Cappellari, Andrea / Roberto Fabbri

Erste Klassiksammlung für Gitarre

100 Melodien im Drei- bis Achttonraum in ansteigendem Schwierigkeitsgrad, mit Begleitstimme für eine zweite Gitarre, mit mp3-Audiotracks online

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ricordi, Berlin 2020
erschienen in: üben & musizieren 2/2022 , Seite 61

Erste Klassiksammlung für Gitarre – mein erster Gedanke war: Schon wieder eine Sammlung mit Anfängerstücken der üblichen Verdächtigen, die meist zwei oder mehr i’s im Nachnamen tragen und dann nach persönlichen Erfahrungen und Vorlieben der Autoren zusammengestellt und mit Fingersätzen, gelegentlich auch mit Kommentaren versehen, eine Ausgabe ergeben.
Doch der Untertitel „100 Melodien im Drei- bis Achttonraum in ansteigendem Schwierigkeitsgrad“ weist bereits in eine andere Richtung. Die erste Seite bietet eine Grifftabelle der ersten drei verwendeten Noten: g, a und h, mit denen die Mehrzahl der handelsüblichen Gitarrenschulen beginnen. Das Autorenteam, bestehend aus dem Methodiker Andrea Cappellari und dem Gitarristen Roberto Fabbri, stellt sechs einfachste Melodien in diesem minimalen Ambitus vor, wobei auch die rhythmischen Werte sich beschränken. Natürlich können derart minimalistische Stücklein nicht dem Anspruch repräsentativer klassischer Werke gerecht werden, aber die Autoren treten diesen Bedenken entgegen: „Obwohl die Melodien so kurz sind, ihr Tonumfang begrenzt ist und komplexe rhythmische Figuren vermieden werden, teilt sich die Meisterschaft und Erfahrung der Komponisten in jedem einzelnen der Stücke mit und macht sie zu lauter kleinen musikalischen Kostbarkeiten.“
Einige Komponisten der musikalischen Beispiele waren mir unbekannt. Es scheint sich bei den ausgewählten „Kostbarkeiten“ um Stücklein aus Klavierschulen des 19. Jahrhunderts und Kompositionen sogenannter Kleinmeister zu handeln. Roberto Fabbri ergänzte eine zweite Gitarrenstimme, um die Stücke klanglich aufzuwerten. Es ist bewundernswert, dass sich für diesen strengen methodischen Ansatz überhaupt taugliche Beispiele haben finden lassen.
Mit Erweiterung des Tonraums fällt die Auswahl geeigneter Stücke naturgemäß leichter. Bereits im zweiten Kapitel, in dem der vierte Ton c hinzugekommen ist, erscheint dann zum ersten Mal ein vertrauter Name: Michael Haydn. Wenn dann der Fünftonraum durch die Hinzufügung der Note d vollständig ist, tauchen Namen wie Johannes Brahms oder Wolfgang Amadeus Mozart auf.
Der erste Gitarrist, der in dieser Sammlung vertreten ist, ist Dionisio Aguado im 24. Stück. Bei Anton Diabelli, dessen Alla turca als 51. Stück der Sammlung erscheint, ist nicht klar, ob es einer Sammlung für Klavier entnommen ist oder ob es sich um ein Gitarrenstück handelt.
Das methodische Konzept der beiden italienischen Autoren ist glasklar und konsequent umgesetzt und macht das Heft extrem praxistauglich. Vorstellbar ist der Einsatz beim Klassenmusizieren oder ähnlichen Unterrichtsformen. Auch für den Anfängerunterricht ist das Material denkbar.
Andreas Stevens-Geenen