Fast original…

4 Stücke für 3 Violoncelli, hg. von Bernhard Helpenstein, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ponticello Edition, Mainz 2012
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 62

Celloduette haben eine lange Tradition, Celloquartette erfreuen sich seit einigen Jahrzehnten nicht zuletzt dank unermüdlicher Bearbeiter großer Beliebtheit. Vergleichsweise stiefmütterlich nimmt sich hingegen das Repertoire für Cellotrio aus. Gewiss lassen sich barocke Sonaten für zwei tiefe Stimmen plus Continuo jederzeit zu Cellotrios umfunktionieren, doch darüber hinaus finden sich, zumal aus nach-barocker Zeit, nur wenige Originalwerke und auch nicht allzu viele lohnende Bearbeitungen.
Umso erfreulicher nimmt sich ­eine Veröffentlichung aus, die völlig zu Recht den Titel Fast original… trägt: Dieser Band der jungen Edition Ponticello, die durch die Publikationen der genialen Crossover-Cellowerke von Mark Summer auf sich aufmerksam machen konnte, enthält vier Sätze aus der Barockzeit, die allesamt nahe am Cellotrio gebaut haben: einen Marsch aus der Oper Scipio von Händel, den bereits Stephen Paxton im 18. Jahrhundert in verschiedenen Basso-Arrangements veröffentlicht hat, außerdem den langsamen Satz des Konzerts für zwei Violoncelli von Vivaldi (in dem die hohen Streicher ohnehin schweigen), eine dreistimmige, ursprünglich für Dulziane oder ­Fagotte bestimmte Sonate aus dem Grundlegenden Unterricht der musikalischen Kunst (1697) von Daniel Speer sowie die für Gambentrio gesetzte, über sanften Orgelpunkten schwebende Plainte aus einem der Nouveaux Concerts von Couperin.
Der Notentext wurde für diese Edition bewusst nicht spieltechnisch eingerichtet, es gibt keine vereinheitlichenden, geschweige denn den Originalen zuwiderlaufenden Bogensetzungen. Allein dieser Aspekt verdient Lob und Dank, denn so ist kreativen Lehrkräften und SchülerInnen die Möglichkeit gegeben, diese schönen Stücke in barocker Phrasierung und Stilistik einzustudieren. Der Tonumfang der oberen Stimme reicht ein einziges Mal bis zum h’, ansonsten wird das a’ nicht überschritten. Aufgrund ihrer musikalischen Struktur sind die Bassstimmen aller Stücke – dies gilt insbesondere für Vivaldi und Couperin – hinsichtlich ihrer technischen Anforderungen deutlicher weniger anspruchsvoll als die beiden oberen Stimmen. Die Ausgabe ist daher wie geschaffen für gemeinsames Musizieren von jüngeren und älteren SchülerInnen oder auch cellobegeisterten Familien, in denen der kleine Bruder oder die kleine Schwester schon mittun möchte.
Fast original… ist eine ausgesprochen gelungene Repertoire­erweiterung und zudem beispielhaft in dem Sinne, dass heutzutage, da die Notwendigkeit des Bearbeitens mit dem Ziel der Verbreitung von Musik nicht mehr besteht, instrumentale Adaptionen weniger dem Zweck dienen sollten, Musik gewaltsam maßzuschneidern, als vielmehr die Musizierenden mit den Spezifika bestimmter Werke und Epochen vertraut zu machen.
Gerhard Anders