Herbst, Sebastian

Entfernung und Spielplan

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 2/2022 , Seite 37

Die kürzlich vom Deutschen Musikrat herausgegebene Studie „Öffentliche Musikschulen in Deutschland. Infrastruktur und Nutzung öffentlicher Musikschulen im Verband deutscher Musikschulen“ untersucht den Anteil der von VdM-Musikschulen erreichten Bevölkerung sowie die Wohnortnähe einer Unterrichtsstätte in ­Bezug zur jeweiligen Siedlungsstruktur. Grundlage sind die Daten zu Schülerzahlen und Altersgruppen für das Berichtsjahr 2019 des Verbands deutscher Musikschulen sowie Daten des statistischen Bundesamts zur Gesamtbevölkerung und zur Siedlungsdichte. Fazit der Studie: „Es werden prozentual mehr Menschen durch die öffentlichen Musikschulen erreicht, je wohnortnäher sich das Unterrichtsangebot gestaltet.“
Bundesweit liegt die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Unterrichtsstätten in gering besiedelten Gebieten bei 9,1 Kilometern, bei mittlerer Besiedlungsdichte bei 3,6 Kilometern und in dicht besiedelten Gebieten bei nur 2 Kilometern. Im Bundesländervergleich finden sich jedoch in allen drei Kategorien große Unterschiede. So sind zwei Unterrichtsstätten in dicht besiedelten Gebieten von Brandenburg 4,7 Kilometer weit und damit weiter voneinander entfernt als der bundesweite Durchschnitt bei mittlerer Besiedlungsdichte. Und in gering besiedelten Gebieten in Nordrhein-Westfalen beträgt die Entfernung lediglich 5,3 Kilometer, während Mecklenburg-Vorpommern sogar auf 14,9 Kilometer kommt. Das könnte erklären, warum in gering besiedelten Gebieten in NRW vergleichsweise viele Menschen die Angebote der Musikschulen wahrnehmen. Allerdings dürfte die Entfernung nicht die einzige Erklärung sein.
Etwas nüchterner und zugleich differenzierter wurde das Fazit der Studie wie folgt formuliert: „Statistisch steigen in Gebieten mit geringeren durchschnittlichen Abständen zwischen Unterrichtsstätten die Musikschüleranteile an der Bevölkerung.“ Diese Korrelation hat sich in der Studie zwar als signifikant erwiesen, erhebt damit aber nicht den Anspruch der Erklärung kausaler Zusammenhänge. Es wäre also falsch anzunehmen, dass einfach mehr Außenstellen einer VdM-Musikschule zu bauen sind, um die Schülerzahl zu erhöhen.
Sicher sind Fahrzeiten ein wichtiges Argument. Während kürzere Strecken ohne größeren Zeitaufwand mit dem Fahrrad, dem Bus, der Straßenbahn und erst recht mit dem Auto überwunden werden können, ist man bei längeren Strecken und einem in gering besiedelten Gebieten vermutlich schlechteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf ein Auto angewiesen, um den Zeitaufwand für An- und Abreise gering zu halten.
Die Entscheidung für die Wahrnehmung von Musikschulangeboten dürfte jedoch deutlich vielfältiger sein. Zu berücksichtigen sind beispielsweise die Attraktivität der Angebote, die Verfügbarkeit freier Plätze im gewünschten Fach, der Ruf einer Lehrerin bzw. eines Lehrers, die Einbindung der Musikschule in die Kulturlandschaft der Region, die Außendarstellung der Musikschule, die Angebote von anderen Musikschulen, privaten Lehrerinnen und Lehrern sowie die regionale Tradition von Musikvereinen usw.
Dass weitere Faktoren relevant sind, zeigt sich auch bei der Betrachtung des Musikschüleranteils an der Gesamtbevölkerung. Im Bundesvergleich besonders hohe Werte erzielen Hamburg, NRW und Baden-Württemberg in der Altersgruppe von sechs bis neun Jahren. Hier bekommt ca. ein Viertel der Kinder Unterricht in einer VdM-Musikschule, was sich durch die Programme der Bundesländer zur Förderung musikalischer Bildung für Kinder erklärt, in denen viele VdM-Musikschulen Kooperationspartnerinnen sind.
Auf diesen hohen Prozentsatz folgt dann aber häufig auch ein größerer prozentualer Verlust in den darauffolgenden Altersgruppen. In der Altersgruppe von zehn bis 14 Jahren hat Baden-Württemberg zwar immer noch einen bundesweit überdurchschnittlich hohen Musikschüleranteil von 16,16 Prozent, Hamburg kommt jedoch nur noch auf 10,65 Prozent und NRW auf etwas unterdurchschnittliche 8,64 Prozent. Ab der Altersgruppe von 15 bis 18 Jahren wird der Anteil auch in Baden-Württemberg deutlich geringer (7,26 Prozent), NRW und Hamburg liegen sogar unter dem Bundesdurchschnitt von 4,58 Prozent.
Die Bewertung der Daten für die Altersgruppen der Erwachsenen ist aufgrund der großen Gruppenbildung bei der Gruppe der 26- bis 60-Jährigen und unter Berücksichtigung der vielfältigen berufsbiografischen Ereignisse der Personen schwierig. Bundesweit werden in der Altersgruppe der 19- bis 25-Jährigen nur noch 0,64 Prozent der Bevölkerung erreicht, in den Altersgruppen 26 bis 60 Jahre sowie ab 61 Jahre wird der Anteil noch geringer. Hier liegen jedoch keine differenzierten Ergebnisse für einen Ländervergleich unter Berücksichtigung der Siedlungsdichte vor, die jedoch sehr interessant sein könnten, da Erwachsene im Besitz eines Führerscheins in gering besiedelten Gebieten deutlich mobiler sind. Auch wenn der geringere Anteil der erreichten Erwachsenen viele außerhalb der Musikschularbeit liegende Gründe haben dürfte, stellt sich dennoch die Frage, welche Angebote Musikschulen machen können, damit der Besuch der Musikschule auch unter veränderten Rahmenbedingungen attraktiv bleibt.
Festzuhalten ist also, dass eine gute Infrastruktur mit Angeboten musikalischer Bildung eine wichtige Voraussetzung für deren Nutzung ist. Viel wichtiger ist aber, wie attraktiv die Orte bespielt werden.

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