Lessing, Wolfgang

Hören – Singen – Spielen

Aniko Baberkoff vermittelt Kindern und Instrumentallehrkräften in Kursen die relative Solmisation

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 47

„Hören-Singen-Spielen“ ist der Name einer Methode, die von Aniko Baberkoff, einer in Ungarn gebürtigen und im nordrhein-westfälischen Velbert lehrenden Musikpädagogin, entwickelt wurde. Auf der Grundlage der relativen Solmisation versucht diese Methode einen Weg zu bahnen, der mit dem inneren Hören und Erleben von Musik beginnt und über das Singen zur Darstellung dieses Erlebens auf dem Instrument gelangt.
Diese Schrittfolge ist an sich nicht neu, sondern bildet – man denke nur an die Konzeptionen Heinrich Jakobys oder Edwin Gordons – die gemeinsame Grundlage zahlreicher wichtiger musikpädagogischer Ansätze. Was Aniko Baberkoffs Methode von anderen Konzeptionen jedoch nachdrücklich abhebt und unterscheidet, liegt nicht so sehr in einzelnen didaktischen und theoretischen Voraussetzungen und Grundannahmen begründet als vielmehr in der Art und Weise, wie diese Voraussetzungen in die Praxis des instrumentalen Anfänger- und Fortgeschrittenenunterrichts integriert werden. Kurz gesagt: Wer wissen und erfahren will, auf welche Weise sich die relative Solmisation mit den Anforderungen des Geigen-, Klavier- oder Cellounterrichts verbinden lässt, der sollte sich unbedingt mit den zahlreichen didaktischen Materialien, Hilfestellungen und Handreichungen der „Hören-Singen-Spielen“-Methode vertraut machen.
Dass die relative Solmisation ein unschätzbares Mittel zur inneren Vergegenwärtigung musikalischer Zusammenhänge bilden kann, ist in der musikpädagogischen Literatur der vergangenen Jahre – nach Jahrzehnten völliger Abstinenz – immer wieder betont worden (zuletzt sehr eindrucksvoll in den Grundlagen der relativen Solmisation von Malte Heygster und Manfred Grunenberg). Allerdings dürfen die Vorzüge dieses Ansatzes – vor allem die Tatsache, dass er es einem Instrumentalisten ermöglicht, gleichsam spielerisch und „vor-theoretisch“ den Tonraum, aus dem heraus er musiziert, zu verinnerlichen – nicht da­rüber hinwegtäuschen, dass auch diese Methode zu einer abstrakten und verschulten „Musiktheorie“ verkommen kann. Die Erfahrungen mit dem Kodály-System in Ungarn oder der Jale-Methode, die in der DDR praktiziert wurde, zeigen deutlich, dass auch die beste Methodik, sobald sie sich als „System“ etabliert, mitunter zu einer blutleeren Angelegenheit zu degenerieren droht.
Vor dieser Gefahr ist natürlich keine Konzeption geschützt. Doch von der Art und Weise, wie Aniko Baberkoffs Ansatz die Solmisation in das Musizieren und Erleben gerade von Kindern einfließen lässt, lässt sich zumindest sagen, dass hier eine Verschulung erheblich erschwert wird. Denn die Solmisation bildet bei ihr nie nur ein technisches Werkzeug, sondern eine stete Quelle intensiven musikalischen Erlebens. Dies hängt zunächst einmal ganz unmittelbar mit der hohen musikalischen Qualität zusammen, die bereits die ­allerersten Stücke sowohl ihrer Klavier- und Geigenschulwerke wie auch ihrer zahlreichen Ensemble- und Spielstücke auszeichnen. Bereits einfachste melodische Gestalten im Zwei- und Dreitonraum werden hier sowohl in melodisch-rhythmischer wie auch in klanglicher Hinsicht höchst originell präsentiert, wobei sich elementare musikalische Erfahrungen nahtlos mit spieltechnischen Aspekten verbinden, die gleichermaßen langfristig und behutsam angelegt werden.
Das innere Erleben von Musik wird aber auch dadurch intensiviert, dass die Solmisation hier nicht lediglich als bloßes Hilfsmittel in Erscheinung tritt, sondern selbst eine Gelegenheit zu intensivem Musizieren darstellt. In fantasievollen und spielerisch angelegten Unterrichtsmodellen unterbreitet die Autorin unzählige Vorschläge, wie intensive Hörerleb­nisse ermöglicht werden können, die dann in ausdrucksgeladene Solmisationsbewegungen und ins Singen überführt werden. Diese dicht vernetzten musikalischen Repräsentationen bilden eine komplexe Erfahrungs­basis, mit der die instrumentale Umsetzung dann von vornherein eine keineswegs selbstverständliche emotionale Intensität erreichen kann. Quasi nebenbei und ohne jede ideologische Ausrichtung liefert Baberkoffs Modell damit eine Begründung für den inst­rumentalen Gruppenunterricht, denn viele der zahlreichen Solmisations- und Bewegungsspiele lassen sich am besten in einer Kleingruppe realisieren, die als natürlicher Bezugspunkt des Musizierens von Anfang an im Mittelpunkt steht.
Die zahlreichen Unterrichtsmaterialien der „Hören-Singen-Spielen“-Methode haben bis heute noch keinen Verleger gefunden. Zu beziehen sind sie direkt bei der Autorin. Wer sich noch intensiver mit den Möglichkeiten und Chancen auseinandersetzen möchte, die diese Methode für jeden Instrumentalunterricht bieten kann – auch Bläser oder Gitarris­ten können, obgleich für sie keine einschlägigen Materialien existieren, von Baberkoffs Ansatz profitieren –, der sollte die „Mühe“ auf sich nehmen und ein Seminar der Autorin besuchen (www.hoeren-singen-spielen.de), entweder in Deutschland oder – noch besser – in Ungarn: Jedes Jahr im Sommer bietet Aniko Baberkoff einen zehntägigen Kurs in Càk, einem idyllischen Dörfchen nahe der Grenze zum österreichischen Burgenland an. In der abgeschiedenen Atmosphäre eines liebevoll restaurierten Bauernguts haben Kinder – vorzugsweise Pianisten und Streicher – die Möglichkeit, auf jedem Leistungsstand ihr instrumentales Können mit den Erfahrungsmöglichkeiten der relativen Solmisa­tion zu verbinden. Wem die Vokabel „ganzheitliches Musizieren“ zu abgestanden erscheint, der sei eingeladen, auf diesen Sommerkursen ihrer Neubelebung beizuwohnen.
Parallel zu diesem Kurs findet in jedem Jahr eine Fortbildung für Musik- und Instrumentallehrkräfte statt, die sowohl aus einer praktisch-theoretischen Einführung in die Solmisation wie auch aus der Begleitung und Beobachtung des Kinderkurses besteht. Verbunden mit kleinen abendlichen Konzerten bietet dieses Seminar, was für jeden Instrumentalunterricht gelten sollte: ein entspanntes und intensives Wahrnehmen und Erfahren von Musik.

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