Gade, Niels Wilhelm

Fantasiestücke op. 43

für Klarinette und Klavier, hg. von Nicolai Pfeffer

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2017
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 59

Die vier Fantasiestücke des däni­schen Komponisten Niels W. Gade (1817-1890) sind wohl die ­beliebtesten Stücke, mit denen KlarinettistInnen schon als SchülerInnen in die Musikwelt der Romantik eingeführt werden. Zum 200. Geburtstag Gades hat der Henle-Verlag die individuell gestalteten Stücke mit einer Ballade als Mittelpunkt in sein Programm aufgenommen und legt damit ein weiteres Werk der Klarinettenliteratur in einer fundierten Urtext-Ausgabe vor.
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer, der schon verschiedene andere Ausgaben von Klarinettenwerken betreut hat, ist als Herausgeber für den Notentext verantwortlich. Um alle editorischen Fragen klären zu können, bedarf es einer guten Quellenlage, die für die Fantasiestücke recht unkompliziert ist, da die Klavierpartitur und die separate Klarinettenstimme als Autograf existieren und auch die Erstausgabe von 1864 (Kistner, Leipzig) zur Ver­fügung steht. Wichtig ist auch eine Druckvorlage, in der die Komponisten zumeist noch Korrek­turen oder weitere Eintragungen vorgenommen haben, die im Falle des Op. 43 jedoch nicht mehr vorhanden ist. Somit bleibt als maßgebliche Quelle der Erstdruck, der auch der verbreiteten Hansen-Edition der Fantasiestücke als Vorlage diente.
Interessant ist der Blick auf die Tempoangaben und Taktvorzeichnung des Autografs. Gade hat den ersten Satz zunächst nur mit Larghetto angegeben und später con moto hinzugefügt, der zweite und vierte Satz wird jetzt im 4/4-Takt notiert, während das Autograf jeweils alla breve vorzeichnet, was dem Met­rum mehr entspricht, wobei im letzten Satz Allegro molto vivace ursprünglich der Zusatz vivace fehlt. Ein Indiz für die Problematik von Tempoangaben!
Der Herausgeber konnte, wie oft bei älteren Verlagsausgaben, viele Ungenauigkeiten bei der Setzung von Crescendo-Gabeln vermerken, die unkommentiert korrigiert wurden. Wenige Stich-Fehler werden in den Bemerkungen erläutert. Weitere Entscheidungen des Herausgebers beeinflussen die Interpretation maß­geblich: Im zweiten Satz werden alle uneinheitlichen Akzentuierungen des synkopierten ersten Klarinettenmotivs gemäß der Erstausgabe gelöscht. Warum im letzten Satz, dessen temperamentvoller Ausdruck durch den Zusatz con fuoco in der Klarinettenstimme unterstrichen wird, in Takt 21 nur forte steht und nicht das fz aus dem Autograf und dem Erstdruck übernommen wird, ist nicht nachvollziehbar.
Ansonsten werden bei Parallelstellen sinnvolle Angleichungen vorgenommen. Allerdings vermisst man im zweiten Satz in T. 20 eine Angleichung bzw. einen Kommentar zum Bass des Klavierparts, der im Vergleich zur exakt gleichen Stelle in T. 24 einen anderen Rhythmus des Te­nortons f notiert. Bei der Neuausgabe kann man auch über die exakte Setzung von Crescendo-Gabeln im Vergleich zur Erstausgabe diskutieren. Letztendlich entscheidet das mu­sika­li­sche Gespür über Details, für die der gewohnt qualitätvoll gedruckte Henle-Urtext mit seinen Anmerkungen sensibilisieren kann.
Heribert Haase