Hauff, Andreas

Gorillas und Babys

Jubiläumstagung „20 Jahre Musikgarten“ in Mainz

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 38

20 Jahr’ sind Grund zum Feiern. Zur Jubiläumstagung „20 Jahre Musikgarten“ lud das Institut für elementare Musikpädagogik (IfeM) in Mainz am 19. Mai 2012 in die Musikhochschule. Mit Frühstück, Sekt und Mittagsbüffet an Bänken und Tischen im Innenhof, bei freundlichem Wetter und bunt gemischten Übeklängen aus den geöffneten Fenstern zeigte sich der nüchterne Zweckbau von seiner freundlichsten und lebendigsten Seite und bot auch abseits des offiziellen Programms Gelegenheit zur Begegnung.
Mit dem Vortrag „Ein Troll singt toll“ von Uli Führe machte das IfeM sich selbst und den TeilnehmerInnen ein wirkliches Geschenk. Über 45 Minuten lang präsentierte der badische Gesangspädagoge, Komponist und Kleinkünstler eine originelle Mischung aus gymnastischer Lockerung, Stimmbildung, Publikumsanimation und Kabarett. Dass er in der Nähe von Freiburg in einem Reservat lebt, war schnell geklärt. Wie sonst sollte er an diesem frostigen Mai-Morgen einen Gorilla vor seiner Haustür entdeckt haben, der sich in den nahen, von einer warmen Breisgau-Quelle gespeisten Teich zurückzog, um schließlich mit seinen Artgenossen die aus dem nördlichen Düsseldorf angereisten Touristen nicht nur mit Wasser, sondern auch mit dem Morast vom Grunde des Gewässers zu bespritzen – gewissermaßen als Fangopackung? Mit der Zeit folgten dann auch gesangspädagogische Kommentare. Wie sehr das Üben der Stimme Spaß machen kann und wie stark ein Pädagoge auch Entertainer sein darf, machte Führe eindrucksvoll deutlich. Den Mut dazu kann man bei ihm lernen, auch wenn sein persönlicher Stil unnachahmlich ist. Was bei ihm ebenso witzig wie authentisch wirkt, passt lange nicht für jede Musikgarten-Lehrerin.
Von diesen Lehrkräften gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz inzwischen an die 2300 mit offizieller „Musikgarten“-Lizenz, teils auf selbstständiger Basis, teils als Angestellte in Kindergärten, Kitas und Musikschulen. Ausgegeben werden die Lizenzen vom IfeM kostenlos; einzige Bedingung ist die Teilnahme an einem der angebotenen Weiterbildungsseminare alle zwei Jahre. Ursprünglich gab es zwei Phasen des Konzepts: „Musikgarten 1“ für Kinder von 18 bis 36 Monaten und „Musikgarten 2“ von drei bis fünf Jahren. Begründerin ist die US-amerikanische Musik- und Montessori-Pädagogin Lorna Lutz Heyge. Nach Studium und ersten beruflichen Erfahrungen in Deutschland begann sie 1978 in den USA mit einem „Musikgarten“-Programm, das 1992 den Weg zurück nach Deutschland fand. Inzwischen gibt es eine weitere Staffel „Musikgarten für Babys“ und ein ergänzendes Programm „Singing in English“ für Kinder von drei bis fünf Jahren.
Lutz Heyge, die aus persönlichen Gründen nicht nach Mainz kommen konnte, äußerte sich in einem Interview zum Jubiläum: „Wichtigstes Ziel des Musikgartens ist es, Kinder so früh wie möglich auf spielerische Weise an Musik heranzuführen und das Musizieren zu einem festen Bestandteil im Familien­leben zu machen.“ Dafür gibt es inzwischen ein gut durchstrukturiertes Konzept mit ausführlichen Lehrer-Materialien und einladenden Familienpaketen zum Musikmachen und -erleben daheim.
Im Lehrer-Handbuch heißt es: „Kleinkinder lernen durch Spielen, aber: Viele Erwachsene wissen nicht, wie man mit Kleinkindern spielt.“ Vielleicht könnte man auch formulieren: Sie wissen nicht mehr, wie man mit Kleinkindern spielt. Denn was Säuglinge und Eltern im „Musikgarten für Babys“ als Mischung aus Liedern, Finger- und Kniereiterspielen, Sprechversen und Tänzen kennen lernen, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was sich in früheren Zeiten zwischen dem Kind und seinen (Groß-)Eltern oder seiner Amme abspielte. Nur ist es musikpädagogisch stärker durchdacht und findet mit aufsteigendem Lebensalter eine zunehmend systematische, aber immer noch spielerische Fortsetzung.
Anfangs seien Babys als „blinde Passagiere“ in den „Musikgarten“-Kursen ihrer älteren Geschwister aufgetaucht, berichtet Evemarie Müller, Leipziger Co-Autorin von „Musikgarten für Babys“, in ihrer kurzen, aber engagierten Festrede. Wie die Kleinkinder auf Musik ansprachen, sei sehr eindrucksvoll gewesen. Das daraus entwickelte Konzept stellte Müller in einem eigenen Workshop mit Müttern, Vätern und Kindern vor. In vieler Hinsicht entstand der Eindruck, dass hier verloren gegangene Selbstverständlichkeiten des Familienlebens wieder zum Leben erweckt werden. Kreisanordnung, Begrüßung und Verabschiedung sorgen allerdings für einen Rahmen, der die Eltern-Kind-Beziehung in eine größere Gemeinschaft einbettet. Mitmachen oder Beobachten werden zu einer angenehmen und anrührenden Erfahrung. „Ich bin nie so entspannt in der ganzen Früherziehung wie im ‚Babygarten‘“, bestätigte später eine Teilnehmerin.
Ein großer Vorteil von Workshops ist die direkte Begegnung mit Praktikern. Selbst erfahrene „Musikgärtner“ nahmen von Evemarie Müller die Anregung mit, Echospiele an Lieder zu knüpfen und dabei nicht nur Dreiklangstöne zu singen. Und auch Ulrike Eiring hatte in ihrem Workshop „Kreativideen aus dem Musikgarten“ wertvolle Anregungen parat, nicht zuletzt die, nicht immer am üblichen Repertoire zu kleben, sondern auch „den Schatz der Lehrerhandbücher zu heben“ – und darüber hinaus auch Lieder spielerisch umzutexten. Immer wieder zeigte sich die Grundstruktur aufbauender Unterweisung: Auf der einen Seite braucht es klare Strukturen, auf der anderen Seite entstehen dadurch auch wieder Freiräume.
Insgesamt scheint der „Musikgarten“ auf einem guten Weg. Studien dazu gibt es noch nicht, doch Evemarie Müller wusste von der Erfahrung zu berichten, dass Kinder, die nach dem „Musikgarten“ in die musikalische Früherziehung kommen, ein ausgeprägtes Melodiebewusstsein, ein klares Grundschlagsempfinden und einen leichteren Zugang zu den mathematischen Zusammenhängen in der Musik mitbringen. Gefeilt wird eher an den Details: Gerade ist „Musikgarten 1“ überarbeitet worden – mit einer ausführ­licheren Lehrerhandreichung, neuen Liedern und optisch ansprechenderen Liederheften.

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