@ Linux

Simon, Jürgen

Flott statt Schrott

Nicht nur für ältere PCs ist Linux eine gute Alternative zu Windows

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Auch ältere PCs können oft noch sinnvoll eingesetzt werden, statt sie zu entsorgen. Entscheidend ist die zur Hardware passende Software.

Vor Kurzem erzählte mir eine Bekannte, dass sie nur wenig mit Computern arbeite – nur ein bisschen Internet, E-mails und gelegentlich mal einen kurzen Text schreiben. Darum habe sie seit weit über zehn Jahren denselben Computer und der könne alles, was sie brauche. Auf die Frage nach dem Betriebssystem nannte sie Win­dows, welche Version, das wisse sie nicht so genau. Schnell stellte sich heraus, dass es sich um Windows XP handelt. Auf meinen Hinweis, dass dieses System seit nunmehr drei Jahren keine Sicherheitsupdates mehr bekomme, erklärte sie mir, dass sie ja nur wenig mache und außerdem habe sie einen Virenscanner.

Windows XP hat ausgedient

Solche und ähnliche Aussagen bekomme ich häufiger zu hören. Dabei kann das Prob­lem der fehlenden Updates keineswegs durch einen Virenscanner behoben werden. Es gab bereits während der Zeit, zu der Windows XP noch unterstützt wurde, Schadsoftware, die sich aufgrund von Betriebssystemfehlern verbreitete, auch ohne dass der Benutzer irgendetwas anklicken musste. Dazu kommt, dass das Sicherheits­konzept von Windows XP so alt wie das Betriebssystem ist. Seit Windows XP im Jahr 2001 auf den Markt kam, haben sich sowohl die Schadsoftware als auch die Sicherheitsmechanismen der Betriebssysteme erheblich weiterentwickelt. Ein Computer, der auch nur kurzzeitig mit dem Internet verbunden ist, sollte daher auf keinen Fall Windows XP verwenden!
Andererseits ist es verständlich, dass sich viele Leute scheuen, einen funktionstüchtigen Rechner, der noch alle Aufgaben erledigt, zu entsorgen und einen neuen anzuschaffen. Ein neues Windows aufzuspielen, ist – abgesehen von den Kosten – oft nicht möglich, weil der alte PC die Anforderungen eines aktuellen Betriebssystems meist nicht erfüllt.

Der Pinguin bringt Hilfe

Doch gerade für Nutzer, die nur wenige Standardaufgaben wie Internet und Texte-Schreiben mit ihrem Rechner erledigen, gibt es eine sichere Alternative. Das freie Betriebssystem Linux (mit dem niedlichen Pinguin als Maskottchen) lässt sich auf fast jedem Computer installieren. Auch Rechner, die 15 oder mehr Jahre alt sind, können mit dem richtigen Linux noch gut für einfache Arbeiten eingesetzt werden. Das schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Umwelt. Und da Linux konti­nuierlich weiterentwickelt wird, werden auch Sicherheitslücken regelmäßig beseitigt. Dabei ist der Umstieg von Windows nicht so kompliziert, wie viele denken. Dank einer modernen grafischen Benutzer­oberfläche finden sich auch AnfängerInnen schnell zurecht.
Im Gegensatz zu Windows oder dem Apple-Betriebssystem MacOS gibt es Linux in unzähligen Varianten. Manche Versionen sind eher für Profis oder Spezialanwendungen gedacht, andere gut für AnfängerInnen geeignet. Wer keine Anleitungen auf Englisch lesen will, sollte auf eine der verbreiteten Distributionen zurückgreifen, für die es umfangreiche deutschsprachige Foren gibt.

Welches Linux ist das richtige?

Gerade für ältere Rechner hat sich die Distribution Linux Mint sehr bewährt. Auch innerhalb dieser Distribution gibt es verschiedene Ausgaben, die sich zum Teil nur in der Benutzeroberfläche unterscheiden, zum Teil jedoch auch unterschied­liche Basissysteme verwenden. Für PCs, die nicht älter als zwölf bis 15 Jahre sind, eignet sich das normale Linux Mint, am besten mit dem XFCE-Desktop, der besonders ressourcenschonend arbeitet. Der XFCE-Desktop ist außerdem in der Bedienung Windows und dem XP-Start­menü recht ähnlich, sodass keine große Umgewöhnung erforderlich ist. Nur für noch ­ältere Rechner muss unter Umständen die LMDE-Version verwendet werden, da diese auch noch ältere Prozessoren (ohne PAE) unterstützt.
Linux Mint basiert auf dem ebenfalls sehr weit verbreiteten und hervorragend gepflegten Ubuntu, sodass auch die Foren und Hilfestellungen für Ubuntu verwendet werden können, wenn sich für ein Prob­lem einmal keine Lösung in den Linux-Mint-Foren findet.
Um Linux zu installieren, benötigt man zu­nächst ein Installationsmedium, das man in der Regel direkt von der Internetseite der jeweiligen Distribution herunterladen und dann auf eine DVD brennen oder auf einen USB-Stick speichern kann. Linux wird als 32- und 64-Bit-Version angeboten. Für Rechner mit weniger als 2 GB Arbeitsspeicher sollte die 32-Bit-Version verwendet werden, auf Rechnern mit mehr als 2 GB Arbeitsspeicher die 64-Bit-Ver­sion. (Die gelegentlich anzutreffende Bezeichnung x86 ist eine andere Bezeichnung für 32-Bit-Versionen.)1 Ich empfehle, eine DVD zu brennen, da gerade ältere Rechner nicht immer vom USB-Stick booten können.
Obwohl die Internetseite von Linux Mint2 auf Englisch ist, gibt es dort eine gute deutsche Anleitung, die den Installationsprozess ausführlich beschreibt. Sie kann heruntergeladen werden unter Downloads > Documentation (bitte Version für den richtigen Desktop wählen, z. B. XFCE).
Die eigentliche Installation gestaltet sich dann eher einfacher als bei Windows, da in den aktuellen Distributionen Treiber für viele gängige Geräte bereits integriert sind. Probleme bereiten am ehesten Notebooks. Vor allem die Sonder- und Funktionstasten sowie einige exotische WLAN-Adapter las­sen sich nicht immer sinnvoll einbinden. Bei Desktop-PCs treten solche Probleme hingegen nur äußerst selten auf.

All inclusive

Nach der Installation3 ist Linux bereits mit einer Vielzahl von Standardprogrammen ausgerüstet. Der Browser Firefox und das Mailprogramm Thunderbird sind ebenso wie die Bürosoftware LibreOffice und das Bildbearbeitungsprogramm Gimp in nahezu jeder Linux-Distribution enthalten. Auch Programme zur Wiedergabe von Musik und Videos sind selbstverständlich bereits vorinstalliert. Alle Programme sind übersichtlich über das Startmenü, das sich wie auch bei Windows links unten in der Taskleiste befindet, zu erreichen; und wie unter Windows lässt sich das Startmenü auch über die Windows-Taste auf der Tastatur öffnen.
Weitere Programme können leicht mit der Anwendungsverwaltung (Startmenü > Sys­tem > Anwendungsverwaltung) installiert werden. Hier werden tausende von Programmen angeboten, die Sie durch Anklicken sehr einfach installieren können, z. B. das Notensatzprogramm MuseScore.4 Die zentrale Anwendungsverwaltung hat neben der bequemen Installation von Programmen einen weiteren entscheidenden Vorteil. Alle Programme, die auf diese Weise ihren Weg auf den Rechner gefunden haben, werden von der zentralen Aktualisierungsverwaltung mit Updates versorgt, wohingegen Windows nur sich selbst und eventuell noch einige weitere Programme von Microsoft aktualisiert. Auf der rechten Seite der Taskleiste direkt neben der Uhr befindet sich das Symbol der Aktualisierungsverwaltung. Solange hier das grüne Häkchen zu sehen ist, ist alles in Ordnung und alle Programme und das Betriebssystem sind aktuell und sicher.

Was geht, was nicht?

Es gibt nur wenige Bereiche, bei denen Linux nicht automatisch funktioniert. Obwohl es unter Linux Programme zum Betrachten und Bearbeiten von Videos (auch in HD) gibt, kann Linux nicht ohne Weiteres kommerzielle DVDs oder Blurays abspielen. Es gibt dafür zwar geeignete Software, diese wird von der Industrie jedoch als „illegale Software zur Umgehung eines Kopierschutzes“ eingestuft; bereits ein Hinweis, wo diese Software zu finden ist und wie sie installiert werden muss, kann zu einer Abmahnung führen.
Ein weiteres Problem stellen Treiber für exotische Hardware dar. Während sich für nahezu jeden Drucker ein passender Treiber finden lässt, sieht es bei der Unterstützung für Scanner bereits etwas schlechter aus. Während ältere Standardscanner, für die es oft keine Treiber mehr für aktuelle Windows-Systeme gibt, oft unter Linux arbeiten, sind exotischere Geräte (wie z. B. mein Buchscanner) nicht unter Linux einsetzbar. Bedauerlicherweise sind auch die Hersteller von professionellen Audiogeräten nicht bereit, Treiber zu entwickeln oder die Community wenigstens mit einem Test­gerät zu versorgen. Doch auch ohne Herstellerunterstützung hat die Linux-Community Treiber für eine beeindruckende Zahl von Soundkarten entwickelt.
Die Unterstützung für Soundkarten ist unter Linux in verschiedenen Projekten organisiert. Die meisten Onboard-Soundkarten werden von ALSA (Advanced Linux Sound Architecture) unterstützt. ALSA ist auch für die Unterstützung von USB-Soundkarten zuständig. Eine umfang­reiche Liste der von ALSA unterstützten Soundkarten ist im Internet zu finden.5 Auf ähnliche Soundkarten ist das OSS-Projekt (Open Sound System), aus dem ALSA hervorgegangen ist, ausgerichtet. Eine Liste der unterstützten Soundkarten steht ebenfalls im Internet zur Verfügung.6 Die im semiprofessionellen Bereich weit verbreiteten Soundkarten mit Firewire-Interface werden vom Projekt FFADO (Free Firewire Audio Drivers) unterstützt. Auch hierzu sei auf die Liste der unterstützten Soundkarten verwiesen.7

Linux macht Musik

Unter Linux stehen eine ganze Reihe von Audioprogrammen zur Verfügung. Neben Ardour8 gibt es z. B. den sehr umfangreichen MIDI-Sequenzer Rosegarden.9 Ebenfalls in großer Zahl und zum Teil in sehr guter Qualität werden virtuelle Instrumente und Effekte entwickelt. Als zentrale Verbindung zwischen den verschiedenen Programmen, Plugins und Soundkarten hat sich der Soundserver JACK (JACK Audio Connection Kit) etabliert. Dieser sollte für die Arbeit mit Audiosoftware zunächst immer installiert werden, obwohl viele Programme auch ohne ihn arbeiten.
Um ein Standard-Linux so zu konfigurieren, dass es für umfangreiche Audioproduktion geeignet ist, bedarf es einiger Anstrengungen, die AnfängerInnen in vielen Fällen überfordern. Wesentlich einfacher geht es mit einer speziell für diese Zwecke zusammengestellten Distribution. Es gibt etliche davon, als guter Einstieg kann Ubuntu Studio10 verwendet werden. Es basiert auf der weit verbreiteten und gut gepflegten Standardversion von Ubuntu mit XFCE-Desktop. Ubuntu Studio ist mit einem speziellen Betriebssystemkern ausgestattet, der ein Arbeiten mit möglichst geringen Latenzen ermöglicht. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn mit Live-Aufnahmen und gleichzeitiger Aufnahme und Wiedergabe gearbeitet werden soll. Auch Ubuntu Studio verwendet zur Ansprache von Soundkarten primär die ALSA- und FFADO-Schnittstellen. Man kann also dort nachsehen, ob die eigene Soundkarte unterstützt wird oder welche Soundkarte man anschaffen sollte.

Informationen über Linux

Obwohl Ubuntu Studio eine gut gepflegte Distribution ist, ist es dennoch ein Nischen­produkt, für das es nur wenig deutschsprachige Dokumentationen gibt.11 Es führt also kein Weg daran vorbei, sich mit der englischsprachigen Dokumentation vertraut zu machen. Da jedoch Ubuntu Studio auf denselben Programmen aufbaut, wie sie in jeder Linux-Distribution und speziell in Ubuntu enthalten sind, können die vielen deutschsprachigen Quellen ohne Einschränkungen genutzt werden. Eine der umfangreichsten deutschsprachigen Informationsquellen für Ubuntu ist die Seite ubuntuusers.12 Das gleiche gilt auch für Linux Mint. Auch diese Distribution basiert auf Ubuntu, sodass die zahlreichen Quellen im Internet mitgenutzt werden können.
Für diejenigen, die ernsthaft auf Linux um­steigen wollen, lohnt es sich, eines der meist sehr umfangreichen Bücher für Einsteiger zu kaufen. Sowohl für Linux Mint als auch für Standard Ubuntu gibt es eine große Zahl davon. Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, ein Buch für die Version zu erwerben, die man auch einsetzt, da sich gerade die Interna bei Linux von der einen zur anderen Version stark ändern können. Häufig beziehen sich die Bücher nicht auf die jeweils aktuellste, sondern auf eine sogenannte LTS-Version (long term support), die für mehrere Jahre Updates und Unterstützung erhält (z. B. Linux Mint 18.1 und Ubuntu 16.4.02 bis April 2021).
Aber nicht nur, wer alte Hardware möglichst lange weiter nutzen will, sollte sich mit Linux befassen. Auch für aktuelle Computer stellt Linux eine interessante Alternative zu Windows dar, das mittlerweile nicht mehr zwingend bei jedem neuen Computer mitgekauft werden muss, wodurch sich bei einem Neukauf noch etwas einsparen lässt, zumal vielen Nutzern die große Menge an personenbezogenen Daten, die gerade Windows 10 an Microsoft senden möchte, oft suspekt ist. Dabei steht einer gemeinsamen Nutzung nichts im Weg, da sich Windows- und Linux-Rechner problemlos miteinander vernetzen lassen. Selbst im Netzwerk meines Orchesters, das von einer Windows-Active-Directory-Domäne gesteuert wird, konnte ich einige (zumeist ältere) Rechner mit Linux nahtlos integrieren.

1 Die Bezeichnung x86 geht auf die Bezeichnungen alter Intel-Prozessoren – 80386, 80486 – zurück.
2 www.linuxmint.com
3 Im Folgenden beziehe ich mich auf die aktuelle Linux Mint XFCE-Version (18.1), wobei die Unter­schiede zu anderen Distributionen oft nicht sehr groß sind.
4 Beschreibung in musikschule )) DIREKT 6/2013,
S. 10 f., www.schott-musikpaedagogik.de/de_DE/ material/instrument/um/musikschuledirekt/issues/ showarticle,37201.html
5 www.alsa-project.org/main/index.php/Matrix:Main
6 www.opensound.com/osshw.html
7 www.ffado.org/?q=devicesupport/list
8 vorgestellt in musikschule )) DIREKT 1/2017, S. 6-8.
9 http://rosegardenmusic.com
10 http://ubuntustudio.org
11 https://forum.ubuntuusers.de/topic/ubuntustudio-einfuehrung-audio
12 https://ubuntuusers.de