Kopp, Jan

Gesten

10 Seiten für Klavier, mit Online-Material

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Helbling, Esslingen 2022
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 61

Der Stuttgarter Komponist Jan Kopp, ausgebildet unter anderem von Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann, legt mit Ges­ten eine Sammlung von zehn Klavierstücken vor, die er im Frühjahr 2020 schrieb. In jedem wird eine spezifische Art, das Klavier zu bedienen, in den Fokus genommen.
Ausgangspunkt ist ein spielerischer Umgang mit Klaviertechnik. Den Stücken sind „Mini-Workshops“ beigegeben, die einen pädagogischen Zugriff ermöglichen mittels Vorübungen, Isolation einzelner Elemente, Reduktionen und Erprobungen.
Die Gesten sind kurz, sie passen je auf eine Seite (die Workshops ebenso), dauern meist ein bis zwei Minuten. Der Titel gibt die jeweilige Geste an (z. B. Federn, Kreuzen, Neigen), im Untertitel wird die zugehörige Technik genannt (gefesselte Finger, Glissando-Training, überkreuzte Hände). Kopps Anliegen ist es, das Klavier neu entdecken zu lassen. Er ordnet seine Miniaturen einem mittleren Schwierigkeitsgrad zu und sieht sie als Vortrags- und Wettbewerbsstücke.
Beim Wiegen hat der Daumen stets zwei weiße Tasten zugleich anzuschlagen, beim Stelzen sind Akkorde in entfernten Lagen zu spielen, aus denen einzelne Liegetöne überstehen, beim Rufen kommen zu Staccato-Phrasen der rechten Hand stumm gegriffene Akkorde der linken als Resonanzräume hinzu. Das Ziel ist die genaue Ausführung des genau Notierten. Diese Selbstverständlichkeit müsste hier keine zwingende sein, da die Technik ja erst ausprobiert werden soll und darin auch zu eigenen Lösungen führen könnte.
Geübt werden genaues Lesen sowie aufmerksame Konzentra­tion auf die technische Umsetzung. Die geforderte Disziplin dürften erst fortgeschrittenere KlavierschülerInnen aufbringen. Obwohl Technik und Affekt jeweils gleich bleiben, gibt es bei den Tonfolgenabläufen kaum Wiederholungen (die Ausnahme bilden zwei Stücke aus Taktbausteinen), wodurch das Einüben erschwert wird.
Die „Mini-Workshops“ inspirieren zum Machen, die Anleitungen sind knapp gehalten und klar formuliert. Hier ist Selbstständigkeit gefragt bei Fingersätzen, Übertragungen auf die linke Hand, Rückwärtsspielen etc. Die Erarbeitung im Unterricht wäre dem Selbststudium vorzuziehen. Über die verlagseigene App sind Einspielungen aller Stücke abrufbar.
Die Spielweisen sind zum Teil ungewohnt, manche vermutlich noch nie ausgeführt worden. Kopps Gesten bieten eine Vielfalt von Rhythmen, Klanglichkeiten, Griffweisen und Anschlagsarten. Sie sind zeitgenössisch, trotz partieller Assoziationen an Bartók. Ihre Ausführung ist zuweilen schwierig, gerade bei den Flageoletts oder bei extremen Wechseln der Dynamik. Auch wenn der Komponist nur wenige freie Übungen vorschlägt, könnten die hier vorgestellten Verfahren eine Basis für eigenes Experimentieren bilden.
Christian Kuntze-Krakau