Thielemann, Kristin

Ganz schön wild!

Besondere Schüler entspannt unterrichten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2021
erschienen in: üben & musizieren 4/2021 , Seite 57

Wer viel unterrichtet, kennt „hibbelige“ Kinder genauso gut wie das Gefühl, als Lehrperson nicht weiter zu wissen. Hier setzt Kristin Thielemann an: Die Trompeterin und Musikpädagogin hält praktische Empfehlungen bereit, mit „besonderen Köpfen“ einen „besonderen Weg“ zu gehen.
Im ersten Kapitel geht es um „Energiebündel“: Die Autorin trägt zahlreiche Informationen zur Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zusammen. So listet sie Symptome auf und gibt Einblick in medikamentöse Behandlungen sowie deren Nebenwirkungen, die unmittelbaren Einfluss auf den Unterricht nehmen können. Viele praktische Tipps, Hinweise zur Elternarbeit und konkrete Spielideen von der Büroklammer-Kette, über den Stifte-Zauber bis zum Strohhalm-Parcours werden vorgestellt.
Thielemann vergisst dabei nicht, die Einstellung der Lehrperson in den Blick zu nehmen. So zeigt sie zum Thema „Stress“ Strategien auf, sich selbst zu beruhigen, Situationen anzunehmen, aber auch den Blick auf Stress­ursachen zu richten. Vielfältige Möglichkeiten werden vorgestellt, um Raumatmosphären zu gestalten und ein reizarmes Umfeld herzustellen, etwa durch Abdeckungen, beruhigende Lichtverhältnisse oder das Einrichten einer Chill-Ecke. Die Anleitungen zur Aktivierung von Akupressurpunkten können sich für Lehrende und Lernende gleichermaßen als hilfreich erweisen.
Neben dem Thema Hausaufgaben werden auch Stärken und Störungen im Gruppenunterricht unter die Lupe genommen. Überdies gibt die Autorin zahlreiche Tipps, wie Lehrende positiv gestimmt auf SchülerInnen zugehen und welchen Beitrag sie für deren Glückserfahrungen leisten können.
Die Ausführungen zeugen von einer beeindruckend vielseitigen Unterrichtserfahrung und umsichtigen Auseinandersetzung damit. Stellenweise wäre ein vertiefender Blick – etwa in Bezug auf Etikettierungsproblematiken – wünschenswert gewesen. Welches Werte- und Normensystem verbirgt sich hinter Ausdrücken wie „der Störer“, „besondere Kinder“, „freche Kinder“ oder „ADHS-Kids“? Aus welcher Perspektive erfolgen Diagnosen? Häufig werden Menschen erst „be-sondert“, indem ein bestimmtes Verhalten als problematisch aufgefasst oder in anderer Weise exponiert wird. Vielleicht ist die Verknappung jedoch schlicht dem Ratgebercharakter des Hefts geschuldet. So gesehen bleibt die beachtliche Fülle praktischer Unterrichtstipps. Zahlreiche Literaturhinweise regen zum Weiterlesen an.
Neben Merkkästen, z. B. zum Thema „Handlungsoptionen bei frechem Verhalten“ oder „Umgang mit Störungen in der Gruppe“, sind im Heft auch Vorlagen eines Elternfragebogens, eines Glückstagebuchs, eines Detailplans zur Stundenvorbereitung und einer Hausaufgabennotiz mit Übechronik abgebildet. Damit differenziert umzugehen, bleibt den LeserInnen überlassen. Thielemann möchte Lehrenden Mut machen. Das gelingt ihr.
Katharina Bradler