Fritzen, Anne / Manuela Selzner
Freiheit stärken
Musikschulen als Orte gelebter Demokratie
Die Freiheit der Kunst ist nur in einem freiheitlich-demokratisch verfassten Staat gewährleistet. Um diese Freiheit zu erhalten, sollten sich auch Musikschulen als Mitbewahrende von Demokratie verstehen und deren Werte vertreten und leben.
„In einem Orchester zu spielen, ist die beste Schule für Demokratie“, sagt Daniel Barenboim. „Wenn du ein Solo spielst, folgen dir Dirigent und das gesamte Orchester. Ein paar Takte später liegt die Hauptstimme in einem anderen Instrument, einer anderen Gruppe, dann musst du dich wieder in den Gesamtklang einfügen.“1 Das Orchesterspiel, so Barenboim weiter, sei eine Kunst für sich. Das ist sicher kaum zu bestreiten. Denn es fordert von uns, aber auch von InstrumentalschülerInnen neben dem künstlerischen Tun höchste Aufmerksamkeit und Sensibilität in der Interaktion.
Aber bilden diese beiden Fähigkeiten in Bezug auf musikalisches Handeln wirklich die beste Grundlage, um Demokratie zu erfahren und demokratische Handlungskompetenz zu entwickeln – gerade vor dem Hintergrund, dass Orchester stark hierarchisch geprägt sind? Zudem unterliegen solistisches Führen oder in den Gesamtklang Einfügen keinem demokratischen Aushandlungsprozess, sondern sind im Orchester im Regelfall durch die Partitur vorgegeben.
Daher stellt sich die Frage: Welche Aspekte könnten für das Erfahren von Demokratie darüber hinausgehend wichtig sein? Und (warum) braucht es überhaupt eine musikalische „Schule für Demokratie“?
Aufgrund zunehmender Erschütterungen demokratischer Staaten durch rechte Gruppierungen, nicht zuletzt aber auch durch die politischen Ereignisse des vergangenen Jahres in Europa sind demokratietheoretische Überlegungen im Allgemeinen, aber auch für die Musikschularbeit im Besonderen (wieder) aktueller denn je. Doch auch ohne konkrete politische „Anlässe“ ist demokratisches Handeln für den Musikschulkontext relevant: Laut UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht, über alle sie betreffenden Belange, also auch den Freizeitbereich und damit das Musizieren, mitzubestimmen. Gleiches gilt entsprechend der Menschenrechtskonvention auch für Erwachsene.
Was ist Demokratiepädagogik?
Das Hauptanliegen der Demokratiepädagogik ist es, Demokratie erfahrbar zu machen. Statt theoretisches Wissen über Demokratie zu vermitteln, sollen bei demokratiepädagogischen Angeboten Handlungskompetenzen entwickelt werden, die Menschen befähigen, Gemeinschaft mit anderen demokratisch zu gestalten, sich aktiv in eine demokratische Gesellschaft einzubringen und die zu einer geklärten Urteilsbildung und Entscheidungsfindung in politischen Prozessen beitragen.2 Nach Gerhard Himmelmann lassen sich drei Ebenen von Demokratie beschreiben: Demokratie als Herrschaftsform, Gesellschaftsform und Lebensform.3 Mithilfe dieses systemischen Blicks lässt sich auf einfache Weise aufzeigen, wie Musikschulen und Lehrkräfte einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Demokratieförderung leisten können.
1 Daniel Barenboim im Gespräch mit John von Rhein (übersetzt aus dem Englischen durch die Autorinnen), www.chicagotribune.com/news/ct-xpm-2006-06-11-0606100288-story.html (Stand: 30.8.2023).
2 Edelstein, Wolfgang: „Was ist Demokratiepädagogik?“, in: de Haan, Gerhard/Edelstein, Wolfgang/Eikel, Angelika (Hg.): Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik. Heft 1, Weinheim 2007, S. 3.
3 Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen – als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform, Schwalbach 2016.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2023.