Parada-Cabaleiro, Emilia
Großes Potenzial
Künstliche Intelligenz in Musikpädagogik und musikalischer Kreativität
Künstliche Intelligenz als Werkzeug für LehrerInnen und SchülerInnen hat das Potenzial, Lehren und Lernen sowie kreative Prozesse zu revolutionieren. Was ist KI und welche Rolle spielt sie bislang im Kontext musikalischer Kreativität und Bildung? Inwiefern kann sie Bildungs- und Kreativprozesse sinnvoll unterstützen?
Künstliche Intelligenz (KI) kann als ein System definiert werden, das die Fähigkeit besitzt, Aufgaben auszuführen, für die normalerweise menschliche Intelligenz erforderlich ist, wie zum Beispiel lernen, Probleme lösen und Entscheidungen treffen. Aufgrund dessen kann KI repetitive Aufgaben übernehmen, um die Menschen zu unterstützen und ihnen die komplexen Aufgaben zu überlassen. KI kann auch individuelle Bedürfnisse und Interessen identifizieren, um personalisierte Anweisungen zu geben, was sie besonders interessant als Werkzeug in der Bildung macht. Trotz der potenziellen Vorteile fehlen bestehenden Systemen oft solide pädagogische Grundlagen – eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Bildungstechnologie sinnvoll zum Lehr-Lern-Prozess beitragen kann.
Diese mangelnden pädagogischen Grundlagen verdeutlichen eine disziplinäre Kluft zwischen den Bereichen Bildung und Informatik im Rahmen KI-basierter Bildungstechnologien. Eine solche Kluft führt oft zur Entwicklung von Bildungswerkzeugen, die einseitig von Forschenden aus dem Bereich der Informatik stammen. Aufgrund mangelnden pädagogischen Wissens neigen sie dazu, sich zu sehr auf die Technologie zu konzentrieren anstatt auf die Nützlichkeit des Werkzeugs zur Unterstützung von Lehr-Lern-Prozessen, was zu einem Technozentrismus führen kann. In bildungstechnischer Hinsicht bedeutet dies, dass „das technologische Gerät selbst als Lösung für eine pädagogische Herausforderung betrachtet wird“,1 was es zu vermeiden gilt, da das Ersetzen der Lehrperson durch ein KI-Werkzeug in keinem Fall das Ziel oder die Lösung für ein didaktisches Problem ist.
KI in der musikalischen Bildung
Obwohl KI heutzutage vor allem durch generative KI-Modelle wie GPT allgegenwärtig geworden ist, hat der Einsatz von KI in der musikalischen Bildung eine lange Tradition. Bereits vor einem Jahrzehnt veröffentlichte Simon Holland2 eine systematische Übersicht zum Thema, in der die frühesten zitierten Arbeiten aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts stammen. Holland definiert KI in der Bildung als jede Anwendung von KI-Techniken oder -Methoden in Bildungssystemen, eine Definition, die auch im Fach Musik angemessen scheint.
Mit der Verbreitung von mobilen Geräten zeigte sich ein zunehmendes Interesse von Unternehmen im Bereich der musikalischen Bildungstechnologie an der Entwicklung von Anwendungen, die darauf abzielen, autodidaktische EndnutzerInnen zum Beispiel beim Erlernen eines Musikinstruments zu unterstützen. Solche Systeme verfügen oft über KI, die sich auf personalisierte Weise an die Vorlieben und Lernbedürfnisse der Lernenden anpassen kann, weshalb einige von ihnen auch als Intelligente Tutoringsysteme (ITS) bezeichnet werden. ITS können jedoch auch zur Ergänzung des traditionellen Lernens verwendet werden, das heißt, um den Musikunterricht zu komplementieren, etwa indem die Vorbereitung von Lehrenden effizienter gestaltet wird oder die SchülerInnen beim Üben daheim unterstützt werden.
Frühe Beispiele für den Einsatz von ITS im Fach Musik wurden im Bereich der Musiktheorie präsentiert, insbesondere zur Unterstützung der Choralharmonisierung. Bereits 1984 wurde die Software Vivace von Marilyn T. Thomas vorgestellt. Ihr Zweck bestand darin, die Metaregeln, die von den Meistern der Vergangenheit im Kompositionsunterricht intuitiv angewendet wurden, klarer zu definieren. Der Wert eines solchen Systems liegt eher im Wissen, das aus der Interaktion mit diesem extrahiert werden kann, als in der Musik selbst, wie die Autorin angibt: „The implementation of a system to harmonize melodies correctly, using good voice leading, preferred doubling, and appropriate chords is in itself not particularly difficult, or is it terribly interesting. But using this computer system to demonstrate the importance of various compositional practices and observing the results when specific rules are changed […] has already produced a great deal of interesting information about the chorale writing process. […] Bach has nothing to fear from our computer-generated music; he is still far ahead of us.“3
Wie von Simon Holland dargelegt,4 entwickelten die Studierenden von Thomas durch Experimentieren mit dem System die Fähigkeit zu formulieren, „was zu tun ist“, anstatt (wie meistens in der Harmonieliteratur angegeben) „was nicht getan werden darf“. Dies war möglich durch die Interaktion mit einem System, das regelbasiert war (das heißt ein System, das darauf ausgelegt war, bestimmten fest programmierten Regeln zu folgen) und das Lösungen anbieten konnte, die „korrekt“ waren (gemäß den Regeln), jedoch oft ästhetisch unbefriedigend klangen. Obwohl diese Systeme nicht als ITS konzipiert wurden, könnten sie innerhalb des Lehr-Lern-Prozesses integriert werden, um sowohl die Lehrenden (die damit auf einfache Weise beliebig viele Beispiele generieren können) als auch die Lernenden (welche die Technologie zur Reflexion und kritischen Bewertung des eigenen Lernens nutzen können) zu unterstützen.
Ein weiterer Hauptbereich, für den ITS entwickelt wurden, ist die Unterstützung instrumentaler und vokaler Aufführungen. Zwei Bereiche lassen sich identifizieren: objektives Feedback, das heißt Rückmeldung zu messbaren musikalischen Parametern wie Intonation und Rhythmus, und subjektives Feedback, das heißt Unterstützung expressiver Komponenten.
Der Großteil der Bildungstechnologie konzentriert sich auf objektives Feedback, insbesondere diejenigen Anwendungen, die sich an autodidaktisch Lernende richten. Der Schwerpunkt vieler dieser Technologien ist das Erlernen des Instruments in einer spielerischen Art und Weise. Theoretische Aspekte wie musikalische Notation, die in einer traditionellen formalisierten Lernumgebung zentral sind, bleiben dabei oft im Hintergrund. KI-Technologien wie Tonhöhen- oder Beat-Tracking, die typisch für autodidaktische Anwendungen sind, können jedoch auch nützlich sein, um SchülerInnen zu unterstützen, die Musik auf traditionelle Weise lernen. Sie können beispielsweise als zusätzliche Unterstützung zum Üben bestimmter Aspekte wie Intonationsgenauigkeit genutzt werden.
In Bezug auf die Unterstützung expressiver Komponenten kann die frühe Forschung, die darauf abzielte, das Verständnis der Lernenden für expressive Aufführungen mit KI zu verbessern, bis zu den frühen 1990ern zurückverfolgt werden. Ein Beispiel sind die Arbeiten von Michael Baker, der die expressive Aufführung mit der Art und Weise in Verbindung brachte, wie InterpretInnen musikalische Strukturen gruppieren und welche Lösungen für die Gruppierungen eine KI bieten kann; eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse von Baker findet man bei Holland. Neuere Arbeiten konzentrieren sich darauf, die musikalische Expressivität zu unterstützen, indem sie durch maschinelles Lernen erzeugtes Feedback zur Verfügung stellen.
Über ITS hinaus kann KI auch ein nützliches Werkzeug sein, das sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen in ihrer traditionellen Tätigkeit unterstützen kann. Werkzeuge für automatische Begleitung können MusikerInnen zum Beispiel ermöglichen, mit virtuellen Ensembles zu proben. Solche Ensembles können sich im Gegensatz zu vorher aufgenommenen Begleitungen in Echtzeit an die Leistung der MusikerInnen anpassen, was das Lernen und die Motivation verbessert. Diese so genannten Begleitsysteme zielen darauf ab, ein programmiertes (das heißt vorgefertigtes) Musikstück erfolgreich mit einem Menschen zusammen zu spielen. Zu diesem Zweck sollte ein solches System zunächst die Stimme der MusikerInnen in der Partitur erkennen, dann dazu in der Lage sein, die erkannte Eingabe mit der Notenreferenz zu vergleichen und schließlich eine ausdrucksstarke Begleitung zu erzeugen.
1 Zinger, Doron/Tate, Tamara/Warschauer, Mark: „Learning and teaching with technology: Technological pedagogy and teacher practice“, in: Husu, Jukka/Clandinin, Jane (Hg.): The Sage Handbook of Research on Teacher Education, London 2017, S. 577-593, hier: S. 578 (Übersetzung durch die Autorin).
2 Holland, Simon: „Artificial intelligence in music education: A critical review“, in: Readings in Music and Artificial Intelligence, 2013, S. 239-274.
3 Dannenberg, Roger B./McAvinney, Paul/Thomas, Marilyn T.: „Carnegie-Mellon university studio report“, in: Buxton, William (Hg.): Proceedings of the International Computer Music Conference, Paris 1984, S. 281-286, hier: S. 284.
4 Holland, S. 2013.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2024.