Wulff, Bernhard

Fremde Mongolei

Die Mongolin

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: MANA, Berlin 2019
erschienen in: üben & musizieren 5/2020 , Seite 61

Die stetige Intensivierung interkultureller Begegnungen galt lange Zeit als Selbstverständlichkeit, insbesondere in der Tradition einer Beeinflussung der jeweils zeitgenössischen Musik durch „Weltmusik“, von Mozart und Debussy über Cage und Kagel bis in unsere Tage, in denen zunehmend postkoloniale Usurpation einem respektvollen Dialog gewichen ist. Die Corona-Krise hat aber nicht nur das nationale Musikleben empfindlich beeinträchtigt, sondern auch alle internationalen Festival-Aktivitäten lahmgelegt. Ferne Länder werden so wieder zu Sehnsuchtsorten, deren zukünftige Erreichbarkeit zumindest mittelfristig in Frage steht.
Umso mehr lohnt zur Überbrückung die Lektüre des kleinen Bandes der Reihe „AbenteuerREISEN“, den der langjährige Freiburger Schlagzeugprofessor Bernhard Wulff der Mongolei gewidmet hat. Was zunächst tatsächlich wie ein allgemeiner Reiseführer daherkommt, entwickelt sich schnell zu einem Tagebuch einer sehr individuellen interkulturell-musikalischen Reise, die – durch die Zufälle persönlicher Begegnungen – 1995 in der ukrainischen Metropole Odessa auf dem ebenfalls interkulturellen Musikfestival „Two Days and Two Nights“ begann und sich bereits 1999 durch die Gründung des Festivals „Roaring Hooves“ institutionalisierte. Dass die Truppen des Nationalheiligen Dschingis Khan im Mittelalter auch den Pestfloh nach Europa brachten, macht zudem die Gefährdungen damaliger wie heutiger Globalisierung deutlich.
Im ersten Kapitel finden sich – eingebettet in teils anekdotisch anmutende Geschichten über die mongolische Landschaft und die von der Steppe und das Leben in Jurten geprägte nomadische Lebenskultur, über das Aufwachsen des Knaben Samdandamba bis zu seinem Abschied ins sozialistisch urbanisierte Ulan Bator, über Schlacht-, Jagd-, Medizin- und Hochzeitsrituale etc. – erste Hinweise auf die durchaus schamanische Bedeutung von Musik als Teil und Gegenüber einer „übermächtig dröhnenden Stille“. Explizit genannt werden der mongolische Obertongesang sowie der Urtin-Duu-Gesang, beide mittlerweile als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
In den Folgekapiteln wird dann bildmächtig über die Gründung des „einzigen internationalen Musikfestivals, zu dem auch ca. 300 Reiter und diverse Bogenschützen gehören“ und seine diversen Abstecher in die Wüste Gobi und die Gletscherwelten im Norden berichtet. Dass hierbei auch ein von einem Freiburger Klaviergeschäft gespendetes Ins­trument auf einer Sanddüne seinen Dienst in der fernen Wüste antritt, erinnert dann fast an Fitzcarraldo oder Daniel Masons Roman Der Klavierstimmer Ihrer Majestät.
Hinter dem oft launigen Ton der Erzählungen versteckt sich allerdings auch ein kulturkritischer, an Claude Lévi-Strauss geschulter Ansatz, der in einer kurzen Einführung aufblitzt: „Um die Welt zu verstehen, braucht es verschiedene Formen der Intelligenz.“ Eine davon ist die Musik!
Andreas Krause