Tamaru, Jan
Fach(v)erkennung
Stimmfachdiagnose im Gesangsunterricht
Im Rahmen des professionellen Operngesangs ist die Einordnung in Stimmfächer gang und gebe. Eine Ein- oder Zuordnung erfolgt meist während des Studiums und wird beim Vertragsabschluss mit einem Opernhaus teilweise vertraglich festgehalten. SängerInnen, die einen Fachwechsel vornehmen, gibt es ebenfalls; die Ursachen sind unterschiedlich.
Jan Tamaru – selbst viele Jahre sowohl als Sänger als auch als Gesangspädagoge tätig – setzt sich in seiner Publikation ausführlich mit Stimmfächern auseinander. Er stellt zahlreiche Beispiele vor, bei denen die stimmliche Zuordnung erst auf den zweiten Anlauf glückte. In umfangreicheren Kapiteln geht er dann u. a. auf Tonbildung, Atem, Stütze/Appoggio und Sprachlaute ein und widmet sich insbesondere in Kapitel XIII (Fachverkennung) und XIV (Kriterien der Fachbestimmung) der Zuordnung von SchülerInnen zu einem Stimmfach. Ein erheblicher Teil des Buchs dient somit auch der Auseinandersetzung mit allgemeinen gesangspädagogischen Themenfeldern und gibt einen Einblick in Jan Tamarus gesangspädagogische Auffassungen.
Ohne einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Einordnung in Stimmfächer aufzuzeigen, widmet sich Tamaru in Kapitel XV den psychologischen Typen nach Carl Gustav Jung. Der Autor weist darauf hin, dass dieses Gebiet in der Gesangspädagogik bislang wenig beachtet worden und kein aufwendiges Psychologiestudium notwendig sei, um mit C. G. Jungs Erkenntnissen umzugehen. Tamaru stellt zunächst nach seinem Verständnis von Jung die verschiedenen Typen vor und zeigt dann die Anwendung dieser Typenlehre im Gesangsunterricht auf.
In seinem Buch gelingt es Jan Tamaru, die Bedeutung der Einordnung in Stimmfächer aufzuzeigen und insbesondere auf die möglichen Folgen einer unpassenden Einordnung aufmerksam zu machen. Es gelingt außerdem, grundlegende gesangspädagogische Begrifflichkeiten darzustellen und einen Einblick in Carl Gustav Jungs Typenlehre vor dem Hintergrund gesangspädagogischen Handelns zu geben. Nicht an allen Stellen allerdings wird die Verbindung zur Stimmfach-Einordnung deutlich; vielmehr erscheint das Buch teilweise als überblicksartiges gesangspädagogisches Lehrbuch.
Zusätzlich erweckt das Buch den Anschein, es gebe für jeden Sänger und jede Sängerin ein „richtiges“ Stimmfach, welches es nur herauszufinden und dann beizubehalten gelte. Dass sich eine Stimme im Lauf der Jahre verändern kann und ein Fachwechsel aufgrund dessen vorgenommen werden kann oder gar muss; dass eine Stimme generell ein Zwischenfach sein kann und sich weder abschließend als Sopran/Tenor noch als Mezzosopran/Bariton einordnen lässt; dass sich das eigene Selbstbild im Laufe der Berufstätigkeit verändert und aufgrund dessen andere Stimmklänge und -farben möglich werden; das alles thematisiert der Autor leider nicht.
Raika Lätzer