Fest oder fast angestellt?
Ein Kommentar und seine Folgen
Der Kommentar von Anja Bossen und Sebastian Herbst zum Stuttgarter Appell des VdM – „Wann, wenn nicht jetzt?“, musikschule )) DIREKT 4.2017, Seite 6 – hat einige Wellen geschlagen. Wir dokumentieren im Folgenden zwei Zuschriften sowie die Stellungnahme der beiden AutorInnen.
Zitat aus dem Kommentar von Anja Bossen und Sebastian Herbst (ver.di, Fachgruppe Musik) zum Stuttgarter Appell des VdM: „Wer dies nicht möchte [eine Festanstellung], dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben und Lehrplänen richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.“
Dieser Satz zeigt die ganze Aggressivität der seit jeher einseitigen Lobbyarbeit von ver.di zugunsten des öffentlichen Dienstes. Diese ist mit ursächlich für die Ungleichbehandlung zigtausender Musikschüler/innen und ihrer Familien in Deutschland und mitverantwortlich für die prekäre Einkommenssituation vieler tausend Musiklehrkräfte im Land, die selbstständig oder an freien/privaten Musikschulen und -instituten unterrichten. Dazu haben wir aus Sicht des Bundesverbands der Freien Musikschulen Folgendes zu sagen:
1. In bdfm-zertifizierten Musikschulen kann mitnichten jeder unterrichten, sondern ausschließlich qualifizierte Lehrkräfte.
2. Der Anteil fest angestellter Musiklehrkräfte sinkt in unseren Schulen nicht (wie im VdM), sondern steigt.
3. Das staatliche Bildungsinteresse ist, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen Zugang zu qualitativ hochwertiger musikalischer Bildung haben. Die Qualität von Bildung ist jedoch nicht von einer staatlichen Schulträgerschaft abhängig, sondern von einem geregelten Qualitätsmanagement sowie von einer öffentlichen Förderung, die dieses auch ermöglicht. Sehr oft bieten bereits jetzt private Schulen eine höhere Qualität als viele staatliche.
4. Das entscheidende Hemmnis für Festanstellungen (oder höhere Honorare) in bdfm-Schulen ist die Tatsache, dass öffentliche Förderung in fast allen Kommunen ausschließlich der staatlichen Musikschule zuteil wird. Alle freien Musikpädagogen und freien Musikschulen müssen jedoch preislich mit diesen subventionierten Schulen konkurrieren. Im Ergebnis müssen sie eine mindestens gleichwertige kulturelle Bildungsarbeit mit nur ca. 40 bis 50 Prozent des Budgets einer kommunal geförderten Musikschule leisten. Dieser extreme Preisdruck und damit die Existenzängste zigtausender freier Musikpädagogen und ihrer Familien ist zu guten Teilen der oben angesprochenen massiven und einseitigen Lobbyarbeit der ver.di-Fachgruppe Musik zu verdanken.
In vielen anderen Bildungsfeldern (Kindertagesstätten, allgemeinbildende Schulen, Berufsfachschulen etc.) ist ein geregeltes Nebeneinander verschiedener Trägerschaften (kommunal, kirchlich, privat) gang und gäbe. Nur bei den Musikschulen nicht.
Daher unsere Forderung: Auch im Musikschulwesen müssen die Förderstrukturen endlich an die Wirklichkeit angepasst werden. Und diese Wirklichkeit ist: Circa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die außerschulischen Musikunterricht erhalten, erhalten ihn in freien Musikschulen oder bei freien Musikpädagoginnen und -pädagogen.
Die Musikschulpolitik der öffentlichen Hand muss endlich dieser Tatsache Rechnung tragen und die freie Musikschulszene als das begreifen, was sie schon lange ist: eine entscheidende Säule der musikpädagogischen Landschaft in Deutschland.
Der Bundesverband der Freien Musikschulen bietet sich in dieser Sache ausdrücklich allen Gesprächen an!
Max op Den Camp, Bundesvorstand des Bundesverbands der Freien Musikschulen
Zwei Seelen, ach, wohnen in jedes Musikers Brust: die eine, die nach Sicherheit verlangt und Festanstellung an der Musikschule erträumt, und die andere, die die unwägbare, krisenanfällige Unabhängigkeit des freien Musikers vorzieht, der eben auch ein bisschen an der Musikschule unterrichtet. Welche Vorteile haben Festanstellungen? Für den Einzelnen ist das ganz klar: soziale Sicherheit ist ein hohes Gut. Familienplanung und Hausbau sind möglich, die Existenzangst ist weg. Ich habe in Musikschulen gearbeitet mit vielen fest angestellten Kollegen und festgestellt, dass das einzige, was zunimmt, die Verwaltungsbürokratie ist. Aber die Freude am Musizieren, die Spontanität gehen in solchen Einrichtungen immer mehr verloren. Man geht halt arbeiten wie alle anderen auch. Der Musikschullehrer wird zum Unterstufenlehrer. Und anstrengen muss sich auch keiner mehr.
Ein fest angestellter Musikschullehrer muss täglich fünf bis sieben Stunden arbeiten, um ungefähr auf eine 35-Stunden-Woche zu kommen. Das heißt, fest anstellen kann die Musikschule die Klavierlehrer, die Gitarrenlehrer, die Geigenlehrer und die Flötenlehrer. Für alle anderen sind nicht genug Schüler da. Insbesondere Bläser sind außen vor. Oder kann sich jemand einen fest angestellten Waldhorn- oder Oboenlehrer vorstellen mit 35 Schülern?
Dazu kommt, dass für die Musikschulen die Kosten bei gleichem Angebot an Stunden um 40 Prozent steigen. Auf die Gebühren umlegen kann man das nicht. Also muss der Staat bzw. der Steuerzahler das Geld für die Lohnnebenkosten aufbringen. So entsteht dann eine Zweiklassengesellschaft: die hoch subventionierten Staatsmusikschulen auf der einen Seite mit ihren beamtenähnlichen Lehrkräften, und die kleinen kommunalen Vereinsmusikschulen und Privatmusikschulen auf der anderen Seite, die auf die Veränderungen und Interessen am Ort reagieren können, ihre Lehrer aber weiter lausig bezahlen müssen, weil die Preise am Markt nicht beliebig steigerbar sind.
Fazit: Der gewerkschaftliche Kampf für die Besserstellung von Musikschullehrern ist lobenswert, aber es ist auch veraltetes Denken. Sinnvoller wäre es, zukunftsfähige Modelle zu entwickeln. Zum Beispiel gibt das Land Brandenburg 4,7 Millionen an Zuschüssen für die Staatsmusikschulen aus. Von den 45000 Musikschülern im gesamten Land Brandenburg kommt diese Summe bisher nur den staatlichen/kommunalen Musikschulen zugute. Die Hälfte aller Lehrer und Schüler geht leer aus; und gleichzeitig wird ihnen pauschal die Qualität des Unterrichts abgesprochen. Würde man diese Millionensumme auf alle Musikschüler verteilen, nach Möglichkeit sogar einkommensabhängig, anbieterunabhängig, gleich, ob staatlich, kommunal, Vereinsmusikschule, inhabergeführte Privatmusikschule oder Privatmusiklehrer, dann hätten alle gleiche Bedingungen und jede Musikschule könnte selbst entscheiden, ob sie die Honorarkräfte besser bezahlt oder feste Stellen schafft. Das wäre fair gegenüber allen.
Thomas Heyn, Präsident des DTKV-Landesverbands Brandenburg
Unsere Stellungnahme zum Stuttgarter Appell des VdM hat zu Reaktionen geführt, deren Heftigkeit uns überrascht. Uns wurde vorgeworfen, wir würden sowohl Privatmusikschulen als auch Privatmusiklehrkräften ihre Unterrichtsqualität absprechen. Aufhänger dafür war der Satz: „Wer dies nicht möchte [eine Festanstellung mit Weisungsgebundenheit], dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.“
Doch man muss den Satz schon grammatisch richtig lesen: „Als solche“ bezieht sich auf das Wort „Privatmusiklehrkraft“. Richtig ist, dass jede Privatmusiklehrkraft unterrichten kann, was und wie sie will, sogar unabhängig davon, ob sie eine Ausbildung hat oder nicht, da diese Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. Diese Aussage ist sachlich völlig korrekt. Über die Unterrichtsqualität einer einzelnen Lehrkraft ist damit überhaupt nichts gesagt. Und noch weniger besteht ein Zusammenhang zur Qualität von Musikschulen. Richtig ist aber auch, dass an Privatmusikschulen mehr Honorarkräfte unterrichten als an staatlichen Musikschulen. Damit besteht an Privatmusikschulen eine höhere Chance dafür, nicht fest angestellt zu werden, das heißt nicht weisungsgebunden zu sein und bestimmte Vorgaben umsetzen zu müssen, da freie Lehrkräfte überhaupt nichts müssen, außer ihren vertraglich vereinbarten Unterricht zu erteilen.
Staatliches Bildungsinteresse ist es, ein möglichst hochwertiges, um nicht zu sagen „optimales“ Bildungsangebot zu schaffen (im Sinne dessen, was der Staat als „optimal“ betrachtet). Für dessen Umsetzung sind fest angestellte Lehrkräfte vonnöten, die weisungsgebunden sind, das heißt sowohl Zusammenhangstätigkeiten garantiert ausüben als auch Inhalte von Curricula und andere Vorgaben umsetzen, die der Staat für notwendig hält. Nicht umsonst müssen sich auch allgemein bildende Privatschulen nach vorgegebenen staatlichen Curricula richten; und um diese zu erfüllen, müssen Lehrkräfte an Privatschulen fest angestellt sein, damit sie die über das Unterrichten hinaus notwendigen Zusammenhangstätigkeiten zuverlässig erfüllen. Auch der VdM fordert genau aus diesem Grund einen sehr hohen Anteil von fest angestellten Lehrkräften. Dies schließt nicht aus, dass eine Lehrkraft, die ein wenig nachgefragtes Instrument unterrichtet oder bereits woanders fest angestellt ist, dies als Honorarkraft tun kann, was der VdM in seiner Forderung von 80% Festangestellten zu 20% nicht Festangestellten ja auch genau berücksichtigt. WaldhornlehrerInnen mit nur wenigen SchülerInnen können also durchaus als Honorarkraft unterrichten. Doch was spricht im Fall von wenigen SchülerInnen eigentlich gegen eine Teilzeitstelle mit entsprechend wenigen Stunden?
Weisungsgebundenheit scheint dann letztlich aber auch an privaten Musikschulen etwas mit Qualität zu tun zu haben, denn Mario Müller (Leiter einer privaten Musikschule und Vorsitzender des bdfm) äußert in seinem Beitrag in dieser Ausgabe (siehe Seite 5), dass es zur Umsetzung von qualitätvollem Musikunterricht und der Herausbildung von Alleinstellungsmerkmalen nötig sei, Weisungen an Dozenten zu geben, „was bei freien Mitarbeitern nicht möglich ist“. Dabei kommt er bezüglich der Umstellung von Honorarkräften auf Festangestellte auf eine Mehrbelastung für die Musikschulen von 17%. Der DTKV spricht hingegen von 40%. Diese ziemlich voneinander abweichenden Zahlen sind recht überraschend.
Dass Festanstellungen auch für private Musikschulen wichtig sind, zeigt aber nicht nur der Beitrag von Mario Müller, sondern auch der Kommentar des bdfm von Max op Den Camp, in dem zu lesen ist, dass der Anteil fest angestellter Musiklehrkräfte an Privatmusikschulen steige anstelle zu sinken, wie das in VdM-Musikschulen der Fall sei. Zahlen darüber, wie hoch dieser Anteil im Musikschulvergleich privat/VdM tatsächlich ist und in welchem Maß er bereits abgesunken bzw. gestiegen ist, werden nicht genannt. Laut Statistischem Jahrbuch des VdM, das alle zwei Jahre erscheint, liegt der Anteil fest angestellter Lehrkräfte an VdM-Schulen seit Jahren übrigens ziemlich stabil bei bundesweit etwa 70%. Des Weiteren wird nicht erklärt, was unter „Qualität“ zu verstehen ist und inwiefern viele private Musikschulen eine höhere Qualität aufweisen als staatliche.
Zu einer guten Diskussion gehört zum einen eine Verständigung über grundlegende Begriffe wie hier die vom bdfm verwendeten, weit auslegbaren Begriffe „Qualität“ und „qualifizierte Lehrkraft“, da anderenfalls jeder Diskutant von etwas anderem spricht und letztlich alle aneinander vorbei reden. Zum anderen gehören zu einer guten Diskussion Belege für das Behauptete, auch wenn das im postfaktischen Zeitalter ebenso „veraltet“ anmuten mag wie das vom DTKV Brandenburg kritisierte Denken von Musiklehrkräften, die sich in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen haben, um sich für eine menschenwürdige Arbeit einzusetzen. (An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass Sebastian Herbst nicht Mitglied der Fachgruppe Musik ist und es auch nie war).
Prekäre Arbeitsverhältnisse werden unhinterfragt längst als „normal“ akzeptiert und als „alternativlos“ anerkannt, kennt man es doch auch längst schon nicht mehr anders. Erkennen wir also an, dass die fehlende Fantasie über eine andere Realität mittlerweile als normal gilt, scheint uns in der Argumentation des DTKV Brandenburg dann doch widersprüchlich, warum gewerkschaftliches Engagement überhaupt lobenswert sein soll. Wie geht das zusammen?
Apropos „zusammengehen“, in der Wissenschaft auch als „Korrelation“ bezeichnet: Hier tut sich Erstaunliches im Zusammenhang mit einer Festanstellung auf. Der DTKV Brandenburg behauptet nämlich, dass eine Negativkorrelation von Festanstellung und Musizierfreude sowie Festanstellung und Spontanität bestünde: Das heißt je mehr fest angestellt jemand ist, desto weniger Musizierfreude empfindet er und desto weniger spontan ist er. Der DTKV bezieht sich dabei einzig auf die eigenen Erfahrungen des Landesvorsitzenden Thomas Heyn. Ein solcher Zusammenhang ist auf dieser geringen Datenbasis völlig unhaltbar, wie auch die folgenden Korrelationen: Musiklehrkräfte würden durch die Festanstellung zum Unterstufenlehrer und müssten sich nicht mehr anstrengen, denn man „geht halt arbeiten, wie alle anderen auch“. Abgesehen davon, dass auch dieser Zusammenhang unbelegt und die Datenbasis mehr als dünn bleibt: Könnte man da nicht eine Diskreditierung von Unterstufenlehrenden heraushören?
Auch die Korrelation von Festanstellung und Verwaltungsbürokratie ist unter dem Aspekt, dass Privatmusiklehrkräfte unter anderem selbst für die Organisation ihres Unterrichts samt Rechnungsstellung, ihre steuerlichen Abgaben, ihre Altersvorsorge und ihre Krankenversicherung verantwortlich sind, nicht nachvollziehbar, solange sie nicht durch Daten belegt wird.
Die vorgeschlagene Diskussion des DTKV Brandenburg über „neue Modelle“ führen wir gerne, auch wenn es in unserer Stellungnahme zum Stuttgarter Appell in keiner Weise darum ging. Doch wünschen wir sie uns als Austausch von belegten und begründeten Argumenten und schlagen außerdem vor, zunächst Begriffe zu präzisieren sowie in alle denkbaren Richtungen zu denken.
Den privaten Musikschulen einfach mehr staatliches Geld zu geben, ist nur ein denkbares Modell. Warum dann aber der Staat nicht gleich mehr VdM-Schulen unterhalten und die musikalische Bildung allein übernehmen sollte, erschließt sich nicht. Auch bezweifeln wir, dass mehr Geld allein zu einer ausreichenden Besserstellung der Lehrkräfte führen würde; selbst höhere Honorare bieten noch lange keine soziale Absicherung. Solange der Staat ein zweigleisiges System fährt und nicht allein die Verantwortung für die musikalische Bildung zu übernehmen bereit ist, wird sich für die Lehrkräfte kaum etwas zum Besseren bewegen.
Was – als weiteres theoretisch denkbares Modell musikalischer Bildung – bei Privatisierungen passiert und was der freie Markt dann regelt, war in den vergangenen Jahren bei der Post, im Gesundheitswesen und auch in der Bildung (zunehmend freie Träger von Kitas, Sozialarbeit) sehr eindrücklich zu beobachten: Lohndumping, Tarifflucht und Outsourcing. Übrigens verdienen auch Lehrkräfte an allgemein bildenden Privatschulen in der Regel weniger als an staatlichen Schulen, trotz staatlicher Zuschüsse. Nicht immer ist das „Neue“ besser als das, was es schon gibt.
Anja Bossen und Sebastian Herbst