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Rüdiger, Wolfgang

Emoji-Impro

Gefühle ausdrücken auf nur einem Ton

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 32

Schülerinnen und Schüler freuen sich und fühlen sich gut, wenn ihre Lehrerin ihnen persönliches Interesse entgegenbringt, sich unaufdringlich erkundigt, was los war in der Schule und zu Hause, und auch von sich erzählt – Bezie­hungsarbeit als wichtigste Grundlage eines gelingenden Instrumentalunterrichts.

Das persönliche Gespräch über alltägliche Begebenheiten und Gefühle eröffnet und ­begleitet den Unterricht, erzeugt eine gute Lernatmosphäre und bildet die Basis für ein lebendiges Musiklernen und Musizieren. Dazu gehört, dass Lehrpersonen bewusst wahrnehmen, in welcher Verfassung ihre SchülerInnen sind, wenn sie in den Unterricht kommen, eventuell fragen, wie sie sich fühlen und was sie gerade bewegt, und darauf eingehen.1 Wenn SchülerInnen ihre Gefühle auch nicht immer in Worte fassen wollen und können, so sieht und hört man ihnen an, wie sie gerade „drauf sind“, und kann einfühlsam darauf reagieren.2 Und wenn die momentane Gefühlslage darüber hinaus im gemeinsamen Musikmachen und -lernen Widerhall findet, so wird der Instrumentalunterricht zu einem emotionalen Resonanzraum, in dem Menschen und Musik auf sinnstiftende Weise zu sich selbst und zueinander finden.3
Eine Möglichkeit, dies zu realisieren, besteht darin, vom Gespräch über die momentane Gefühlsverfassung direkt ins Musizieren zu geraten, ohne die Zwischeninstanz von Noten und Werken. Gefühle können spontan improvisatorisch dargestellt und ausgedrückt werden – durch jene Klangmuster, die für sie cha­rakteristisch sind. Wie Musik zu weiten Teilen ein „Container“ von Gefühlen ist, so sind basale Gefühle Container von Klängen4 – eine Art „innre Musik“ (Wilhelm Heinse), die sich nach außen bewegen und zur hörbaren, fühlbaren, erkennbaren E-Motion werden kann (e-movere = heraus bewegen).5
An Tonfall, Tempo und Dynamik unserer Stim­me, die sich hebt vor Freude und senkt bei Trauer, lässt sich dies gut beobachten, mehr noch: bereits ein „einzelner unartikulirter Laut kann fröhlich oder traurig, heftig oder sanft und gelassen klingen. Er bekommt seine ästhetische Kraft theils von dem Grad der Stärke, von der Langsamkeit und Schnelligkeit, von dem Nachdruk oder der Flüchtigkeit, womit er ausgesprochen wird; theils von dem Ziehen, oder Stoßen, oder Anschwellen, oder andern Arten seiner Erzeugung; theils von dem Ort, wo er gebildet wird, oder wo er zu entstehen scheinet“.6
Aus dieser ebenso elementaren wie differenzierten Emotionalität eines einzelnen Lauts lässt sich wunderbar eine Improvisation entwickeln, die mit wenig Material – genauer gesagt mit nur einem Ton – viel Musik entstehen lässt.7 Das Schöne daran ist, dass Emoji-Improvisationen auf einem Ton mit instrumentalen Anfängern und Fortgeschrittenen, Kindern und Erwachsenen, im Einzel-, Gruppen- und Ensembleunterricht gleichermaßen möglich sind; sie machen Spaß und man kann eine Menge dabei lernen, musikalisch und menschlich. Denn das Thema Gefühle bzw. Emotionen ist in einem weiten Feld angesiedelt, das alle möglichen Disziplinen umfasst, Körper, Seele, Geist/Gehirn, Geschichte, gesellschaftliches Leben und vieles mehr betrifft und seit einigen Jahren Hochkonjunktur hat. In der Musik als wohlgeformter Körpersprache der Gefühle zeigen sich all diese Aspekte, hier finden die verschiedensten Emo­tionsansätze ein bevorzugtes Anschauungsfeld.8 Einige Facetten davon werden in den folgenden Praxisanregungen angesprochen.

Freuden-Impro

Gut gelaunt kommt Lena in den Geigenunterricht. „Am Wochenende hatte ich Geburtstag, mit ganz vielen tollen Geschenken…“, sprudelt die Sechsjährige los und strahlt. „Na, dann lass uns noch einmal zusammen Happy Birthday spielen“, schlägt die Lehrerin vor. – „Kann ich das denn schon?“ – „Klar, du spielst das Lied einfach auf einem Ton, ich übernehme die Melodie und wir beide singen dazu, das gibt ein richtig schönes Quartett.“ Gesagt, getan, die D-Saite gewählt und los geht’s mit dem Lied in G. Na ja, ein wenig spröde klingt es schon, wenn das zweite und das letzte „to you“ in die leere Quarte kadenzieren – doch da kann man ganz prima auf die G-Saite wechseln.

1 vgl. Helmuth Figdor/Peter Röbke: Das Musizieren und die Gefühle. Instrumentalpädagogik und Psychoanalyse im Dialog, Mainz 2008, S. 219 ff.
2 zum Beispiel mit dem sogenannten „AAO-Geschenk“: Aufmerksam sein – Augen auf – Ohren auf, vgl. Maja Storch/Wolfgang Tschacher: Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper – nicht im Kopf, Bern 2014, S. 117-127.
3 vgl. Hartmut Rosa/Wolfgang Endres: Resonanzpäda­gogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert, Weinheim 22016. Wenn dabei die Augen zu leuchten beginnen, ist dies der beste Indikator für Resonanz, ebd., S. 26 ff.
4 Figdor/Röbke, S. 125. Man muss „der augenblicklichen Stimmung“ also gar nicht unbedingt geeignete „Musik zur Verfügung […] stellen“ (ebd., S. 220) – Schüler tragen die „Musik der Gefühle“ bereits in sich. Das gilt freilich nicht für alle Gefühle, sondern – nach Michael Huppertz – vornehmlich für solche mit „musikalisch relevanten Aspekten“ wie zeitlichen, räumlichen, leibkörperlich expressiven, atmosphärischen und vitalen Eigenschaften, zit. nach Marc Mönig: „Von Sprachlosigkeit, Bekümmernis und heiteren Empfindungen. Zur Bedeutung von und zum Umgang mit Gefühlen im Musikunterricht“, in: Diskussion Musikpädagogik 76/2017, S. 53.
5 Sigrun Witt: Kreierte Emotionen in der Musik. Die elementaren Dimensionen von Gefühlen und Emotionen, Hamburg 2004, S. 27.
6 Johann Abraham Peter Schulz: Artikel „Vortrag (Redende Künste/Musik), in: Johann Georg Sulzer (Hg.): Allgemeine Theorie der schönen Künste, Leipzig 1771-1774, Vierter Theil, Leipzig 21794 (1774), Faksimile-Nachdruck Hildesheim 1970, S. 696. Vgl. auch die Übungen zur Lautfärbung bei Fritz Jöde: Das schaffende Kind in der Musik. Eine Anweisung für Lehrer und Freunde der Jugend, Wolfenbüttel/Berlin 1928, S. 119 ff.
7 Einen etwas anderen Zugang zum Thema Gefühle – über Bilder und barocke Vorlagen – verfolgt Karen Schlimp: „Sorglos – zornig – nervös. Gruppenimprovisationen zum Thema ‚Gemütszustände in der Musik‘“, in: üben & musizieren 2/2015, S. 22-25.
8 vgl. Bernhard Waldenfels: Sinne und Künste im Wechselspiel. Modi ästhetischer Erfahrung, Berlin 2010 (Kapitel 13. Der leibliche Sitz der Gefühle); Martina Krause/ Lars Oberhaus (Hg.): Musik und Gefühl. Interdisziplinäre Annäherungen in musikpädagogischer Perspektive, Hildesheim 2012; Andreas B. Eder/Tobias Brosch: „Emotion“, in: Jochen Müsseler/Martina Rieger (Hg.): Allgemeine Psychologie, Berlin 32017, S. 185-222.

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