, was erschweren sie?
9. Woher kommt Ihr innerer Antrieb? Was lässt sie immer wieder aktiv werden? Wofür tun Sie, was Sie tun?
10. Worauf sind Sie als InstrumentalpädagogIn wirklich stolz?
11. Beschreiben Sie sich mit einer Metapher: Als InstrumentallehrerIn bin ich wie ein/e… und erläutern Sie das Bild. („Als Musiklehrerin bin ich wie eine Taxifahrerin, die ihre Fahrgäste nach Auftrag an einen bestimmten Ort bringt.“)
12. Was ist Ihr Markenzeichen?
13. Was brauchen Sie innerlich und äußerlich, damit Sie gute Arbeit machen können? Welche Bedürfnisse haben Sie?
14. Was verstehen Sie unter musikalischer Bildung?
15. Woran ist konkret erkennbar, dass in Ihrem Unterricht musikalische Bildung „geschieht“?
16. Wie lautet in einem Satz Ihr instrumentalpädagogisches Credo?
17. Was denken Sie, schätzen a) Ihre SchülerInnen und b) Ihre KollegInnen besonders an Ihnen?
18. Welche Indizien sprechen Ihrer Ansicht nach dafür, dass dem Beruf des Inst­rumentalpädagogen eine gute Zeit bevorsteht?
19. Welche Folgen hätte es für Sie, wenn Sie langfristig dabei blieben, sich selbst in Ihrem Profil wie in den Antworten formuliert zu sehen und zu beschreiben?
20. In welchen beruflichen Zusammenhängen haben Sie, im Nachhinein betrachtet, positive Erfahrungen gemacht, die Ihr heutiges Profil erweitert haben, obwohl der Anlass fremdbestimmt war, weil Sie angewiesen wurden, etwas Bestimmtes zu tun (beispielsweise in einem bestimmten Unterrichtssetting oder mit bestimmten Schülergruppen zu arbeiten)?

In einem nächsten Schritt können Sie Ihr Selbstbild mit Fremdbildern – den Wahrnehmungen und Einschätzungen anderer Personen über Sie – abgleichen, indem Sie die Fragen entsprechend umformulieren („Was denkst du, sind meine Stärken…, ist mir in meinem Beruf wichtig?“). In pädagogischer Hinsicht können Sie die Impulsfragen auch für Überlegungen zu den musikalischen Profilen Ihrer SchülerInnen nutzen oder diese direkt mit entsprechend umformulierten Fragen zur eigenen künstlerisch-musikalischen Selbstreflexion an­regen.
In der kommenden Ausgabe folgen weiterführende Gedanken zum Profilbewusstsein von InstrumentalpädagogInnen.

1 http://dummerang.de/2015/03/05/apple-will-fahrzeugloses-auto-bauen
2 Aus Sicht einer wissenschaftlichen Musikpädagogik bedarf die Metapher „Profil“ einer umfassenderen Reflexion. Der Begriff wäre (auch) zu klären im Zusammenhang mit Konzepten wie „Identität“, „Persönlichkeit“,„Selbstbild“ und „Selbstkonzept“ sowie „Rolle“. Vgl. zur Verwendung von „Bildern“ in musikpädagogischen Zusammenhängen die Untersuchung von Malte Sachsse: Menschenbild und Musikbegriff. Zur Konstituierung musikpädagogischer Positionen im 20. und 21. Jahrhundert, Hildesheim 2014.

Literatur
Stefan Lindemann: Kapitel „Zum Selbstverständnis“, in ders.: Marketing und Management für Musikpädagogen, Kassel 2014, S. 10-19
Ulrich Mahlert: „Das persönliche pädagogische Selbstkonzept – Klärungen und Optionen“, Vor­trag auf dem Musikschullehrertag des Vorarlberger Musikschulwerks, Götzis, 11. September 2013; www.ulrichmahlert.de/Publikationen.html