Mayran de Chamisso, Olivier

Féeries – Zauberwelten

6 Arpeggio-Etüden für Gitarre

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott Frères, Brüssel/Mainz 2012
erschienen in: üben & musizieren 3/2013 , Seite 62

Von Andrés Segovia stammt die Erkenntnis, dass man, um für die Gitarre gut zu komponieren, diese spielen können müsse – mehr noch, dass man sie gut spielen können müsse. Bei dem vorliegenden Heft hat der Komponist, 1955 in Versailles geboren, die enge Zusammenarbeit mit dem anerkannten Lehrer und Gitarristen Dieter Kreidler gesucht. Offensichtlich erfolgreich: die Féeries – Zauberwelten, das sind gut spielbare und wirkungsvolle Klangwelten.
Das erste Stück, „Die Libelle“, ist der Gitarre auf den Leib geschrieben. Hier stößt ein Mittelstufenspieler auf keine technischen Schwierigkeiten, wohl aber auf viele Möglichkeiten, die klanglichen Eigenheiten der Gitarre zur Geltung zu bringen. Das zweite Stück, „Der Stern“, spielt zuerst mit natürlichen Flageolett-Tönen und Prim-Klängen in hohen Lagen und dann geschickt mit in sich verwobenen Klängen aus einem gehaltenen Basston mit gegriffenen und leeren Saiten. Es ist wohl kaum vermeidbar, dass es dabei auch Griffkonstellationen gibt, die ein ganzes Stück schwieriger sind als der unmittelbare Takt zuvor und danach – jedoch nicht unüberwindbar schwieriger.
Die technischen Anforderungen steigen dann nochmal beim nächsten Stück, „Die Quelle“. Nun gibt es einen kleinen Barré in der X. Lage mit gleichzeitig gegriffenem b in der XIII. Lage. Doch auch hier gilt: Das ist zwar schwierig, aber gut in die Takte zuvor und danach eingebettet (und mesure libre hilft auch). Wer den Anfang dieser Komposition spielen kann, wird auch diese Stelle bewältigen.
Nr. 4 „Tanz der Bienen“ spielt mit dem Querstand e/eis und kurzen chromatischen Rückungen. Auch hier ist fast alles gitarristisch, also gut greifbar und den Möglichkeiten des Instruments entgegenkommend. Beim „Kolibri-Schwärmer“ steht man vor einer neuen interessanten Aufgabe: Die Melodie in Ganzen soll und kann zu hören sein, während der Kolibri in Triolen-Achteln darunter her schwirrt.
Einzig beim letzten Stück, „Der Tausendfüßler“, habe ich als Spieler einen Wermutstropfen zu schlucken, denn von 44 Takten sind gerade einmal vier ohne Barré zu spielen. Da schreit der linke Arm irgendwann um Gnade in Form von Entspannung. Dass dieses Stück seine Anlage in der ersten Etüde von Heitor Villa-Lobos findet, ist nicht zu beanstanden, denn de Chamisso kopiert hier nichts, sondern hat die kompositorische Kraft, auf der Grundidee von Villa-Lobos eine eigene Klanggeschichte zu erzählen.
Die vielen Fingersatz- und Saitenbezeichnungen sind insbesondere bei Prim-Intervallen, also Wiederholungen desselben Tons auf verschiedenen Saiten, hilfreich und belasten das Notenbild nicht unnötig. Mit Sicherheit ist de Chamisso ein guter Gitarrist, so wie ihn Andrés Segovia wünscht. Und ich wünsche diesen Stücken viele Spieler.
Ulrich Hellberg