Winter, Albrecht

Freischaffend contra angestellt?

Auf dem Kongress der European String Tea­chers Association (ESTA) wurde heftig diskutiert

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 1/2019 , Seite 40

Mit der räumlichen Teilung des Auditoriums in „Stelleninhaber“ und „Freelancer“, verbunden durch eine schmale Grauzone derer, die sich „irgendwo dazwischen“ ansiedeln würden: So begann das Podiumsgespräch zum Thema „freischaffend oder angestellt“ auf dem ESTA-Kongress, der im Oktober in der Musikschule Neckarsulm stattfand. Neben vielen pädagogischen Fachbeiträgen – unter anderem von Fiedelmax-Erfinderin Angelika Holtzer-Romberg – diskutierten etwa achtzig ESTA-Mitglieder über Fragen ihrer beruflichen Situation.
Einleitend schilderte ich als Moderator des Gesprächs Erfahrungen von Kollegen in verschiedenen Berufszusammenhängen: „Es interessiert hier niemanden, ob ich gut spiele. Warum sollte ich dann üben?“, so der O-Ton eines Orchestermusikers. Das Nicht-gesehen-Werden der eigenen Leistung verursacht Stress, auch privates Musizieren tritt dann zurück. „Hausbauen, Fotografieren: Ich suche Herausforderungen anderswo.“ Im gleichen Orchester treffe ich aber auch eine Kollegin, die knapp formuliert: „Orchesterspiel ist und bleibt mein Ding!“
Ähnlich stellt sich die Situation im pädagogischen Tätigkeitsfeld dar. „Unsere Arbeit wird nicht wertgeschätzt; eigentlich kann man freischaffend nicht leben“, höre ich auf der einen Seite. Andererseits meint eine Klavierlehrerin und Kantorin in einer mecklenburgischen Kleinstadt: „Ohne das Gehalt meines Mannes wäre es anfangs zwar nicht gegangen, heute aber könnte ich doppelt so viel machen! Die Leute bewundern es, wenn jemand ein Musikstudium durchgezogen hat und etwas kann!“ Nach zwanzig Jahren Tätigkeit richtet ihr die Nordkirche jetzt eine Stelle ein, aber: „Es wird schwer, die Selbstständigkeit aufzugeben, bisher machte ich mir meine Regeln selbst!“
Auf dem Podium plädiert die Heidelberger Gei­gerin Antonina Preuß vehement für eine freischaffende Tätigkeit – und gegenseitige kollegiale Unterstützung! Sie vermisse oft Mut und Energie: „Wenn jemand für weniger Geld unterrichtet, als er seiner Haushalts­hilfe zahlt, dann ist es seine eigene Entscheidung!“
Ulrich Schulz, pensionierter Musikschulleiter aus Hameln, hat über dreißig Jahre für Festanstellungen gekämpft. „Ich war sehr erstaunt, als irgendwann Ende der 90er Jahre jemand erstmals im Vorstellungsgespräch meinte, dass er nur an einem Honorarvertrag, aber nicht an einer Tarifvertragsanstellung interessiert sei.“ Er könne sich schon vorstellen, dass Kollegen unter Fremdbestimmung leiden würden, vor allem, wenn sinnvolle Personalführung fehle.
Dank vieler Wortmeldungen entsteht ein buntes Mosaik aus zum Teil stark gegensätzlichen Positionen. Mangelnde Wertschätzung für die Musikausbildung wird heftig beklagt, Angst vor wachsenden Finanzlücken findet drastische Formulierungen. „Hätte ich nur meinem Sohn abgeraten“, so eine pensionierte Pianistin, deren Sohn als Chorleiter nach ihrem Empfinden eher kümmerlich den Lebensunterhalt verdient.
Gabi und Erich Scheungraber aus Weil im Schönbuch unterstreichen, dass ohne Absicherung durch die Künstlersozialkasse privater Instrumentalunterricht nicht lebensfähig wäre. „Subventionsabbau finden fast alle immer gut! Leider schaut niemand genauer hin, und die Folgen einer Abschaffung der KSK und der Umsatzsteuerbefreiung für berufsvorbereitenden Unterricht wären katastrophal für uns. Momentan ist das Szenario zwar abgewendet, aber sicherlich war das nicht die letzte Attacke!“
Der Münsteraner Hans-Martin Schwindt steht kurz vor dem Rentenalter und hat lebenslang als freier Geigenlehrer gearbeitet. „Der Glaube daran, dass es weitergeht“, habe ihn nie verlassen. „Wenn früher ein Schüler bei mir aufhörte, habe ich mich heftig befragt, was ich falsch gemacht habe. Dann kam aber immer jemand neu zu mir, und das ganz ohne Werbemaßnahmen.“ Ohne ein gewisses Selbst­vertrauen sei freischaffendes Arbeiten aber kaum möglich. – Und die Studierenden und Be­­rufsanfänger? Auf meine Nachfrage kommen keine Bedenken, eher die Zuversicht, dass es beruflich schon funktionieren werde.
Einen wichtigen Aspekt stellt Ulrich Schulz in den Mittelpunkt: „Aus meiner Sicht ist Musikalisierung heute die Hauptaufgabe!“ Gebraucht werde deutlich mehr Basisarbeit, zum Beispiel in Kindergärten. Wie überall in der Gesellschaft müssen zwar auch die Musikschulen mit Höchstleistungen ihre Daseinsberechtigung nachweisen. Dadurch entstehe aber erst eine so merkwürdige Frage, ob sich Klassenunterricht lohnen würde. „Selbst wenn ich weiß, dass jemand keinesfalls das Instrument weiterspielen wird, hat er mit Freude doch etwas Wichtiges, Posi­tives gelernt. Möglicherweise hat derjenige später einmal über einen Kulturetat zu entscheiden.“ Hier schielen Ausbildungsinstitutionen und Kollegen zu oft nur nach der Leistungsspitze!
Lässt sich überhaupt ein Fazit nach einstündiger Diskussion formulieren? Nein, aber einige Beobachtungen – versehen mit Fragen. Trotz der bekannten Schwierigkeiten melden sich überraschend wenige Anwesende auf die Frage, wer sich heute gegen ein Leben als Musiker entscheiden würde. Bleibt für die Mehrheit der Musiker die Beschäftigung mit der oft so brotlosen Kunst trotz aller Widerstände attraktiv?
Warum vor allem wirken die Äußerungen der „angestellten Saalhälfte“ so heftig? Deutlich wütender, zweifelnder, sorgenvoller als die der freischaffenden Kolleginnen und Kollegen. Ist es die Angst um Besitzstände wie die Sicherheit eines Monatsgehalts oder eher die Einengung durch Fremdbestimmtheit? Es sind ja die angestellten Kollegen, die Stundendeputate füllen müssen, die gegen ihren Willen zu Unterrichtsformen gedrängt werden können und in Sitzungen manch unliebsamen Nachbarn zu ertragen haben…
Zieht man wegen der größeren Spielräume die Freiheit vor oder verzichtet man auf einen Teil der Selbstwirksamkeit? Die Beantwortung der Frage hängt vom Menschentyp ab – und wird immer ein individueller Balanceakt bleiben.

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