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Buchsbaum, Christina

Fünf nach zwölf

Musiklehrkräfte dringend gesucht: Wege aus dem Mangel

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2024 , Seite 14

Der Lehrkräftemangel an öffentlichen Musikschulen verschärft sich zunehmend. Was sind die Gründe für diesen Mangel? Aktuelle Forschungen geben Hinweise auf Ursachen. Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen offenbart Handlungsvorschläge zur langfristigen Sicherung der musikalischen Bildung an Musikschulen.

Der anhaltende Lehrkräftemangel an Musikschulen sowie im Fach Musik an allgemeinbildenden Schulen gefährdet kurz- und langfristig die musikalische Bildung in Deutschland. Mit dieser Kernaussage veröffentlichten der Verband deutscher Musikschulen (VdM) und der Bundesverband Musikunterricht (BMU) mit der Leipziger Erklärung1 im Januar 2024 erstmals eine gemeinsame Stellungnahme, um auf den Ernst der Situation aufmerksam zu machen: Zum Ausdruck gebracht wird Besorgnis über den Rückgang früher musikalischer Bildungsangebote, bedingt durch fehlenden beruflichen Nachwuchs, und (drohende) Ausfälle von Musikunterricht an Schulen und Musikschulen. Die musikalische Bildung habe unter den Einschränkungen durch Lockdowns und durch pandemiebedingte Maßnahmen gelitten; freiberuflich tätige MusikerInnen und Lehrkräfte hätten sich durch die Pandemie existenziell bedroht gesehen. Gleichzeitig würden sinkende Bewerberzahlen in musikpädagogischen Studiengängen die Situation noch weiter verschärfen.

Der Lehrkräftemangel im Zahlenspiegel

Genaue Zahlen zum tatsächlichen Ausmaß der aktuellen Problemsituation an öffentlichen Musikschulen in Deutschland existieren nicht. Eine vom Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Umfrage versuchte 2022 eine erste Bestandsaufnahme (vgl. Infobox 1).2 Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Vor allem der projizierte Personalbedarf im Bereich der Elementaren Musikpädagogik (EMP) sticht hervor.3 Die Zahl an AbsolventInnen in Nordrhein-Westfalen müsste demnach dreimal so hoch sein, um den zukünftigen Bedarf (ca. 340 PädagogInnen in fünf Jahren) zu decken.
Aber auch in instrumental- und gesangs­pädagogischen Fachbereichen mangelt es an Personal.4 So meldeten 74 Prozent der befragten Musikschulen Schwierigkeiten bei Neu- und Wiederbesetzungen sowohl von TVöD- als auch von Honorarstellen. 2021 und 2022 blieben dadurch an 50 Prozent der Musikschulen Stellen unbesetzt. Ebenfalls prob­lematisch ist das Ausbleiben qualifizierter Bewerbungen, sodass 24 Prozent der Stellen fachfremd oder ohne entsprechende Hochschulqualifikation besetzt wurden bzw. werden mussten. Zudem werden in den nächsten zehn Jahren an den öffentlichen Musikschulen des Landesverbands der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen aufgrund von Verrentungen und anderen Abgängen rund 4000 Stellen frei, ohne dass eine Nachbesetzung garantiert werden kann.

Hochproblematisch für die Musikschulen ist die Abwanderung – vor allem von jungen Honorarkräften – in den Schuldienst.

Bei einem Durchschnittsalter der Lehrkräfte von aktuell 49 Jahren wird diese Problematik auch langfristig bestehen bleiben. Blickt man auf die deutschlandweiten Stellenengpässe für Lehrberufe, liegt die Vermutung nahe, dass Musikschulen in anderen Bundesländern vor ähnliche Herausforderungen stehen. Besonders schwierig dürfte es dabei um die Unterrichtsversorgung in ländlichen Regionen bestellt sein.
Hochproblematisch für die Musikschulen ist zudem die Abwanderung – vor allem von jungen Honorarkräften – in den Schuldienst.5 Eine bessere Bezahlung, die dort bis zur Tarifstufe TV-L 13 reicht, steht einer mageren TVöD 9b an den Musikschulen gegenüber; soziale Absicherung und familienfreundlichere Arbeitszeiten machen den Berufsfeldwechsel zusätzlich attraktiv.
Doch auch an den allgemeinbildenden Schulen ist man trotz der Zuwanderungen aus den Musikschulen weit von einer Bedarfsdeckung entfernt. Musikunterricht wird dort oft fachfremd unterrichtet oder fällt mitunter aus. Bereits in der Primarstufe herrscht ein erheblicher Mangel an Lehrpersonal, der sich zumindest mittelfristig kaum auflösen wird. So kam eine Studie der Bertelsmann Stiftung 2020 zu dem Ergebnis, dass bis 2028 deutschlandweit etwa 25280 MusiklehrerInnen an Grundschulen fehlen werden.6

Ursachen für den ­Nachwuchsmangel

Als Gründe für den Nachwuchsmangel an Musikschulen benannte der Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen als Ergebnis seiner Umfrage7 unter anderem die anspruchsvollen Eignungsprüfungen an Musikhochschulen sowie die kostspielige Ausbildung bereits vor Studienantritt. Darüber hinaus dauere ein berufsqualifizierendes Bachelorstudium acht anstelle von in anderen Studiengängen regulär sechs Semestern. Musikschullehrkräfte bemängelten in der Studie zudem, dass der Aufwand und das geforderte berufliche Engagement nicht mit den Berufsaussichten und der Vergütung übereinstimmen. Zudem würden sie sich gesellschaftlich und politisch nicht ausreichend anerkannt fühlen, was die Berufstätigkeit an Musikschulen unsicher erscheinen ließe.
Eine Umfrage vom März 2024 unter 498 EMP-Lehrkräften an VdM-Musikschulen zur Arbeitszufriedenheit bestätigt die Erkenntnisse aus der Vorgängerbefragung und liefert weitere Hinweise auf Ursachen für den Lehrkräftemangel.8 Als ein wesentlicher Grund wird ebenfalls „ein eindeutiges Missverhältnis zwischen Qualifikation und Entlohnung“ genannt. Darüber hinaus bedürften elementarpädagogische Unterrichtssettings eines deutlichen Mehraufwands in der Vorbereitung und der Durchführung (mental load) gegenüber Einzelunterricht. Als weitere Negativpunkte werden auch häufige Ortswechsel zwischen unterschiedlichen Unterrichtsorten, die stimmliche Belastung und der Umgang mit schwierigen Kindern angeführt. Weiterhin geben 42 Prozent der befragten Lehrkräfte an, einen Berufswechsel bereits in Erwägung gezogen zu haben. Diese wenig attraktiven Berufsaussichten wirken vermutlich auch auf StudienbewerberInnen für den EMP-Bereich abschreckend.

1 vgl. Bundesverband Musikunterricht (BMU)/Verband deutscher Musikschulen (VdM): Leipziger Erklärung des Bundesverbandes Musikunterricht und des Verbandes deutscher Musikschulen vom 12.01.2024, www.bmu-musik.de/fileadmin/user_upload/Leipziger_Erkl%C3%A4rung_finale_Fassung.pdf (Stand: 19.6.2024).
2 vgl. Landesverband der Musikschulen in NRW (LvdM NRW): Nachwuchsmangel bei den Musikschul-Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen, Vorlage 18/527, Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am 23. März 2023, www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST18-427.pdf (Stand: 19.6.2024).
3 ebd., S. 4.
4 ebd., S. 5.
5 ebd.
6 vgl. Lehmann-Wermser, Andreas/Weishaupt, Horst/ Konrad, Ute: Musikunterricht in der Grundschule. Aktuelle Situation und Perspektive, hg. von der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2020, https://doi.org/10.11586/2020007 (Stand: 19.06.2024).
7 vgl. LvdM NRW, Nachwuchsmangel bei den Musikschul-Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen, S. 6 f.
8 Lazarus, Annette: „Hat die EMP ein ,weibliches‘ Prob­lem? Eine Umfrage unter Lehrkräften an VdM-Musikschulen zur Arbeitszufriedenheit zeigt Gründe für den Fachkräftemangel auf“, in: neue musikzeitung, Heft 6, 2024, S. 21.


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