Rohrmoser, Ingrid
Historische Aufführungspraxis von Anfang an!
Das Barockorchester der Musikschule Spandau, Berlin
Sich mit historischer Aufführungspraxis zu beschäftigen – ist das auch an einer Musikschule möglich? Ingrid Rohrmoser und Christine Trinks, die 2019 ein Barockorchester an der Musikschule Spandau gegründet haben, sind davon überzeugt. Beide unterrichten Geige und Bratsche und sind in ihrer künstlerischen Arbeit hauptsächlich im Bereich der historischen Aufführungspraxis aktiv. Zudem leitet Ingrid Rohrmoser seit 2018 die neu entstandene Fachgruppe „Alte Musik“ der Musikschule. Das Bedürfnis der beiden, diese besondere Art des Musizierens mit ihrer langjährigen pädagogischen Erfahrung zu kombinieren, ist ihnen gemeinsam, weshalb es naheliegend war, ein Ensemble in diesem Bereich an der Musikschule zu etablieren. Das Barockorchester wächst und entwickelt sich seither stetig, probt wöchentlich und ist ein durch und durch inklusives Ensemble.
Die rund 35 Teilnehmenden, deren Alter sich zwischen 9 und 75 Jahren bewegt, kommen aus verschiedenen sozialen Milieus und sind zumeist Schülerinnen und Schüler der Musikschule. Der Großteil spielt ein Streichinstrument, ergänzt wird die Besetzung durch Cembalo, Querflöten, Barockfagott, Gitarren, Pauken und regelmäßig durch die Mitglieder des Blockflötenconsorts unter der Leitung von Christian Walter.
Was nicht einmal in der professionellen Musikwelt eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich Musik von der Renaissance bis zur Klassik historisch informiert zu spielen, mag ein hoher Anspruch für ein Musikschulensemble sein. Die kontinuierliche Arbeit an Spieltechnik, Artikulation, Phrasierung und Affekten führt jedoch zu erstaunlichen Ergebnissen. Da viele Komponisten des Barocks auch als Pädagogen tätig waren, eignet sich deren Repertoire besonders als Unterrichtsmaterial. Bestes Beispiel hierfür sind zahlreich Werke Vivaldis: Instrumentalpädagogik in wunderschöne Musik gegossen!
Die verschiedenen musikalischen Formen dieser Epoche bergen mannigfaltige Möglichkeiten. Im Concerto grosso dürfen besonders ambitionierte Schülerinnen und Schüler auch einmal solistisch hervortreten, die Instrumentierung kann auf die vorhandene Besetzung abgestimmt, Vokalwerke können instrumental aufgeführt werden – ganz in der Tradition der damaligen Zeit.
Durch ein angepasstes Instrumentarium wie Barockbögen, die inzwischen durch die Musikschule beschafft wurden, lernen die Beteiligten eine neue musikalische Sprache. So wachsen gerade die Jüngeren ganz natürlich in diese Art des Musizierens hinein. In der Arbeit mit ihnen steht den Lehrkräften zwar nicht das Vokabular zur Verfügung, das in professionellen Proben verwendet wird. Aber mit Hilfe einer assoziativen, bildhaften Sprache und eines spielerischen Ansatzes können die Grundinhalte historischer Aufführungspraxis methodisch für alle verständlich vermittelt werden. Auch nicht fortgeschrittenen Schülerinnen und Schülern wird früh eine Teilnahme durch vereinfachte Stimmen ermöglicht. Dabei überrascht immer wieder, wie schnell sie schwierigere Parts bewältigen können. Haben sie erst einmal Feuer gefangen, ist ihre Begeisterung für die Alte Musik enorm.
Von Vorteil ist, dass einige der Ensemblemitglieder aktive Amateurmusizierende sind. Andere wiederum sind Berufsmusikerinnen und -musiker im Ruhestand, die im Bewusstsein lebenslangen Lernens Interesse an einer Musizierpraxis fernab des Gewohnten zeigen. Dieses Konglomerat aus Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener instrumentaler Niveaus lässt alle voneinander profitieren – die Jungen von der Erfahrung der Älteren, diese umgekehrt von der Energie und dem Enthusiasmus der Jüngeren, die Neues kennenlernen und so in die Geschichte(n) der Musik eintauchen. Ein ideales Beispiel für generationenübergreifendes Lernen also!
Erste Früchte trug dieses Konzept in mehreren Aufführungen von Purcells „The Fairy Queen“ anlässlich des 75. Geburtstags der Musikschule. Diese von Nils Niemann, einem Spezialisten für Barocktheater, inszenierte Produktion führte mehr als 100 Beteiligte zusammen. Neben dem Barockorchester wirkten Schülerinnen und Schüler in Gesang, Tanz und Schauspiel mit. Die Aufführungen zeigten, wie vielfältig das Angebot einer Musikschule sein kann, und machten die Elemente historischer Aufführungspraxis für alle erlebbar. Ausschnitte daraus wurden am Tag der Berliner Musikschulen 2024 mit viel Erfolg auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden gebracht und können auf dem YouTube-Kanal der Musikschule angesehen werden. Es folgten die Teilnahme am Berliner Orchestertreff und die Einladung zu dessen Abschlusskonzert im Konzertsaal der UdK Berlin – Erlebnisse, die die Ensemblemitglieder mit Stolz erfüllen und Ansporn für die nächsten gemeinsamen Entdeckungsreisen auf dem Gebiet der „Alten Musik“ sein werden!