Wroblewsky, Govinda

Gutes Lernen im künstlerischen Einzelunterricht

Eine qualitative Interviewstudie mit Studierenden an Musikhochschulen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2021
erschienen in: üben & musizieren 3/2022 , Seite 59

Govinda Wroblewsky geht in seiner qualitativen Interviewstudie Gutes Lernen im künstlerischen Einzelunterricht der Frage nach, welche Faktoren das Lernen im Einzelunterricht fördern oder hemmen können. Um Antworten zu erhalten, wurden Interviews mit insgesamt 20 Studierenden unterschiedlicher Studiengänge und aus verschiedenen Nationen, Fachsemestern etc. geführt, die an deutschen Musikhochschulen instrumentalen, vokalen oder Einzelunterricht im Fach Dirigieren erhalten. Die Auswertung der Interviews erfolgte anhand der Grounded Theory-Methode.
Die theoretische Rahmung umfasst zum einen Forschungs­perspektiven auf den künstlerischen Einzelunterricht an Musikhochschulen und zum anderen einen breiter angelegten Abschnitt zu den Begriffen Lernen und Lehren sowie zu den drei bekannten Lerntheorien Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. Ein „Einblick in die musikpädagogische Lehr-Lern-Forschung“, der auf Audiation – als nicht-begriffliche, sondern musikalische mentale Repräsentation – sowie auf die Körperlichkeit (Embodiment) als Besonderheiten des musikalischen Lernens verweist, schließt die Rahmung ab.
Die sodann folgenden methodischen Ausführungen und mit zahlreichen illustrierenden Zitaten versehenen Interview-Auswertungen münden in die Formulierung eines „Reziprozitätsmodells von Rollenerwartungen“. Diesem folgend nehmen Lernende und Lehrende im Einzelunterricht bestimmte Rollen ein, mit denen konkrete Erwartungen hinsichtlich der Ziele, Inhalte, Methoden und der Beziehung zwischen den Beteiligten verbunden sind. Passen die eingenommenen Rollen gut zueinander (z. B. Kind – Vater/Mutter, SchülerIn – MeisterIn, FreundIn – FreundIn etc.) und werden die damit verbundenen gegenseitigen Erwartungen von beiden Seiten reflektiert und vor allem akzeptiert, sind wichtige Voraussetzungen für das Gelingen des Unterrichts geschaffen: „Eine fördernde Unterrichtssitua­tion besteht, wenn Lehrende und Lernende eine gemeinsame Rollenkonstellation eingehen, quasi eine hohe Reziprozität oder eine beidseitige Anerkennung der gewählten Rollen besteht“. Damit legt das Modell den Schwerpunkt auf die Beziehungsebene und -qualität zwischen Lernenden und Lehrenden, die entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg des Einzelunterrichts seien.
Wroblewsky legt eine gelungene Studie vor: Lernen und Lehren ist gewiss ein vielfach und gut erforschter Bereich. Dem Autor gelingt es, bekannte und prominente Lerntheorien auf die ganz konkrete Situation des musikalischen Einzelunterrichts an Musikhochschulen zu beziehen und schlüssig mit den Ergebnissen aus den Interviewanalysen in Verbindung zu setzen. Das so entwickelte, oben beschriebene Modell ist durchdacht, aussagekräftig und praxisnah.
Matthias Goebel