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Kruse-Weber, Silke

Fehlerfreundlich statt fehlerfrei

Umgang mit Fehlern, Fehlerfolgen und Fehlerrisiken beim Musizieren und Unterrichten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , Seite 18

In diesem Beitrag werden Situationen von Fehlern in musikalischen Kontexten differenziert und Einstellungen zu Formen der Fehlerbewältigung beschrieben. Abgerundet werden die Erörterungen durch Fallbeispiele, die im Rahmen eines Seminars mit Studierenden zum Thema “Umgang mit Fehlern” an der Kunstuniversität Graz enstanden. Zudem werden Ansätze für ein sinnvolles Herangehen an Fehler erörtert unter Einbezug der Organisations- und Arbeitspsychologie sowie von Risikodisziplinen wie z. B. der Luftfahrt.

Auf allen Leistungsstufen und in der gesamten musikalischen Entwicklung bildet der konstruktive Umgang mit Fehlern ein zentrales Thema. Eine produktive Fehlerkultur stellt einen entscheidenden Faktor für den Erfolg in einer Lehrer-Schüler-Beziehung, beim zielgerichteten Üben und Auftreten dar. Dennoch gibt es bisher relativ wenig explizites und systematisches Wissen zum Umgang mit Fehlern in der Instrumental- und Gesangs­pädagogik.2
Im Wesentlichen sind zwei grundlegende Einstellungen zum Umgang mit Fehlern zu unterscheiden. Während sich die Pädagogik auf das Lernen aus Fehlern fokussiert, steht in Leistungssituationen die Qualität und Fehlervermeidung im Zentrum. Im Unterricht wünschen wir uns, Fehler machen zu dürfen und gezielt in unserem Lernprozess unterstützt zu werden. Wenn mit Fehlern gerechnet wird, sie angenommen werden, wenn sie geschehen dürfen und hierbei Kontinuität und Orientierung des Lernenden erhalten bleiben, spricht man von Fehlerfreundlichkeit.3 Dies impliziert, dass Fehler als positive Lern- und Veränderungschancen gesehen werden.4
Zu differenzieren ist die Strategie der Fehlervermeidung beim Üben. Das Motto: „Übe langsam, konzentriert und in kleinen Schritten, um ein gutes, fehlerloses Ergebnis zu erzielen“, mag sinnvoll sein, wenn es darum geht, Fehler zu vermeiden, um das Einschleifen von Falschem zu verhindern. Fehlervermeidung führt am Anfang zu positiven Konsequenzen, da die Anzahl der Fehler wie auch die negativen Fehlerkonsequenzen ­reduziert werden. Schwierig wird es, so der Fehlerforscher Michael Frese, wenn die Fehlervermeidung als ausschließliche Strategie verwendet wird, weil die Gefahr der Automatisierung, der Ausblendung von Fehlermöglichkeiten sowie der Verringerung des Handlungswissens und Lernens aus Fehlern besteht. „Mit dem Grad der versuchten Fehlervermeidung beschleunigt sich die Kurve der negativen Konsequenzen eines Fehlers.“5
In der einschlägigen Literatur wird ein Wandel von der Fehlervermeidung hin zur Nutzung des Lernpotenzials von Fehlern empfohlen.6 Fehlerkultur in der Instrumental- und Gesangspädagogik besteht darin, das Spekt­rum zwischen Fehlerfreundlichkeit und Fehlervermeidung in den Anforderungssituationen von Leistung und Lernen aus Fehlern produktiv und konstruktiv zu gestalten.

Fehlermanagement: Umgang mit Fehlerfolgen

Ein gutes Fehlermanagement ermöglicht erstens, die Folgen von Fehlern möglichst niedrig zu halten oder gar nicht aufkommen zu lassen, zweitens, sie schnell und unauffällig zu korrigieren, und drittens, Folgefehler zu vermeiden.7 Zu unterscheiden sind Fehler von Fehlerkonsequenzen. „Ein Fehler auf der Bühne kann nicht zum Versagen werden, es sei denn der Musiker betrachtet es als solches.“8 Angstbesetzter Umgang mit Fehlern kann die Leistung blockieren und zum Ende einer Karriere führen.9 „Eine der wichtigsten Ursachen für Aufführungsängste ist daher die Einstellung gegenüber den Folgen von Fehlern. In jeder Auftrittssituation ist die Angst vor den Folgen von Fehlern präsent, weil Fehler nicht zurückgenommen werden können. Wer Angst vor den Folgen von Fehlern erlernt hat, baut die Erwartung auf, fehlerlos spielen zu müssen. Der Zwang zur Fehlerlosigkeit erweist sich als der erste Schritt zur späteren Aufführungsangst.“10
Folgendes Beispiel von Frau S. veranschaulicht dies: „In Korea hatte ich einmal einen Vorspielabend von der Musikschule, damals war ich zwölf Jahre alt und Musizieren war nur ein Hobby (!) für mich. Kurz vor dem Konzert hatte ich Stunde und hab mit sehr vielen Fehlern gespielt, da ich nervös war. Da war die Lehrerin nicht mehr tolerant und hat mich ,zur Schnecke‘ gemacht, weil sie unbedingt wollte, dass ich als Fortgeschrittene vor den anderen ohne Fehler spiele. Meiner Meinung nach können die Fehler beim Spielen passieren, aber nach der Quälerei von der Lehrerin war ich noch mehr nervös und im Endeffekt konnte ich keinen einzigen Ton richtig produzieren. Seit dieser schlechten Erfahrung habe ich Lampenfieber…“11
Hoher emotionaler Druck und Erhöhung der Komplexität sind charakteristisch für Stress im Umgang mit Fehlern. Ist der Druck zu hoch, wird die Aufmerksamkeit eingeschränkt und man ist auf den vergangenen Fehler fixiert. Es entstehen Anschlussfehler, die normalerweise nicht gemacht würden.12 Negative emotionale Effekte beanspruchen weitere kognitive Kapazität. Wenn von automatisierter Routine auf die intellektuelle Ebene umgeschaltet werden soll, kann das Musizieren scheitern, weil keine bewussten Schemata vorhanden sind.13
Frau K. beschreibt das so: „Nachdem ich einen Fehler gemacht hatte, wurde ich nervös und verlor meine Konzentration auf das, was ich eigentlich zeigen wollte. Ich begann, mich zurückzuhalten, anzustrengen, gegen meine Nervosität anzukämpfen, Kontrolle zu gewinnen und beging im Zuge dessen noch mehr Fehler. Nach der Aufführung – egal, wie gut sie insgesamt ankam – fühlte ich mich frust­riert und dachte nur noch an meine Fehler.“14

1 vgl. Fallbeispiele veröffentlicht in Silke Kruse-Weber (Hg.): Exzellenz durch differenzierten Umgang mit Fehlern. Kreative Potenziale beim Musizieren und Unterrichten, Mainz 2012, S. 135-174.
2 vgl. Publikationen zum Thema Fehler, z. B.: Gerhard Mantel: Einfach Üben. 185 unübliche Überezepte für ­Instrumentalisten, Mainz 2001; Maria Spychiger: „Vom Umgang mit dem Fehler im Instrumental- und Vokal­unterricht“, in: Schriftenreihe zum Projekt „Lernen Menschen aus Fehlern? Zur Entwicklung einer Fehlerkultur
in der Schule“, Nr. 4/Nr. 5, Fribourg 1998; Peter Röbke: „Vom Umgang mit Fehlern“, in: Ulrich Mahlert (Hg.): Handbuch Üben. Grundlagen, Methoden, Konzepte, Wiesbaden 2006, S. 370-382; Silke Kruse-Weber (Hg.): Exzellenz durch differenzierten Umgang mit Fehlern. Kreative Potenziale beim Musizieren und Unterrichten, Mainz 2012; Maria Spychiger: „Die schwierige Stelle anlächeln. Zur Entwicklung von Fehlerkultur in der Instrumentalpädagogik“, in: üben & musizieren 2/2014, S. 32-34; Silke Kruse-Weber/Richard Parncutt: „Error mana­ge­ment for musicians: an interdisciplinary conceptual framework“, in: Frontiers in Psychology, 2014; Silke Kruse-Weber/Florian Knupfer:„Fehlervermeidung und Fehlerfreundlichkeit. Umgang mit Fehlern in der Instrumentalpädagogik“, in: Musica Sacra, März 2015, S. 130-133.
3 vgl. Christine Weizsäcker/Ernst Ulrich von Weizsäcker: „Fehlerfreundlichkeit“, in: Klaus Kornwachs (Hg.): ­Offenheit – Zeitlichkeit – Komplexität. Zur Theorie der Of­fenen Systeme, Frankfurt am Main 1984, S. 167-201; Theo Wehner (Hg.): Sicherheit als Fehlerfreundlichkeit. Arbeits- und sozialpsychologische Befunde für eine kritische Technikbewertung, Opladen 1992.
4 vgl. Wehner, S. 16.
5 vgl. zum „Dilemma der Fehlervermeidungsstrategie“ Michael Frese: „Fehlermanagement: Konzeptionelle Überlegungen“, in: Michael Frese/Dieter Zapf (Hg.): Fehler bei der Arbeit mit dem Computer, Bern 1991,
S. 139-150, hier: S. 141, http://geb.uni-giessen.de/geb/ volltexte/2008/6172/pdf/FreseFehlermanagement.pdf (Stand: 10.5.2015).
6 vgl. u. a. Anna Gewiese/Eveline Wuttke/Ronny Kästner/Jürgen Seifried/Janosch Türling: „Professionelle Fehlerkompetenz von Lehrkräften. Wissen über Schülerfehler und deren Ursachen“, in: Uwe Faßhauer/Josef Aff/Bärbel Fürstenau/Eveline Wuttke (Hg.): Lehr-Lernforschung und Professionalisierung. Perspektiven der ­Berufsbildungsforschung, Opladen 2011, S. 161-172, insbesondere S. 162, www.pedocs.de/volltexte/2013/7039/pdf/Fasshauer_Lehr_Lernforschung_2011_Gewiese_et_al_ Professionelle_Fehlerkompetenz.pdf (Stand: 13.6.2015); vgl. auch Markus Rieger-Ladich: „Auffälliges Vermeidungsverhalten. Scheitern als Gegenstand des pädagogischen Diskurses“, in: René John/ Antonia Langhof (Hg.): Scheitern, ein Desiderat der Moderne?, Wiesbaden 2014, S. 282.
7 vgl. Frese, S. 142.
8 Gerald Klickstein: Beruf Musiker. Ein Handbuch für die Praxis, Mainz 2011, S. 205.
9 vgl. u. a. Diana Kenny/Margaret S. Osborne: „Music performance anxiety: New insights from young musi­cians“, in: Advances in cognitive psychology 2 (2-3), 2006, S. 103-112.
10 Helmut Möller: „Musikeralltag: Lampenfieber und Aufführungsangst, Formen, Ursachen und praktische Hinweise“, in: Vorträge zur Fachtagung 2004. Musikermedizin aus psychosomatischer Sicht. Aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse, Prävention, Behandlung und Rehabilitation, S. 55-73, hier: S. 61, https://www.rhoen-klinikum-ag.com/rka/cms/psk_2/ deu/download/Schriftenreihe3.pdf (Stand: 29.5.2015).
11 Fallbeispiele, in: Kruse-Weber, S. 163.
12 vgl. Frese, S. 143.
13 vgl. Interdisziplinäres Roundtable-Gespräch mit Boris Kuschnir, in: Kruse-Weber, S. 40; vgl. auch den Tausendfüßler-Effekt in Frese, S. 143.
14 Fallbeispiele, in: Kruse-Weber, S. 163.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2015.