Röbke, Peter
Fähigkeiten trainieren oder Prozesse erforschen?
Was heißt eigentlich „professionelles“ Unterrichten in der EMP?
Was bedeutet professionelles Unterrichten in einem Fach, in dem das menschlich Besondere und das künstlerisch Überraschende eine so große Rolle spielen können? Der Beitrag versucht pädagogische Professionalität vor allem in einer Haltung des Forschens zu fassen, einer Haltung, die sich auf die Singularität eines jeden Gruppengeschehens und die besonderen ästhetischen Momente im elementaren Musizieren einlassen kann, ohne der Beliebigkeit zu verfallen oder in einem Gruppenchaos unterzugehen.
muss im Herbst 1980 gewesen sein: Soeben hatte ich mein Lehramtsstudium hinter mich gebracht und schon fand ich mich mit einem Teilzeitvertrag an einer kleinen Musikschule in der Nähe meiner Heimatstadt Essen wieder, ausgestattet mit dem Auftrag, einige Kinder auf der Geige zu unterrichten und daneben auch noch zwei Gruppen der Musikalischen Früherziehung zu führen. Dass für die MFE an der Musikschule der Schulmusiker Peter Röbke mit Hauptfach Violine eingestellt wurde, also jemand, der sich in seiner Ausbildung nicht ein einziges Mal mit diesem Fach befasst hatte, war absolut die Norm, ja eigentlich sogar eine recht gute Idee, denn MFE wurde durchaus auch von Personen ohne jedes musikpädagogische Studium unterrichtet (böse Zungen sprachen von der MFE als einer Nebenbeschäftigung für unterforderte Hausfrauen). Jedenfalls: Wenn Dietlind Uhlig zufolge von einem wirklichen Beruf, also einer „Profession“ erst dann zu sprechen ist, wenn die Berufsgruppe gute Beschäftigungsaussichten hat, für ihre Tätigkeit ein klar definierter gesellschaftlicher Bedarf besteht und sie selbstständig organisiert sowie gut und spezifisch ausgebildet ist, dann war MFE-Lehrer oder -Lehrerin kein Beruf, sondern allenfalls eine Beschäftigung.1
Immerhin aber stand ich nicht völlig allein – mein hilfreicher Musikschuldirektor drückte mir das VdM-Curriculum Tina und Tobi in die Hand, das sich für den elementarpädagogischen Anfänger zunächst durchaus als hilfreich erwies. Es nahm mich gewissermaßen an die Hand und präsentierte Stunde um Stunde ausgefeilte Verläufe: Wenn es mir nur gelänge, diese Stundenbilder möglichst reibungslos in die Praxis zu übersetzen, dann sollte eigentlich nicht viel passieren und der didaktische Erfolg wäre mir sicher; Lernziele würden effizient erreicht, Lernfelder ausreichend beackert, Kinder optimal für den Instrumentalunterricht vorbereitet!
Der Ruf nach Professionalisierung
Aus heutiger Sicht, das heißt nach Jahrzehnten der fachlichen Entwicklung und Etablierung der EMP auch im akademischen Bereich – und das heißt auch: der Ausbildung von hoch qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern –, ist es leicht, über die damaligen Bemühungen zu schmunzeln. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass das VdM-Curriculum durchaus einen Meilenstein in der professionellen Entwicklung der EMP darstellte:
– Immerhin waren der Erstellung erste Ansätze einer musikpsychologischen Grundlagenforschung vorausgegangen, wobei vor allem Helmut Moogs Schrift Das Musikerleben des vorschulpflichtigen Kindes zu nennen ist.
– Der Versuch, auf dieser Basis dann methodische Wege zu bahnen, auf denen musikalisches Wissen und musikalische Fähigkeiten im Vorschulalter systematisch entwickelt werden könnten, war kein Schnellschuss oder die Kopfgeburt einzelner Autoren: Über Jahre hinweg bemühte sich ein Team, musikpädagogische Ziele und musikpsychologisches Basiswissen im Sinne einer angewandten Wissenschaft („applied science“) zu verschmelzen.
– Schließlich wurden auch Anstrengungen unternommen, Lehrerinnen und Lehrer dafür zu qualifizieren, die Resultate angewandter Wissenschaft optimal und reibungslos im Unterrichtsalltag umzusetzen: Ich verweise auf den berufsbegleitenden Lehrgang für MFE an der Bundesakademie Trossingen und schließlich die MFE-Ausbildung an der Musikhochschule Hamburg unter der Leitung von Diethard Wucher.
Das nähert sich schon einer wirklichen Professionalität – wobei die Unterscheidung zwischen „Beruf“ und „Beschäftigung“ nicht von mir ist: Die Differenzierung zwischen einer wissens- oder besser: wissenschaftsbasierten „profession“ und einer „occupation“, die hinsichtlich der Grundlagen ihres Handelns im Nebel stochert, mehr oder weniger auf alltäglichem Trial-and-Error beruht und eher zufällig Ergebnisse hervorbringt, durchzieht die berufssoziologische Literatur vor etwa 50 Jahren. Konkret: hier etwa der Arzt, der aufgrund seiner wissenschaftlich gestützten Einsicht in das Körpergeschehen die Krankheit diagnostiziert und jene Therapie verordnet, die zu evidenten Heilerfolgen führt; dort der Sozialarbeiter, der hauptsächlich aufgrund von Menschenkenntnis das Schlimmste zu verhüten sucht und allenfalls gefährdete und brüchige Erfolge erzielt.
1 vgl. Dietlind Uhlig: „Auf dem Weg zur Professionalisierung? Vom Jugend- und Volksmusiklehrer zur Instrumentalpädagogin“, in: Üben & Musizieren 2/2002, S. 26-31.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2010.