Stadtfeld, Martin
Händel Variations
Transkriptionen für Klavier solo auf Themen von Georg Friedrich Händel
Transkriptionen für Klavier waren im 19. Jahrhundert üblich und hatten in einer Zeit, wo den Menschen noch keine Tonträger zur Verfügung standen, den Sinn, auch weniger bekannte Werke auf diesem Wege zu verbreiten. Heutzutage ist es eher ungewöhnlich und ein bisschen wie aus der Zeit gefallen, wenn ein namhafter Pianist, offensichtlich unberührt von historischer Aufführungspraxis, einen ganzen Band mit Transkriptionen von Georg Friedrich Händel veröffentlicht.
Die elf pianistisch zum Teil recht anspruchsvollen Werke verwenden bekannte Arien und weitere Themen des Barockmeisters, unter anderem aus seiner Oper Giulio Cesare oder aus verschiedenen Instrumentalstücken. Der oftmals vollgriffige, mit Terzen, Oktaven und Arpeggien angehäufte Klaviersatz entspricht dem Klangideal des 19. Jahrhunderts. Dabei wird es klanglich manchmal opulent wie einstmals bei Brahms oder Busoni, wenn diese die alten Meister bearbeiteten. Solche Arrangements heute zu spielen, bereitet demjenigen, der sich der historischen Aufführungspraxis und den damals verwendeten Tonarten sowie dem Ambitus der Barockinstrumente verpflichtet fühlt, eher Probleme.
Wer aber Martin Stadtfelds unerschütterlicher Liebe für sein Instrument und zu einem Komponisten, der unsterbliche Melodien und Harmoniefolgen erfunden hat, folgen möchte, wird an machen der Arrangements Gefallen finden. So beispielsweise an der an Pachelbels Kanon angelehnten Passacaille in Fis-Dur, welche sich auf acht Seiten variantenreich entfaltet oder an den umfangreichen Sarabande Variations in d-Moll.
Letztere sind das spannendste Werk des Hefts. Aus der Melodiesequenz in Quartschritten, von der Subbasslage des Flügels ausgehend, entwickeln sich zehn fantasievolle Variationen mit weit aufgefächerten Arpeggien und Akkordrepetitionen bis hin zum „assai agitato“. Ein kurzes Rezitativ erinnert an Beethovens „Sturm-Sonate“, bevor eine Fuge mit chromatischer Melodiebewegung und daraus sich bildenden spannenden Harmonieverbindungen anhebt. Gegen Ende in Variation X erscheint das Thema von Händels d-Moll-Sarabande nahezu im Original, anders als der Pianist im Vorwort schreibt, und das Werk endet „improvvisando“ mit gelösten Melodiefloskeln, ganz in der Art einer barocken Fantasie.
Bei Lascia ch’io pianga und Ombra mai fù beschränkt sich Stadtfeld auf Wiederholung der Melodien und Harmoniefolgen. Lediglich der Klaviersatz ändert sich bei diesen eher schlichten Arrangements, beispielsweise wandert die Melodie vom Diskant in die Mittellage.
Martin Stadtfelds Händel Variations sind ein sehr persönliches Bekenntnis zu einem der größten Barockmeister und sollten auch nur als ein solches gesehen werden. Im Klavierunterricht wären doch eher Originalwerke Händels zu empfehlen – und dem erfahrenen Pianisten seien die Originalpartituren der Vokalwerke ans Herz gelegt.
Christoph J. Keller