Bauchrowitz, Frank
„Es wird schon nichts passieren!“
Wofür haften Musikschullehrkräfte?
Im Musikschulalltag hat die Musikschullehrkraft mit vielen Menschen (oftmals mit Kindern) und zuweilen mit empfindlichen und teuren Instrumenten zu tun. Wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Unterrichtstätigkeit Schäden am Eigentum der Musikschule oder gegenüber Dritten versursacht, stellt sich die Frage, in welchen Fällen die Lehrkraft diese Schäden finanziell auszugleichen hat.
Damit eine angestellte Musikschullehrkraft verpflichtet ist, einen der Musikschule entstandenen Schaden zu übernehmen, muss sie eine vorwerfbare Pflichtverletzung begangen bzw. gegen eine arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen haben. Eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis besteht für die Lehrerin oder den Lehrer darin, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Musikschule zu nehmen. Deshalb ist eine Pflichtverletzung regelmäßig gegeben, wenn eine Lehrkraft einen Schaden verursacht hat. Der Schaden muss der Musikschule durch die Pflichtverletzung der Musikschullehrkraft entstanden sein. Es muss also ein Kausalitätszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden bestehen.
Das Verhalten der Musikschullehrkraft muss dieser auch vorwerfbar sein. Grundsätzlich haftet eine Lehrerin oder ein Lehrer für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Aber die Arbeitsgerichte begrenzen den Umfang der Arbeitnehmerhaftung und prüfen für jeden streitigen Schadenfall individuell, inwieweit das Verhalten des Arbeitnehmers diesem vorwerfbar ist.
Vorsatz ist ein zielgerichtetes Verhalten. Der Vorsatz des Mitarbeiters muss sich dabei auch auf den Schaden selbst beziehen und nicht nur auf die Handlung, die zum Schadensereignis führt. Im Volksmund würde man sagen: „Das hast du absichtlich gemacht!“ Verursacht die Musikschullehrkraft vorsätzlich einen Schaden, wird ihr dies voll angelastet. In der Konsequenz haftet die Lehrkraft auch voll.
Die meisten Schadensereignisse werden jedoch nicht zielgerichtet, sondern durch Unachtsamkeit verursacht. Dies bezeichnet der juristische Begriff Fahrlässigkeit. Das Gesetz definiert, dass fahrlässig handelt, wer „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ außer Acht lässt. Es muss also ermittelt werden, welche Sorgfalt ein normal verständiger Mensch in der gleichen Situation normalerweise angewandt hätte. Der Handelnde geht davon aus, dass kein Schaden eintreten wird („Es wird schon nichts passieren!“). Dabei erfordern die äußeren Umstände stets eine situative Anpassung des Handelnden. In gefahrgeneigten Situationen ist ein anderer Grad von Sorgfalt geboten als bei alltäglichen Vorgängen. Inwieweit ein Handeln jemandem vorwerfbar ist, hängt davon ab, wie gut dieser sein Handeln objektiv an die gegebenen Umstände angepasst hat.
Juristen teilen den Grad der Fahrlässigkeit in der Regel in drei Stufen ein: leichte Fahrlässigkeit, normale bzw. mittlere Fahrlässigkeit und grobe Fahrlässigkeit. Nach dem Grad der erfüllten Fahrlässigkeit lässt sich dann der Umfang der Vorwerfbarkeit des Verhaltens ableiten.
Leichte Fahrlässigkeit
Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers belanglos war. Es geht hier in der Regel um eine nur kurze Unachtsamkeit, die der Musikschullehrkraft nicht vorgeworfen werden kann. Der Arbeitnehmer haftet bei leichter Fahrlässigkeit, unabhängig von der Schadenshöhe, in der Regel überhaupt nicht.
Beispiel: Eine Lehrerin lässt aus Versehen etwas fallen, das dadurch kaputtgeht.
Mittlere Fahrlässigkeit
Von mittlerer Fahrlässigkeit wird gesprochen, wenn die Lehrkraft die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Von diesem Fahrlässigkeitsgrad ist auszugehen, wenn keine Anhaltspunkte für nur leichte bzw. grobe Fahrlässigkeit vorliegen („Das kann jedem mal passieren!“). Für die mittlere Fahrlässigkeit ist zudem kennzeichnend, dass man sich bewusst ist, dass das Verhalten zu einem Schaden führen kann, dieser aber nicht eintreten muss.
Beispiel: Der Lehrer geht nach dem Unterricht auf die Toilette. Den Unterrichtsraum lässt er in dieser Zeit unabgeschlossen. Während seiner kurzen Abwesenheit wird ein musikschuleigenes Instrument gestohlen.
In diesen Fällen wird der innerbetriebliche Schadensausgleich zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber anhand einer sogenannten Quotelung aufgeteilt. Wer welche Quote zu tragen hat, hängt vom Einzelfall ab. Folgende Faktoren können eine Rolle spielen:
– Wie gefahrengeneigt ist die Tätigkeit? Der Maßstab nach diesem Kriterium gibt vor, wie wahrscheinlich ein Schadensfall im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit ist. Die reine Unterrichtstätigkeit als Musikschullehrkraft ist regelmäßig mit wenig Gefahren verbunden. Dies kann anders sein, wenn z. B. Zusammenhangstätigkeiten hinzukommen.
– Wie hoch ist der Schaden im Verhältnis zum Einkommen der Musikschullehrkraft? Die Höhe der Quotelung hängt auch davon ab, in welchem Verhältnis das Einkommen des Arbeitnehmers zum tatsächlichen Schaden liegt. Einer Musikschullehrkraft, die beispielsweise 2000 Euro brutto pro Monat verdient und durch mittlere Fahrlässigkeit einen Schaden von 100000 Euro verursacht, wird keine Quotelung von 50 Prozent zuzumuten sein.
– Wie kalkulierbar war das Schadensrisiko? Bei diesem Kriterium ist maßgeblich, inwieweit die Musikschule das Risiko von bestimmten Schäden einkalkulieren und sich hiergegen versichern konnte. Wenn die Musikschule beispielsweise für den Unterricht hochwertige Instrumente zur Verfügung stellt, kann und sollte sie sich gegen Schadensfälle absichern.
– Wie ist das Vorverhalten der Musikschullehrkraft zu beurteilen? Wenn der Lehrer oder die Lehrerin seit vielen Jahren in der Musikschule angestellt ist und nie einen Schaden verursacht hat, dann wird die Quotelung niedriger ausfallen als bei einem Arbeitnehmer, der in zwei Jahren Zugehörigkeit zur Musikschule mehrere Schäden durch fahrlässiges Verhalten verursacht hat.
– Welche weiteren Faktoren spielen eine Rolle? In die Berechnung der Quotelung werden weitere Faktoren wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die fachliche Ausbildung des Arbeitnehmers, seine persönlichen Verhältnisse, die durchschnittliche Arbeitsbelastung und auch ein Mitverschulden des Arbeitgebers berücksichtigt.
Die Höhe der Quote richtet sich also nach vielen Faktoren und ist immer für den Einzelfall zu beurteilen. In der Rechtsprechung hat sich als grober Richtwert die Obergrenze der Haftung bei mittlerer Fahrlässigkeit auf drei Bruttomonatsgehälter eingependelt.
Honorarkräfte können die arbeitsrechtlichen Privilegien nicht in Anspruch nehmen. Deshalb haften sie für alle Formen der Fahrlässigkeit.
Grobe Fahrlässigkeit
Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt („Das darf nicht passieren!“).
Beispiel: Eine Klavierlehrerin lüftet trotz Minustemperaturen ihren Unterrichtsraum in der Musikschule. Sie verlässt die Musikschule nach der letzten Unterrichtsstunde, ohne das Fenster zu schließen. Die Innentemperatur des Raums sinkt über Nacht so stark, dass der im Raum befindliche Flügel beschädigt wird und ein Schaden an der Heizung entsteht.
In der Haftung gibt es in der Regel keinen Unterschied im Vergleich zum vorsätzlichen Handeln: Der Arbeitnehmer haftet hier normalerweise für den vollen Schaden, den er verursacht hat. Wenn die Schadenshöhe allerdings ein Ausmaß annimmt, das für den Arbeitnehmer existenzgefährdend ist, macht die Rechtsprechung oft Ausnahmen und bildet für die Haftung ebenfalls eine Quote. Wie hoch diese ausfällt, ist wieder einzelfallabhängig.
TVöD-Beschäftigte
Bei Musikschullehrkräften im öffentlichen Dienst, die dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) unterliegen, ist die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt (§ 3 Absatz 6 TVöD). Für Schäden, die aus leichter oder normaler Fahrlässigkeit entstehen, haften sie also nicht. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, sind die Grenzen zwischen normaler und grober Fahrlässigkeit aber oft nicht leicht zu bestimmen.
Schäden gegenüber Dritten
Für Schäden gegenüber Dritten (zum Beispiel Schülern, Eltern, Arbeitskollegen) haftet der Arbeitnehmer normalerweise selbst. Wenn der Schadensfall jedoch während der Arbeit auftritt, dann kann die Musikschullehrkraft eine sogenannte Freistellung beantragen. Das bedeutet, dass die Musikschule für den Ausgleich des Schadens aufkommen muss, weil der Schadenseintritt betrieblich veranlasst war. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Lehrerin oder der Lehrer während der Arbeit das Instrument einer Schülerin leicht fahrlässig beschädigen. Die Höhe der Freistellung richtet sich ebenfalls nach den oben genannten Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs; also dem Verschuldensmaßstab von Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Wer hat die Beweislast?
Grundsätzlich haftet man für alle Schäden, die man selbst zu verantworten hat (sogenanntes Vertretenmüssen). Die gesetzlichen Vorschriften sehen vor, dass grundsätzlich vermutet wird, dass die Person, die einen Schaden verursacht hat, diesen auch zu vertreten hat. Die Person müsste also erst beweisen, dass sie den Schaden nicht zu vertreten hat. Für das Arbeitsrecht sieht das Gesetz jedoch von diesem Grundsatz eine Ausnahme vor. Dem Arbeitnehmer muss die Schuld am Schadensereignis nachgewiesen werden (so genannte Beweislastumkehr).
Haftung von Honorarkräften
Musikschullehrkräfte, die als Honorarkräfte für Musikschulen tätig sind, können die arbeitsrechtlichen Privilegien nicht in Anspruch nehmen. Deshalb haften sie für alle Formen der Fahrlässigkeit und können auch keine Haftungsfreistellung beantragen, wenn sie Dritten gegenüber einen Schaden verursachen. Die Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens gilt für sie ebenfalls nicht.
Allerdings kann die Haftung der Honorarkraft wirksam im Vertrag mit der Musikschule beschränkt werden. Die Klausel für eine Haftungsbeschränkung könnte lauten: „Die als Honorarkraft tätige Musikschullehrkraft haftet nur für Schäden und Nachteile, die sich aus einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung der vertraglichen Pflichten ergeben. Dieser Haftungsausschluss umfasst nicht Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit.“ Der letzte Satz ist deshalb wichtig, weil der Haftungsausschluss sonst als zu weitgehend gewertet werden könnte. Dies könnte die Ungültigkeit der Klausel insgesamt zur Folge haben.
Die Freistellungsklausel könnte folgendermaßen formuliert werden: „Wird die Honorarkraft im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit von einem Dritten in Anspruch genommen, so hat sie gegen die Musikschule einen Freistellungsanspruch.“
Ob die Honorarkraft entsprechende Klauseln verhandeln kann, hängt von deren Geschick und von der Frage ab, ob die Betriebshaftpflichtversicherung der Musikschule auch Schäden durch freie Mitarbeiter ersetzt. Ansonsten ist Honorarkräften zu empfehlen, eine eigene Betriebshaftpflichtversicherung abzuschließen. Diese gilt dann beispielsweise auch für den privat in der eigenen Wohnung erteilten Musikunterricht. Da viele Musikschullehrkräfte (gleich in welcher Anstellungsform) oftmals auch konzertierend tätig sind, lohnt es sich oft, dass Risiken aus dieser Tätigkeit gleich mitversichert werden. Zusätzlich mitversichert werden können auch besondere Risiken. Darunter fallen z. B. der Verlust fremder Schlüssel oder die Verletzung der Aufsichtspflicht.