Welte, Andrea
Faszination und Emotion
Eine Befragung zum Thema „Musik des Barock und ihre Vermittlung“
„Keine Ahnung“ oder „Oh, damit kenne ich mich nicht aus“: Mit dem Begriff „Barockmusik“ verbinden viele Menschen, jüngere wie ältere, nur wenig. Sogar SchülerInnen, die bereits einige barocke Stücke musiziert haben, reagieren unsicher, wenn man sie nach der Musik des Barock fragt: „Eine ältere Musikrichtung“ oder „Man hat es früher viel gespielt“. Doch das ist nur die eine Seite. Auf der anderen gilt: Barock ist modern. Barockmusik weckt Emotionen. Sie erreicht – nicht nur mittels Werbung und Hintergrundmusik – ein relativ großes Publikum.
Weltweit werden im Klassik-Bereich ähnlich viele Alte-Musik-Tonträger (vor allem des Barock) wie der Musik späterer Epochen verkauft. Sasha Waltz’ Inszenierung der tragischen Liebesgeschichte Dido und Aeneas von Henry Purcell entwickelte sich seit der Premiere 2005 zu einer der international erfolgreichsten Opernproduktionen. Das Interesse an Alter Musik zeigt sich auch im Bereich musikalischer Bildung. Mittlerweile existieren an zahlreichen Hoch- und Musikschulen Fachbereiche für Alte Musik. Die Anzahl der MusikerInnen, die sich sowohl der traditionellen Spielweise als auch der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtet fühlen, wächst. Immer häufiger beschäftigen sich schon Kinder mit einem „historischen“ Instrument.
Leitfragen, Methoden und Ziele
Was fasziniert an barocker Musik? Warum hören oder spielen Menschen heute Musik des Barock? Wie kam es, dass diese Musik persönlich bedeutsam für sie wurde? Welche Rolle spielt Barockmusik in ihrer musikalischen Lernbiografie? Worauf kommt es beim Musizieren an? Und schließlich: Wie kann Barockmusik im Unterricht erfolgreich vermittelt werden?
In einer qualitativen Studie habe ich diese Fragen verfolgt. Dabei ging es nicht um statistische Repräsentativität, sondern vielmehr um exemplarische Einzelfälle, um die subjektiven Meinungen und Werthaltungen von Menschen, die Barockmusik hören, spielen oder vermitteln. Wichtig war mir, die Befragten möglichst unverzerrt zu Wort kommen zu lassen, um Erkenntnisse über ihre Erfahrungen, Sichtweisen, Haltungen und Verhaltensweisen im Umgang mit Barockmusik – auch im biografischen Kontext – zu gewinnen. Einschränkend gilt, dass Persönlichkeitsmerkmale, die auch mittels qualitativer Untersuchungen nur schwer zu ermitteln sind, Meinungen und Haltungen natürlich entscheidend mitprägen.
Um die Fragestellung aus verschiedenen Perspektiven in den Blick zu bekommen, habe ich neun problemzentrierte Interviews geführt und eine schriftliche Befragung mittels eines Fragebogens durchgeführt.1 Die PartnerInnen für das mündliche Interview wurden nach folgenden Kriterien ausgewählt: Es sollten sowohl InstrumentalschülerInnen als auch Musik- bzw. InstrumentallehrerInnen befragt werden; verschiedene Altersgruppen sollten vertreten sein; die Befragten sollten über Erfahrungen mit Barockmusik verfügen. Die Befragten waren zwischen elf und 54 Jahre alt. Für die Interviews habe ich einen Gesprächsleitfaden mit Fragen zu den Themenbereichen „Rezeption von Barockmusik“, „Musikalische Lernbiografie und Barockmusik“, „Interpretation und Vermittlung von Barockmusik“ entwickelt. Je nach Gesprächsverlauf wurden jedoch auch Fragen verändert bzw. ergänzt. Zusätzlich habe ich TeilnehmerInnen eines musikpädagogischen Seminars im Studiengang „Pädagogische Ausbildung“ der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin – es handelte sich also um angehende Lehrende an Musikschulen und in freiberuflicher Tätigkeit – befragt. Der Fragebogen wurde von zehn Studierenden unterschiedlicher Hauptfächer im Alter von 18 bis 24 Jahren ausgefüllt.
Erfahrungen mit Barockmusik
Im Folgenden stelle ich zwei Fallbeispiele exemplarisch vor. Im ersten Fall handelt es sich um eine erwachsene Schülerin, im zweiten um eine junge Lehrerin, die sich noch im Studium befindet. Beide fühlen sich sehr zur Barockmusik hingezogen.
1 Zum problemzentrierten Interview als Methode der Sozialforschung siehe Philipp Mayring: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken, Weinheim 52002, S. 329 ff. und Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung: Lehrbuch, Weinheim 42005, S. 66 ff.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2009.