Dahlhaus, Bernd

Freude, Frust, Verantwortung

Mein „Feedback für eine gute Zukunft“

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Liebe Leserinnen und Leser,

im Sommer 2016 erläuterten die Vorsitzenden der drei musikpädagogischen Dach­verbände VdM (Ulrich Rademacher), bdfm (Mario Müller) und DTKV (Cornelius Hauptmann) in einem umfangreichen Interview ihre Einschätzungen und Ideen zum gegenwärtigen und zukünftigen Musik(schul)unterricht.1 Wir nahmen dieses Interview zum Anlass, auch Sie um Ihre Antworten auf zwölf Fragen zu bitten,2 und freuen uns, dass sich einige KollegInnen die Mühe gemacht haben, die Fragen zum Teil sehr ausführlich zu beantworten. Herz­lichen Dank für Ihr Engagement!
Im Folgenden möchte ich meine eigenen Antworten auf meine damaligen zwölf In­terviewfragen formulieren und nutze die Chance, sie in unserer Berufsgemeinschaft zur Diskussion zu stellen.


1. Was würden Sie im weiteren Sinne als Erfolg in Ihrer Berufstätigkeit bzw. in Ihrem Unterrichten in jüngster Zeit bezeichnen?

Dass ich in einem hitzigen Konfliktgespräch mit mehreren Musiklehrern und der Musikschulleitung das ausgesprochen habe, was alle gedacht und gefühlt haben, sich aber niemand wirklich auszusprechen getraut hat. Die aufgeladene Atmosphäre entspannte sich und die Beteiligten konnten nun einen für alle annehmbaren Kompromiss finden. In diesem Fall einen Kompromiss, wie zukünftig die Honorarkräfte für ihre Mitwirkung bei Sonderveranstaltungen der Musikschule bezahlt werden.


2. In welchen Momenten Ihrer Berufstätig­keit empfinden Sie ganz konkret lebendige, ehrliche Freude?

Ich freue mich natürlich, wenn meine Schülerinnen und Schüler Fortschritte ­machen und wenn man ihre Freude auch ­hören und sehen kann. Genauso freue ich mich über ein Gespräch mit einem Kollegen oder einer Kollegin oder auch mit Schülereltern, bei dem ich den Eindruck habe, dass es beiderseitig ein wirkliches ­Interesse am anderen gibt, dass man sich Zeit nimmt und alle Beteiligten zu einer guten Gesprächsatmosphäre beitragen. Ich freue mich, wenn ich in meiner Arbeit eine echte Verbundenheit mit den Menschen fühle.

3. Was nervt oder frustriert Sie in Ihrem Beruf am meisten (bitte nur ein Thema schildern)?

Die häufig undifferenzierten und zu sehr vereinfachenden Meinungsäußerungen vie­ler Kolleginnen und Kollegen, Musikschulleiter und Verantwortlichen. In der Regel empfinden diese ihre eigene Perspektive als die einzig richtige und überhaupt sinnvoll denkbare („Die ignoranten Politiker, die schlimmen Computerspiele, die unzugängliche Musikschulleiterin, G8 und JeKits sind schuld!“). Ich vermisse ein vieldimensionales Problembewusstsein in einer komplexen (Musikschul-)Welt.

4. Bei welchen Themen vertreten Sie in Ihrem beruflichen Selbstverständnis eher eine konservativ-bewahrende, in welchen eher eine progressiv-verändernde Ausrichtung?

Konservativ: Mir ist es wichtig, in meinem Sprechen und Handeln zuverlässig und verbindlich zu sein. Ich möchte, dass Schü­lerInnen und KollegInnen gerne mit mir zusammenarbeiten, dementsprechend reagiere ich beispielsweise möglichst zügig auf Anfragen und überlege mir, wie ich die Arbeit der anderen unterstützen kann – wenn auch manchmal nur in kleinen Aufmerksamkeiten.
Progressiv: Ich bemühe mich, den digitalen Fortschritt nicht als Bedrohung meines Berufs, sondern als Ergänzung zum persönlichen Musikunterricht zu sehen.

5. Nennen Sie einige widersprüchliche An­forderungen (Dilemmata, Zwickmühlen), die Sie in Ihrer Berufstätigkeit bzw. in Ihrem Unterrichten bewältigen (müssen).

– Das Dilemma zwischen Wollen (wirklich frei musizieren) und Können (meinen spieltechnischen und zeitlichen Übemöglichkeiten).
– Das Dilemma, im Unterricht für Schülerabsagen telefonisch erreichbar und zugleich uneingeschränkt präsent zu sein.
– Das Dilemma, in meiner Lehrerrolle zugleich wissender Experte und neugieriger Entdecker zu sein.

6. In welchen Bereichen oder bei welchen Themen könnten Sie (noch mehr) mit Kol­legInnen der (Musik-)Schule oder mit externen Kooperationspartnern zusammenarbeiten?

Ich könnte (noch mehr) meine Ideen und Materialien für den Gruppenunterricht mit Tasteninstrumenten mit den Kollegen teilen, hierzu ein Pilotprojekt mit interessierten Lehrern (und wissenschaftlicher Begleitung) initiieren. Ich könnte eine ­re­gionale Arbeitsgruppe zum Austausch über Unterrichtserfahrungen im Inklusions­bereich und mit Menschen mit Flucht­erfahrung ins Leben rufen. Und ich könnte ein Treffen im Ruhrgebiet für MusikpädagogInnen initiieren, die sich auch persönlich über die zwölf Fragen austauschen möchten.

7. In welcher Weise betreiben Sie in Ihrer Berufstätigkeit kritische Selbstbeobachtung und Selbstreflexion und wer oder was hilft Ihnen „von außen“ dabei?

– Ich bin Mitglied einer privaten Klavierlehrer-Arbeitsgruppe. Als ein Projekt dieser AG haben wir in einem zeitlich aufwendigen Diskussionsprozess einen Fragebogen für eine Feedback-Umfrage bei den eigenen SchülerInnen entworfen.
– Ich filme meinen Unterricht phasenweise mit einem Camcorder und reflektiere ihn a) alleine, b) mit Klavierkollegen, c) mit befreundeten Coachs, die außerhalb der Musikpädagogik tätig sind.
– Ich lade gelegentlich KollegInnen privat zum Essen und Fachsimpeln ein.

8. Was könnte Ihrer Meinung nach in konzeptioneller Hinsicht in Zukunft das „nächste JeKi“ werden?

Ich finde es schwierig, unseren Beruf weiter- und „nach vorne“ zu denken und die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen daraufhin abzuklopfen, was sie für den zukünftigen Musik- und Instrumentalunterricht bedeuten könnten. Meiner Meinung nach geht es hier zunächst auch gar nicht um die konkrete Ausprägung eines speziellen Konzepts (beispielsweise hinsichtlich der Zielgruppe, Methodik oder Organisationsform), sondern eher darum, dass sich KollegInnen zusammentun, um gemeinsam etwas zu entwickeln und zu erproben.

9. Was müsste konkret geschehen, damit der Wert des aktiven Musizierens und dementsprechend der Wert des Musiklehrens in der Gesellschaft deutlich höher eingeschätzt werden?

Wenn wir Musiklehrer bessere Chancen in „der“ Öffentlichkeit oder bei „der“ Politik haben wollen, sollten wir beginnen, nach außen und untereinander viel positiver über unseren Beruf und unsere alltägliche Arbeit zu sprechen. Damit meine ich aber nicht, mehr über das „Produkt“ unserer Arbeit zu sprechen, nämlich die erklingende Musik. Ich meine damit, (noch mehr) in verständliche Worte zu fassen, was das Besondere daran ist, Musizieren zu lernen, und vor allem das Besondere und Berührende daran, Musizieren zu lehren.

10. Wie sehen Sie die Zukunft der Instrumental- und Vokalpädagogik? Wie stellen Sie sich Musikschularbeit bzw. den frei­beruflichen Musikunterricht in 15 Jahren vor?

Ich bin überzeugt, dass – um nur einen Aspekt anzusprechen – in naher Zukunft die digitale Faszination (auch bei jüngeren Menschen) abnimmt oder sich sogar ins Gegenteil wendet und viele Menschen wieder ein „analoges“, mehr sinnlich-physisches Leben führen möchten. Hierzu wird dann auch das Singen, das „skin-to-skin“-Trommeln und das Musizieren auf einer Geige gehören. Musikschulen werden in Zukunft mehr „Selbstausdrucks-Beratungsstellen“ und „Resonanzlabore“ als „Schulen“ sein und in ihnen werden Musiklehrkräfte arbeiten, die zusätzlich zur musikalischen Expertise in außerordentlich hohem Maße kompetent sind in beziehungsgestaltender Kommunikation, in komplexem Denken und in der Selbst­regulation des eigenen inneren Zustands.

11. Was könnten Instrumental- und VokallehrerInnen Ihrer Meinung nach (noch mehr) tun, um ihre Berufssituation ganz allgemein zu verbessern und den Beruf weiterzuentwickeln? Was könnten Sie selbst ganz konkret und unmittelbar tun?

Ich habe den Eindruck, dass viele (oder die meisten?) von uns Lehrkräften gar nicht (oder nicht mehr?) kurz und knapp und vor allem wirklich überzeugt und überzeugend sagen könnten, was sie eigentlich an der Musik und am Musizieren faszinierend finden. Wenn wir das selbst aber nicht mehr wissen und nicht formulieren können oder wollen, wie können wir dann andere – vor allem in der Breiten­arbeit – begeistern?
Und ich finde außerdem, dass wir uns zu wenig um unsere berufliche und vor allem persönliche Entwicklung kümmern. Wer traut sich zum Beispiel, die eigene Prägung durch damalige Lehrer und die traditionsorientierte Hochschulausbildung zu hinterfragen? Wer traut sich, die einschränkenden unausgesprochenen Spielregeln in seiner Organisation zum Thema zu machen? Wer legt seine fachliche Begrenzung im Kollegenkreis oder sogar vor seinen Schülerinnen und Schülern offen?
Als Instrumentallehrer ist es mir ein großes Anliegen, mein Unterrichten durch die Verringerung meiner „blinden Flecke“ weiter zu verbessern. Darüber hinaus möchte ich in unserer Berufsgemeinschaft für eine Art der Beschäftigung mit den angesprochenen Themen werben, die spielerisch-befreiend, immer wertschätzend und deshalb nicht oberflächlich, sondern elementar stärkend ist.

12. Welche Frage hätten Sie sonst noch ger­ne beantwortet?

Wofür steht das Musizieren? Um was geht es eigentlich wirklich dabei?

1 Bernd Dahlhaus: „Führen und verbinden. Zwölf Fragen an die Bundesvorsitzenden von VdM, bdfm und DTKV“, in: üben & musizieren 5/2016, S. 46-53.
2 Bernd Dahlhaus: „Feedback für eine gute Zu­kunft“, in: musikschule )) DIREKT 5/2016, S. 5.