Busch, Barbara
Es bleibt noch viel zu tun
Gespräch über gendersensibles Sprechen in Musik(hoch)schulen und im Unterricht
„99 Sängerinnen und 1 Sänger sind 100 Sänger“, konstatierte die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch bereits 1990. Inzwischen gibt es ein gewachsenes Bewusstsein für geschlechtersensibles Sprechen, aber auch (neue) Vorbehalte gegen das Gendern. Immer mehr öffentliche und private Institutionen und Firmen erlassen Richtlinien für die Verwendung gendersensibler Sprache, darunter auch Musikhochschulen. Ein Gespräch mit Christine Busch, Gleichstellungsbeauftragte der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, und Daniela Hasenhündl, Frauenbeauftragte der Hochschule für Musik Würzburg.
Im Frühjahr 2019 hast du, liebe Daniela, als Frauenbeauftragte der Hochschule für Musik Würzburg Empfehlungen zum gendersensiblen Sprachgebrauch veröffentlicht. Aus welchem Bedürfnis heraus kam es dazu?
Daniela Hasenhündl: Aus der Überzeugung heraus, dass Sprache unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst, begann ich vor einigen Jahren, mich mit dem Thema Chancengleichheit und Diversität in der Sprache zu beschäftigen. In das Amt der Frauenbeauftragten berufen, erachtete ich es als meine Aufgabe, zunächst einmal genau hinzuhören, ob ich in Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen oder in Diskursen im Rahmen meiner Gremienarbeit ein Bewusstsein für einen gendersensiblen Sprachgebrauch erkennen konnte. Ich musste feststellen, dass maskuline Formulierungen die Regel waren. Eine kritische Hinterfragung war kaum möglich und gendergerechte Sprache wurde häufig als zu kompliziert und umständlich abgetan. Dies veranlasste mich, die Hochschulöffentlichkeit auf das Thema Gendergerechtigkeit in Sprache und Schrift mit „Empfehlungen zum gendersensiblen Sprachgebrauch“ aufmerksam zu machen und so den respektvollen Umgang miteinander zu fördern.
Wenige Monate später, im Dezember 2019, hat die Gleichstellungskommission der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart einen „Leitfaden für geschlechtersensible Sprache“ verabschiedet. Liebe Christine, gab es aktuelle Vorkommnisse, die dazu geführt haben?
Christine Busch: Im Umfeld unserer Hochschulzeitung Spektrum gab es wohl immer wieder Streitigkeiten über das Gendern von Artikeln: Autoren von Artikeln wollten sich von der Redaktion nicht dazu überreden lassen, zudem gab es offensichtlich kritische Zuschriften, die sich über das Gendern (meistens mit Gendersternchen *) beschwerten. Deshalb wurde ich von unserer Rektorin und dem Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros ermuntert bzw. ausdrücklich darum gebeten, aktiv zu werden. Die Meinungen zum Gendern gehen immer noch sehr auseinander in unserer Gesellschaft! Viele Frauen wollen aber sichtbar in Texten sein und auch hörbar explizit benannt werden, sie wollen sich nicht mehr mit „mitgemeint“ in der männlichen Sprachform zufriedengeben müssen.
Ich hatte den „Leitfaden für geschlechtersensible Sprache“ der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin von der dortigen Frauenbeauftragten Antje Kirschning bei einem Treffen der Gleichstellungsbeauftragten der künstlerischen Hochschulen in Deutschland in die Hand gedrückt bekommen. Weil ich ihn so inspirierend fand, habe ich ihn in unserer Hochschule bekannt gemacht und durfte ihn dann auch für unseren Leitfaden als Vorlage benutzen.
Empfehlungen entstehen nicht von heute auf morgen. Wie muss ich mir den Entstehungsprozess vorstellen?
Daniela Hasenhündl: In Würzburg wurden die Empfehlungen von mir alleine zusammengestellt. Zu diesem Zeitpunkt existierte an der Hochschule noch kein Ausschuss für Gleichstellungsfragen, der sich dieser Thematik hätte annehmen können. Ich habe damit begonnen, Lösungsvorschläge für einen gendersensiblen Sprachgebrauch zusammenzutragen und diese mit für unsere Hochschule relevanten Formulierungshilfen ergänzt. Zwei Dinge standen für mich im Vordergrund, nämlich unkomplizierte Sprachalternativen anzubieten und die positiven Auswirkungen beim Gebrauch gendersensibler Sprache herauszustellen. Denn das Wissen um eine Vielzahl von Sprachalternativen fördert einen experimentierfreudigen Umgang mit ihr und macht vieles nicht umständlicher, sondern einfacher.
Wie verlief die Initiative in Stuttgart? Wer war beteiligt und inwiefern haben hausinterne Diskussionen stattgefunden?
Christine Busch: Über die Informationen der Landeskonferenz und der Bundeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten habe ich mich in den vergangenen beiden Jahren in verschiedene Themenfelder der „Gleichstellung“ eingearbeitet und mich auch mit Kolleginnen anderer Hochschulen getroffen. Eine Kontaktperson in unserem Ministerium fand es durchaus empfehlenswert, einen Leitfaden für unsere Musikhochschule zu entwerfen; sie hat mich mit Links zu verschiedenen Entwürfen von Universitäten versorgt.
Ich wollte es dann möglichst einfach machen, habe meinen Favoriten, den Berliner Flyer, vor einer Senatssitzung zur Information in alle Briefkästen der Senatsmitglieder verteilt und hätte es schön gefunden, wenn er in der Senatssitzung direkt „abgesegnet“ worden wäre. Doch es kam anders: Einige Kollegen hatten massive Probleme mit dem „Frauengedöns“ (salopp gesagt). Sie wollten sich nicht in ihre Praxis „reinreden lassen“, wollten den Flyer so nicht „durchwinken“ und es folgte eine kontroverse, heiße Diskussion. Daraufhin habe ich den Flyer etwas umgeschrieben, mit meinen Fakultäts-Gleichstellungsbeauftragten und den Mitgliedern der Gleichstellungskommission (darunter Lehrende und Studierende) diskutiert und weiterentwickelt. Schließlich haben wir ihn in der Gleichstellungskommission verabschiedet.
Übrigens können die in der Gleichstellungskommission und im AStA engagierten Studierenden gar nicht verstehen, warum mir oft Gegenwind in meiner Gleichstellungsarbeit entgegenschlägt. Das tröstet mich, wenn ich mich zeitweilig entmutigt fühle, weil ich den Gegenwind verstörend finde und mehr Rückenwind vermisse.
Wie wurden bzw. werden die von euch erstellten Flyer verbreitet?
Daniela Hasenhündl: Nach vorheriger Ankündigung per Rundmail legte ich persönlich die Flyer in die Postfächer aller Lehrenden. Die Flyer sind auf wertigem Papier gedruckt, um einem Verschleiß bei hoffentlich häufiger Benutzung entgegenzuwirken. Die Idee ist ja, dass die Lehrenden den Flyer beim Verfassen von Texten immer wieder als Ratgeber zur Hand nehmen. Auf der Homepage wird zusätzlich eine PDF-Datei zum Download bereitgestellt, die noch etwas mehr Informationen enthält.1 Seit dem letzten Studienjahr wird der Flyer für die Neustudierenden zusammen mit anderen Unterlagen in das sogenannte Erstsemester-Täschchen gepackt.
Christine Busch: Zusammen mit anderen Papieren (unter anderem dem „Handlungsleitfaden Sexuelle Belästigung“) habe ich ihn in die Brieffächer unserer Lehrkräfte gelegt, dem AStA Exemplare gegeben, ihn an unser Schwarzes Brett „Chancengleichheit – Respekt – Diversity“ gehängt und per Mail an alle Lehrenden geschickt. Es gibt ihn auch auf der Website der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.2 Und wenn kein Gegenwind kommt, könnte er auch in unserer Hochschulzeitung Spektrum abgedruckt werden.
Können Empfehlungen Verbindlichkeit haben? Und warum lehnst du, Daniela, Verbindlichkeiten innerhalb der Hochschule ab?
Daniela Hasenhündl: Meiner Ansicht nach darf das Ziel, Gendergerechtigkeit in der Sprache zu schaffen, nicht mit Reglementierungen und Einschränkungen verbunden sein. Die Freiheit im Gebrauch von Sprache muss stets gewahrt bleiben. Eine Sensibilisierung ist sinnvoll; was der oder die Einzelne daraus macht, sollte jedem und jeder selbst überlassen bleiben. Deshalb wollen die Empfehlungen zum gendersensiblen Sprachgebrauch auch keine Normen setzen, sondern zur sprachlichen Kreativität unter gendersensiblem Aspekt anregen.
In der Schriftsprache erachte ich es allerdings als sinnvoll, innerhalb der Hochschule beispielsweise für Formulare einen einheitlichen Weg zu wählen, der anzeigt, wie sich die Hochschule zu dieser Thematik stellt. In den Zielvereinbarungen unseres Gleichstellungskonzepts wurde beschlossen, dass alle Rechtsgrundlagen, Formulare und Handreichungen bis 2023 gendergerecht formuliert werden. Momentan sind wir auf einem guten Weg, Textlösungen zu finden, die auch das diverse Geschlecht inkludieren. Der lästige Satz „Alle maskulinen Personen und Funktionsbezeichnungen gelten im Folgenden für Frauen und Männer in gleicher Weise“ ist dann endlich Vergangenheit. Wir haben aber auch die Barrierefreiheit für Menschen mit Sehbehinderung im Blick.
Christine, in Stuttgart betont ihr, dass es sich um einen Leitfaden handelt, nicht um eine „erzwungene Anordnung“! Wie kam es zu dieser abschließenden Bemerkung?
Christine Busch: Ich habe mich wirklich sehr gewundert, dass man sich über einen „Leitfaden“ so aufregen kann. Es ist doch im Wort „Leitfaden“ eigentlich sowieso enthalten, dass es nur eine Orientierung oder Sensibilisierung und kein Zwang ist! Das Engagement der jungen Generation und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung werden sich hoffentlich durch Einzelmeinungen nicht bremsen lassen – und „steter Tropfen höhlt den Stein“. Außerdem gibt es ja auch unzählige Männer, die den Anliegen der Frauen für weitere Verbesserungen auf verschiedenen Feldern völlig aufgeschlossen und unterstützend gegenüberstehen. Vielleicht müssen wir aber auch darauf achten, andere Männer, die sich teilweise schon fast benachteiligt fühlen und/ oder Probleme mit der #MeToo-Debatte haben, nicht zu überfordern, sondern empathischer mitzunehmen.
Welche Reaktionen gab es in Würzburg auf den Flyer?
Daniela Hasenhündl: Die Reaktionen waren fast alle positiv. Lediglich eine Lehrperson hat rückgemeldet, sich in ihrer Sprache keine Vorschreibungen machen zu lassen. Andere haben rückgemeldet, dass der Flyer durchaus akzeptable Alternativen bietet beim Verfassen eines Textes. „Ich habe den Flyer auf meinem Schreibtisch liegen und finde darin gute Unterstützung beim gendergerechten Formulieren“ und „Ich verwende den Flyer als Buchzeichen und werde so immer wieder angeregt, über Sprache nachzudenken“ waren wohl die schönsten Rückmeldungen.
Die Herausgabe eines Flyers ist das eine. Mit welcher Zielsetzung seid ihr weiter in dieser Sache aktiv?
Daniela Hasenhündl: Wichtig wäre die Präsenz der Thematik in Lehrveranstaltungen. Gerade Studierende, die später als Lehrkräfte tätig sein werden, sollten für diese Thematik sensibilisiert werden und sich mit gendergerechter Unterrichtssprache auseinandersetzen. In meiner langjährigen Unterrichtstätigkeit habe ich erfahren, dass Kinder völlig unvoreingenommen auf gendergerechte Sprache reagieren und männlich bzw. weiblich eindeutige Bezeichnungen problemlos in ihren Wortschatz übernehmen, wenn es ihnen vorgelebt wird. Kinder, die in einem sprachlich gendersensiblen Umfeld aufwachsen, werden – wenn sie danach gefragt werden – Feuerwehrfrau, Astronautin oder Koch. Und kein anderes Kind schmunzelt, wie es manche Erwachsene tun. So leisten Lehrkräfte in der Arbeit mit Kindern einen wichtigen Betrag zur Förderung des Selbstvertrauens und der Akzeptanz von Diversität.
Wie sehen weitere Maßnahmen in Stuttgart aus?
Christine Busch: Wir haben regelmäßige Workshops zu Gleichstellungsthemen geplant, z. B. einen längeren Workshop bzw. Diskurs von Studierenden und Lehrenden zum Thema „Nähe und Distanz“, Schlagfertigkeit-Workshops für Studierende, Feedback- und Kommunikationstraining für Lehrende. Ich hoffe, dass ich auch selbst diese Fortbildungen nutzen kann, um mich selbstbewusster zu allen Themen artikulieren zu können, ebenso in Konflikten mit konträren Meinungen von Kollegen. Wenn wir mit guten Argumenten und Humor und den passenden Worten eingreifen, wo wir es nötig finden, können wir doch etwas bewegen!
Inwiefern stoßt ihr mit dem Vorhaben, über Sprache für Gleichberechtigung zu sensibilisieren, an Grenzen?
Christine Busch: Vermutlich rebelliert das „Sprachgefühl“ von einigen Kolleginnen und Kollegen! Da habe ich durchaus Verständnis: Mir ging es jahrelang selbst so mit der Konstruktion „Studierende“, und finde diese immer noch nicht ideal – aber der Leitfaden aus Berlin war sehr überzeugend für mich! Meine Tochter hat im AStA der Musikhochschule Freiburg derartig viele „feministische“ fortschrittliche Impulse erfahren und mir davon berichtet, dass ich denke, da müssen wir dranbleiben – egal in welcher Position. Ich bekomme regelmäßig von Studierenden dankbares, gutes Feedback!
Daniela Hasenhündl: Die juristischen Hürden beim Gendern von Gesetzestexten lassen leider nur enge sprachliche Spielräume und Änderungen sind nur langfristig möglich. Interessant finde ich die Tatsache, dass ich öfter mit jungen Frauen ins Gespräch komme, die die Notwendigkeit einer gendersensiblen Sprache nicht als sinnvoll erachten und dies mit Vehemenz ablehnen. Auch dieser Einstellung muss zunächst einmal mit Respekt begegnet werden. Die wohl schärfste Reaktion auf einen Kommentar von mir, als in einem Meeting wieder einmal die maskulinen Formulierungen dominierten, war: „Das ist mir sowas von scheißegal!“ Für mich als Frauenbeauftragte bleibt also noch viel zu tun. Aber ich stelle mich gerne dieser Aufgabe.
Wie stellt sich die Situation für dich persönlich dar, Christine?
Christine Busch: Für die nächste Auflage habe ich den Flyer schon wieder ein bisschen geändert; heutzutage geht das ja zum Glück relativ einfach. Das ist für mich symbolisch für die Entwicklung der Gesellschaft: Nichts ist zementiert. Alles sollte in eine gute Richtung und positive Zukunft für alle fließen. Eigentlich verbringe einen Großteil meiner Zeit für mein Leben gerne mit meiner Geige und der Musik und fühle mich oft überbelastet durch all mein Engagement an der Hochschule. Aber die Gremienarbeit muss getan werden, und es finden sich nicht alle Kolleginnen und Kollegen dazu bereit, die Arbeit fair aufzuteilen. Weil die Hochschule nicht ohne die vom Gesetz geforderte Gleichstellungsbeauftragte funktionieren würde und ich sehr dankbar bin, dass sich unzählige Menschen in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten für die Rechte von uns Frauen eingesetzt haben, fühle ich mich verpflichtet, mich ebenfalls einzusetzen. Und es ist ja auch spannend, sich zu informieren und zu gestalten!
Ein kleines Beispiel: Ist es nicht verrückt, dass es ein „Lehrerinnenzölibat“ gab: in der Schweiz bis 1962, in Österreich bis 1949 und in Deutschland bis 1956 – bis nur zehn Jahre vor meiner Geburt!? Es ist schon so viel für die Gleichberechtigung von Frauen erreicht worden, aber der Weg ist noch nicht am Ende. Gerne möchte ich an dieser Stelle eine Lanze brechen für mehr politisches Engagement von Musikerinnen und Musikern: Wir widmen uns ja vorwiegend unserer Kunst, doch sollten wir uns auch für Geschichte und Politik interessieren! Gerade die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise zeigt uns überdeutlich, dass politisch-gesellschaftliches Engagement der Künstlerinnen und Künstler absolut notwendig ist!
1 Empfehlungen zum gendersensiblen Sprachgebrauch, www.hfm-wuerzburg.de/service/Regeln/ Partnerschaftliches_Verhalten/Empfehlungen_gendersensible_Sprache.pdf (Stand: 9.6.2021).
2 Leitfaden für geschlechtersensible Sprache für die HMDK Stuttgart, www.hmdk-stuttgart.de/fileadmin/downloads/Gleichstellung/Leitfaden_geschlechtersensible_Sprache_HMDK.pdf (Stand: 9.6.2021).
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