Lehmann, Andreas C. / Reinhard Kopiez (Hg.)
Handbuch Musikpsychologie
Das vorliegende Nachschlagewerk zu weit aufgefächerten musikpsychologischen Themen erscheint nunmehr seit 1985; 1993 und 2008 wurde es jeweils überarbeitet. Der Unterschied zu früheren Ausgaben besteht diesmal darin, dass es vom Umfang her deutlich gewachsen ist und vor allem aktualisierte und neu geordnete Inhalte und Anregungen enthält, wie z. B. den Bereich „Musikalische Entwicklung“, der nun übersichtlich nach Altersgruppen gegliedert ist. Insgesamt wurden die sieben Themenabschnitte „Musikkultur und Sozialisation“, „Musikalische Entwicklung“, „Musik und Medien“, „Musikleben“, „Grundlagen der Musikwahrnehmung“, „Wirkungen“ und „Forschung“ beibehalten.
Da die AutorInnen hier Informationen ausbreiten, die aufgrund gesicherter Forschungsergebnisse vorliegen, dürften professionelle MusikerInnen nur bedingt Hilfen und Antworten auf individuell sich aufdrängende praxisrelevante Fragen finden. Oft ist der ausübende Musiker mit seinem (funktionierenden) Wissen und Können schon einen Schritt voraus; doch kann er sich hier einen ersten Überblick zum Forschungsstand verschaffen.
So wird in „Komposition und Improvisation“ deutlich, dass die unterschiedlichen Mechanismen für kreative Prozesse wohl auch in Zukunft nur individuell phänomenologisch beschrieben werden können und sich einer zeitübergreifenden allgemeinen Theorie entziehen – glücklicherweise!
Oder es wird in „Mythen und Legenden zur Wirkung von Musik“ deutlich belegt, dass beispielsweise die sogenannten Transfereffekte wie Steigerung von Intelligenz und Sozialverhalten durch Musikhören lediglich den Zweck verfolgen, mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Im Kapitel „Amusien – Störungen der Musikverarbeitung“ werden schließlich Fortschritte in der neurowissenschaftlichen Forschung beschrieben, bei denen es um bestimmte Verfahren der zentralnervösen Musikverarbeitung geht.
Interessant sind vor allem die Beiträge, die für das Fachgebiet Musikvermittlung bzw. Musikunterricht grundlegende Aspekte bereitstellen. So beispielsweise in den Kapiteln „Lernen, Übung und Motivation“ oder auch in „Musikalische Entwicklung“ und hier insbesondere in den Abschnitten „Altersbezogene Funktionsverluste“, „Fluide und kristalline Intelligenz…“ und „Musikhören, Singen, Tanzen und Musizieren: Beiträge zum Wohlbefinden“.
Neu aufgenommen wurde auch der Artikel über Gruppierung, Ordnung und Ähnlichkeit in der Musik, der wesentliche Grundlagen der Musikwahrnehmung aufzeigt. Die hier beschriebenen Gestaltgesetze sollten jedoch eher Gestaltprinzipien oder Gestaltheuristiken genannt werden, da sonst der Eindruck entsteht, dass es sich um regelhafte und eindeutige Vorhersagen handelt. Unter diesen Aspekten wäre eine Erweiterung der Themen um den Bereich einer pädagogischen Musikpsychologie denkbar, analog der etablierten Partnerdisziplin. Vielleicht ja in der nächsten Ausgabe?
Romald Fischer