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Gomes, Jesse / Ralph Lange

Gitarrenklassen mit „SmartMusic“

Potenziale einer digitalen Lernplattform im instrumentalen Klassenunterricht

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

Die Lübecker Musikschule erprobt seit einigen Jahren die digitale Lernplattform „SmartMusic“ aus den USA.1 Seit diesem Jahr wird sie erfolgreich in heterogen besetzten Gitarrenklassen mit benach­teiligten Kindern getestet. Die Erfahrungen zeigen, dass die SchülerInnen in den Stunden deutlich mehr Musizieren und Disziplin kein großes Thema mehr ist. Die Lehrenden können ihre Unterrichtskonzeption dadurch besser realisieren und haben mehr Raum für Feedback.

In den Gitarrenklassen der Lübecker Musikschule lernen 20 bis 25 SchülerInnen gemeinsam Gitarre. Angeleitet werden sie durch ein bis zwei Lehrende der Musikschule. Das zentrale Medium zur Darstellung der Noten ist die digitale Lernplattform SmartMusic. Das Funktionsprinzip von SmartMusic ist denkbar einfach: Es ist eine Art intelligenter Übebegleiter, der sich auch für Großgruppen eignet.
Die Noten werden von einem Laptop mittels eines Beamers auf eine Leinwand projiziert. Die Kinder sitzen mit Blick auf die Leinwand im Raum verteilt und spielen die Noten vom Bildschirm ab. SmartMusic arbeitet mit der klassischen Notenschrift, sodass den SchülerInnen ein universelles Zeichensystem vermittelt wird. Wahlweise lassen sich auch Akkordsymbole oder Tabulaturen einblenden. Wenn ein Stück gestartet wird, bewegt sich ein grüner Cursor im Taktschlag durch die Noten. Dazu erklingt Musik von gut gestalteten Play-alongs aus einer Online-Play-along-Bibliothek mit fast 50.000 Titeln. Durch diese Unterstützung behalten die SchülerInnen stets die Orientierung und können verfolgen, wo sie sich im Notentext befinden.
SmartMusic bietet vielfältige Einstellungsmöglichkeiten. Das Tempo lässt sich beliebig verändern, ein Metronom kann hinzugeschaltet werden und auch die Tonhöhe der Stücke kann bei vielen Stücken verändert werden. Die Solostimme und die Begleitmusik kann zu- oder abgeschaltet werden, der Cursor kann verändert werden und das Notenbild lässt sich verbergen. Auch das Auswählen einzelner Takte zu Übezwecken ist möglich.

Musik und Lernfelder

Für die Gitarrenklassen wurden mehrere hundert Gitarrenstücke in das SmartMusic-System eingepflegt. Weitere Stücke stammen aus Gitarrenschulen, die bereits in SmartMusic enthalten sind. Meist handelt es sich um kurze ansprechende Titel. Viele der Stücke werden mit Texten zum Mitsingen angezeigt. Dadurch wird das Lernen der Rhythmik über eine sprachliche Ebene ermöglicht. Manche Stücke arbeiten auf einer klanglichen Ebene, bei der es darum geht, die Gitarre als Klangerzeuger zu erleben. Hier geht es dann zum Beispiel darum, die Länge der Vibration des Instruments und der Saiten zu spüren.
Die Stücke decken verschiedene Lernfelder ab, die sich in beliebiger Reihenfolge kombinieren lassen. Dazu gehört etwa das Spiel einzelner offenen Saiten, das Lagenspiel oder der Akkordanschlag. Zu jedem Lernbereich sind zahlreiche Stücke hinterlegt, sodass Lehrende pro Lernfeld zahlreiche Variationsmöglichkeiten haben.
Die Gitarre erklingt heutzutage in den unterschiedlichsten Kontexten und Stilistiken, z. B. als Soloinstrument, als Melodieinstrument in Ensembles oder als Akkordinstrument mit Begleitfunktion. Für die wichtigsten davon wurden auf der Plattform SmartMusic Stücke konzipiert und mit Play-alongs versehen. Diese ermög­lichen den SchülerInnen ein authentisches Klangerlebnis.

Vorteile des Arbeitens mit „SmartMusic“

Durch die Visualisierung der Noten auf einem Bildschirm und gleichzeitigem Klangerlebnis durch die Play-alongs geraten die SchülerInnen umgehend in den Bann der Musik. Auch SchülerInnen, die durch traditionelle Methoden der Arbeit in heterogenen Gruppen bisher nicht gut erreicht werden konnten, sind erfahrungsgemäß auf einmal mit Feuer und Flamme beim Musizieren dabei. Probleme mit Disziplin geraten dadurch völlig in den Hintergrund, wie in allen SmartMusic-Gruppen immer wieder beobachtet werden konnte. Es erscheint fast so, als sei der Bildschirm ein eigenständiger Lernkanal geworden, der die SchülerInnen intensiver anspricht und zum Mitmachen auffordert, als es eine Lehrperson könnte.
Dies mag für Lehrende auf den ersten Blick inakzeptabel erscheinen. Auf den zweiten Blick ergeben sich daraus jedoch ganz neue Möglichkeiten der Gestaltung des Unterrichts. Die Lehrperson wird durch SmartMusic von vielen unterstützenden Aufgaben im Lernprozess der Kinder entlastet. Zum Beispiel müssen Lehrende nicht mehr die Noten anzeigen (mittippen), um sicherzustellen, dass die SchülerInnen diesen auch folgen können. Stattdessen können sie ihre Aufmerksamkeit viel stärker auf die SchülerInnen richten, sie beobachten und ihnen zuhören. Dies bietet insbesondere die Gelegenheit für vielfältige Feedbackmöglichkeiten im und nach dem Spiel, setzt aber voraus, dass die Lehrenden die Stücke gut kennen, um nicht selbst auf den Bildschirm starren zu müssen. Die Rolle als Mitspieler, Anfeuerernder oder Zuhörer sind weitere Rollen, in die die Lehrkräfte schlüpfen können.

Differenzierung und Homogenisierung

Wenn eine Lehrperson bemerkt, dass SchülerInnen langsamer lernen, stehen ihr mit SmartMusic vielfältige Möglichkeiten zur Bildung didaktischer Reihen zur Verfügung. Dies sind zum Beispiel die Elementarisierung der Stücke, das Hinzufügen diverser Kontrollebenen (z. B. Cursor-Einstellungen) sowie die Verlangsamung und die Isolierung schwieriger Stellen. Das Gute an SmartMusic ist, dass alle Vereinfachungsprozesse für alle SchülerInnen nachvollziehbar sind und ihnen Spaß machen, weil sie Abwechslung bedeuten und so an die kindliche Neugierde anknüpfen. Auf diese Weise kann die „Problematisierung“ einzelner SchülerInnen im Unterricht vermieden werden.
Stücke können jedoch auch systematisch auf höhere Schwierigkeitsstufen getrieben werden, die nur noch die besten SchülerInnen bewältigen können. Interessanterweise wird dies von den SchülerInnen oft selbst gewünscht, sodass alle mit Begeisterung dabei sind. Zu den schwierigen Stufen gehört beispielsweise das Auswendigspiel durch Abschalten des Cursors oder des Notenbildes.

Ergebnisse der Arbeit mit „SmartMusic“

Mit SmartMusic wird die Fähigkeit geschult, Stücke von der ersten Stunde an vom Anfang bis zum Ende durchzuspielen. Dies ist eines der zentralen Spielprinzipien in SmartMusic und vielleicht sogar der notierten Musik überhaupt. Gleichzeitig lernen die SchülerInnen das Prima-Vista-Spiel. Beim Spiel nach Noten auf Papier werden Spielprozesse in der Regel häufiger abgebrochen als mit SmartMusic.
Zudem wird mit SmartMusic Erfolg messbar, da beispielsweise die Tempoeinstellung eines Stücks in den SmartMusic-Klassen stets für alle sichtbar ist und es ein Leichtes ist, mit einer Gitarrenklasse sukzessive höhere Tempi zu probieren. Gleiches gilt für etliche andere Parameter der Musik, z. B. Tongenauigkeit. Das wäre mit traditionellen Methoden zwar auch möglich, wird aber oft nicht systematisch genutzt.
Alle, die mit großen heterogenen Gruppen arbeiten, kennen die Schwierigkeit, Anweisungen an eine große Gruppe zu kommunizieren. Häufig werden die Versuche begleitet von zeitraubenden Bemühungen, die entsprechende Aufmerksamkeit der SchülerInnen zu bekommen. Mit SmartMusic fällt dieses Problem weg. In Klassen, in denen zuvor ca. 50 Prozent der Zeit geredet und erklärt wurde, war durch den Einsatz von SmartMusic eine deutliche Reduzierung des Redeanteils zu Gunsten eines deutlich höheren Musizieranteils von ca. 80 Prozent keine Seltenheit.

1 vgl. Ingolf Drabon/Ralph Lange: „Digital üben und unterrichten. An Musikschulen in Schwerin und Lübeck wird sehr erfolgreich die Lernsoftware ,SmartMusic’ eingesetzt’, in: üben & musi­zieren 1/2019, S. 44-48.

 

Technische ­Voraussetzungen
„SmartMusic“ läuft aktuell auf Mac, PC und auf dem iPad. In den Gitarrenklassen werden in der Regel Laptops, Beamer und gute Lautsprecher eingesetzt. Die Basisversion von „SmartMusik“ kostet im Jahr ca. 40 Euro und reicht für die Gestaltung einer „SmartMusic“-Klasse aus. Eine webbasierte Version von „SmartMusic“ soll demnächst in Deutschland verfügbar sein.