Mahlert, Ulrich

„Ernstmachen mit der Einbeziehung des ganzen Volkes in die Musikkultur“

Leo Kestenbergs desillusionierte und mutige Programmatik

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 38

Die Textauszüge entstammen dem Aufsatz „Die musikalische Situation unserer Zeit und Goethe“, den Leo Kestenberg 1932 aus Anlass des 100. Todesjahres von Goethe veröffentlichte.* Fast neunzig Jahre sind seither vergangen. Und doch können wohl auch heutige MusikpädagogInnen bei ihrem Blick auf die Unermesslichkeit all dessen, was ihnen tagtäglich an Musik begegnet, etwas von ihren Gefühlen in Kestenbergs Ausführungen wiederfinden. Freilich differieren die Zeitumstände beträchtlich.
In Kestenbergs Versuch einer Bestandsaufnahme des damaligen Musiklebens wirkt die deprimierende Gegenwart des Jahres 1932 hinein. Im Jahr vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten litt die Bevölkerung in Deutschland unter hoher Arbeitslosigkeit und gewalttätigen Auseinandersetzungen der ­politischen Lager. Blutige Kämpfe zwischen Nazis und Kommunisten waren an der Tagesordnung. Die kurzfristig wechselnden Kabinette regierten mit Notverordnungen des Reichspräsidenten, die die Demokratie aushöhlten. All dies verstärkte Kestenbergs Diagnose, dass auch unter den Erscheinungsformen und den Auffassungen von Musik „kein Zusammenhang mehr“ bestehe.

* Leo Kestenberg: „Die musikalische Situation unserer Zeit und Goethe“, Erstdruck in: Der güldne Schrein. Ein Jahrbuch für die Freunde der deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung auf das Jahr 1932, Dresden 1932, S. 24-28. Neudruck in: Leo Kestenberg: Gesammelte Schriften Bd. 2.1: Aufsätze und vermischte Schriften. Texte aus der Berliner Zeit (1900-1932), hg. und kommentiert von Ulrich Mahlert, Freiburg 2012, S. 495-504.

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