Kölsch, Stefan

Good Vibrations

Die heilende Kraft der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ullstein, Berlin 2019
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 56

„Heile, heile Gänsje, es wird bald wieder gut“: Der gesungene müt­terliche Trost im Kinderlied versinnbildlicht trefflich die Idee von Musiktherapie, von Heilung durch Musik. Denken wir uns das Singen hinzu, so ist damit auch der weite Rahmen abgesteckt für diese umfassende Darstellung von Musiktherapie aus vielen Perspektiven, als da wären die neurologische, biologische, psychologische, die medizinische, musikalische, soziologische Sichtweise. Und immer wieder gibt es dazu Tipps mit ­einer gehörigen Portion praktischer Lebenshilfe, die manchmal allerdings nur als „gut gemeint“ gelten können.
Stefan Kölschs Buch richtet sich an den Fachmann, den Arzt den Musiktherapeuten, an – ganz gendergerecht formuliert – „jedermann und jederfrau“, damit auch an jeden potenziellen Patienten. Kölsch ist ausgebildeter Geiger, hat Studienabschlüsse in Psychologie und Soziologie und hat am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig promoviert. Er hat eine Professur für biologische und medizinische Psychologie an der Universität Bergen in Norwegen inne. Die Perspektivenvielfalt, mit der sich das Buch seines Themas annimmt, macht es zu einem Leseerlebnis. Und man wird zugeben müssen, dass man nach der Lektüre auf eine besondere Weise mit neuen Ohren hört.
Denn wenn man weiß, dass Schlaganfall-Patienten durch Mu­sik wieder zu sprechen beginnen, dass aber das, was so „wundersam“, als sei es „der Bibel entlehnt“, anmutet, mit den bildgebenden Maßnahmen an hirn­physiologischen Veränderungen sichtbar gemacht werden kann, dann sind wir bei jedem Musikhören mit geschärftem Bewusstsein dabei. Und wir erleben Musik anders, wenn wir wissen, dass die Gehirnalterung durch Musikhören (und mehr noch Musikmachen) verlangsamt wird.
Stefan Kölsch gelingt es, seinen LeserInnen unser menschliches Gehirn als faszinierendes Wunder zu zeigen und gleichzeitig seine wunderbare Wachheit für Musik darzulegen. „Wenn aus der Stille vor dem Beginn eines Konzerts heraus die ersten Töne eines Stückes beginnen, geschieht im Gehirn ein neuronaler Urknall mit phänomenalen Auswirkungen.“ Es sind diese phänomenalen Auswirkungen, die schwer bewegungsgestörte Parkinson-Patienten dazu befähigen, nach Musik zu tanzen, „als hätten sie nie Parkinson gehabt“.
Kölsch legt in leidenschaftlicher Diktion dar, wie Musik Schlaganfallpatienten hilft, über das Singen den Sprachverlust rückgängig zu machen. Oder dass Alzheimer-Patienten gesungene Informationen besser behalten als gesprochene. Die diesbezügliche Forschung wird gerade von Kölsch auf den Weg gebracht. Der umfangreiche Anmerkungs-apparat ist eindrucksvoller Hinweis auf wissenschaftliche Absicherung. Das Register verführt zum Stöbern, auch zum vertiefenden Wiederlesen.
Günter Matysiak