Griffiths, Paul

Geschichte der Musik

Vom Mittelalter bis in die Gegenwart

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Metzler/Bärenreiter, Stuttgart/ Kassel 2008
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 54

Dasselbe Thema, fast der gleiche Titel, aber eine unterschiedliche Art der Konzeption. Geschichte der Musik heißen die Bücher von Arnold Werner-Jensen und Paul Griffiths. Doch in Ansatz und Ausführung beschreiten die beiden Autoren individuelle Wege. Arnold Werner-Jensen, Musikwissenschaftler, ausgebildeter Kapellmeister, ehemaliger Gymnasiallehrer und Musikkritiker, Professor für Musik und Musikdidaktik in Heidelberg und Weingarten, richtet seine lehrreiche Publikation an Interessierte aller Altersklassen, auch und besonders an Jugendliche, die hier möglicherweise einen ersten Einstieg ins Sujet finden. Sein Stil ist daher betont unprätentiös, zeichnet sich durch große Anschaulichkeit aus, spezielle Musikkenntnisse werden nicht unbedingt vorausgesetzt.
Werner-Jensens „Musikgeschichte für alle“ ist chronologisch angelegt, lässt den Leser an ihrer Entwicklung vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart hinein teilhaben, wobei zugleich bestimmte Gattungen und aufkommende Phänomene behandelt werden wie etwa die Entstehung der Oper im 16. Jahrhundert oder ein so wichtiger Komplex wie „Bach und die Fuge“. Man erfährt zum Beispiel, dass im 14. Jahrhundert Italien neben Frankreich zweite führende Kunst-Nation wird und dies nicht nur auf dem Sektor der Musik. Die Kirchenmusik berücksichtigt Werner-Jensen ebenso wie die relevanten Gattungen Sinfonie, Sonate etc. oder die Großmeister der Kompositionskunst (Haydn und Mozart, Beethoven und Schubert). Der Musiker und Musiktheoretiker, der Fachtermini anschaulich zu erläutern versteht, erwähnt die im Europa des 19. Jahrhunderts grassierenden Nationalstile, dazu Gebrauchs- und Tanzmusik, schildert die Stilvielfalt im 20. Säkulum und bezieht auch Musical, Spiritual, Gospel und Jazz mit ein.
Dieser große Bogen lässt sich anhand der beiliegenden CD nachvollziehen, die eine gute Orientierung vom gregorianischen Choral bis zu Louis Armstrong bietet. Besonderer Vorteil dieser griffig geschriebenen Publikation: Man kann ihre Lektüre auch hinten beginnen, wo die zweifelhafte Relevanz von Epochenbegriffen angesprochen wird, die historische Aufführungspraxis oder das Thema „Frauen in der Musik“.
Dieses Vorgehen empfiehlt sich bei der Veröffentlichung von Paul Griffiths nicht, denn der Text des Musikschriftstellers und langjährigen Musikkrikers, der auch als Librettist und Romancier wirkt, ist eng miteinander verzahnt durch einen kontinuierlich laufenden Erzählduktus. Griffiths gewährt dabei tiefe Einblicke in seinen imponierenden Wissensfundus. Zwar zeichnet sich auch sein Stil durch gute Verständlichkeit aus, doch er scheint bei seinen Lesern gewisse Vorkenntnisse vorauszusetzen.
Immer wieder weitet sich diese Musikgeschichte zur allgemeinen Kulturgeschichte aus und die Lesenden werden auf einer spannenden Zeitreise durch die verschiedenen Epochen geführt. Die Darstellung des Briten geht häufig ins Detail, wartet mit einer Vielzahl von Namen und Fakten auf und berührt dabei zuweilen auch die Situation der Musiker, zum Beispiel die der Madrigalisten zur Shakespeare-Zeit.
Griffiths liefert eingehende Werkanalysen (zum Beispiel im Zusammenhang mit der neuen Monodie bei Monteverdi), ruft das Fluidum des jeweiligen Jahrhunderts hervor und bezieht auch Einflüsse von Politik oder Kirche mit ein. Er verwebt die Musikerbiografien mit zeitbedingten Lebensumständen und behandelt Entwicklungen in unterschiedlichen Ländern parallel, sodass ein komparatistisch ausgerichtetes geistesgeschichtliches Panorama entsteht. Paul Griffiths beschränkt sich – abgesehen von kurzen Erwähnungen des Jazz oder der Pop-Musik – auf die klassische Musik, riskiert aber Seitenblicke auf andere Künste wie etwa die abstrakte Malerei, deren Aufkommen er analog zum Entstehen der Atonalität sieht.
Mein Vorschlag: Zuerst sollte man sich die Darstellung von Arnold Werner-Jensen vornehmen und danach das Buch von Paul Griffiths. Dann ist man rundum informiert über alle wesentlichen Erscheinungsformen der Musik im Laufe der Jahrhunderte.
Heide Seele