Weiss, Jean Gaspard

Grands Préludes & Solos

für eine und zwei Flöten

Rubrik: Noten
Verlag/Label: ortus, Beeskow 2013
erschienen in: üben & musizieren 1/2014 , Seite 55

Er führte ein bewegtes Leben und schrieb recht anspruchsvolle, aber auch sehr gefällige Musik – und dennoch ist Jean Gaspard Weiss heute selbst ausgewiesenen Flötenfreunden kaum noch ein Begriff. Der 1739 im elsässischen Mulhouse als Sohn eines Schusters und Turmbläsers geborene Flötist und Compositeur ging schon in jungen Jahren nach Basel und Bern, später nach Genf, wo er seine beim Vater begonnene Ausbildung im Spiel der Traversflöte zu befördern suchte.
1767 übersiedelte er nach London, wo er bald in Kontakt mit den dort ange­sehendsten Musikern wie Carl Friedrich Abel und Johann Christian Bach stand und mit ihnen musizierte. Obwohl er keine feste Anstellung hatte, blieb er 16 Jahre in der englischen Hauptstadt, wo er als gesuchter Orchestermusiker, Solist und Flötenlehrer offenbar zu einem gewissen Ruhm kam, bevor er 1783 als vermögender Mann nach Mulhouse zurückkehrte.
Hier investierte er sein Vermögen in die Textilindustrie und gehörte schnell zur High Society der Stadt. Er spielte nun nicht mehr öffentlich, komponierte jedoch nach wie vor und unterrichtete Schüler im Flötenspiel – unter anderem auch seine eigenen Söhne. Für einen von ihnen, Nicolas Weiss, schrieb er die nun von Tobias Bonz herausgegebenen Grands Préludes für ein und zwei Flöten.
Diese sind sicherlich keine Literatur für Anfänger, wenn Weiss darin auch großteils auf wirklich virtuose Passagen verzichtet. Dennoch haben die Stücke es in sich. Das beginnt mit den vielen verschiedenen Tonarten, in denen sie stehen: Neben – für die frühklassische Traversflöte, für die sie geschrieben sein dürften – sehr angenehmem D-Dur findet sich hier auch einmal f-Moll und gar das äußerst schwer zu intonierende und zu greifende H-Dur. Vom Ambitus her nutzt Weiss die Möglichkeiten der Traverse nahezu aus (d’ bis g”’), doch setzt er die Extremlagen nicht in jedem der Stücke ein.
Melodisch sind diese vor allem durch viele arpeggierte Akkorde gekennzeichnet, die teilweise durch zweieinhalb Oktaven nach oben und unten laufen, aber in den zweistimmigen Stücken spielen die beiden Flöten teils auch über mehrere Takte parallel und wechseln sich dann wieder mit Wechselnoten in Sechzehnteln ab, die eine Art harmonischen Untergrund für die melodischen Gänge der jeweiligen Hauptstimme bilden. Zwischendurch stehen jedoch auch lange Noten, die natürlich entsprechend gestaltet werden müssen. Beide Stimmen sind von Ambitus und Anspruch her gleichwertig.
So bieten diese 16 Präludien und acht Solo-Stücke eine große Auswahl an Anforderungen, die sie zu guten Übungsstücken für fortgeschrittenere Travers- und auch QuerflötistInnen machen. Dazu eignen sie sich in ihrer spätklassischen, durchaus ambitionierten, aber nicht zu komplexen Harmonik, ihrer galanten Stilistik und Melodieführung auch sehr gut für Vorspielabende oder Konzerte. Kurz: eine ­interessante Bereicherung des Flötenrepertoires!
Andrea Braun