Friedrich, Burkhard

Hörweisen – Spielwelten

Experimentelle Klang- und Hörspiele für den Unterricht in Schule und Musikschule

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2025 , Seite 30

Unsere Ensemblekultur in musikvermittelnden Kontexten ist geprägt von Interpretationen vorgefertigten Materials. Ob gehört oder selbst musiziert: Überwiegend ist alles, was gespielt wird, in Patterns, Formen und Strukturen vorhanden und wird endlos variiert. Eine Ausnahme bildet die freie Improvisation. Aber selbst hier kommt es zur Verwendung vertrauter Texturen. Wie aber können voraussetzungslose kreative experimentelle Arbeitsprozesse fern von bekannten rhythmischen oder melodischen Ansätzen in Gang gesetzt und individuell gestaltet werden?

Entscheidet man sich als Musik(schul)lehrkraft für das Experimentieren mit Klängen, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass man den Status des (unwissenden) Forschers, der unwissenden Forscherin (hier: KlangforscherIn) innehat. Das gilt für die Lehrkraft genauso wie für SchülerInnen. Und wie es in Forscherteams üblich ist, werden bekannte Fundstücke zunächst einmal ignoriert – über die weiß man alles –, damit man das Gespür und die kreative Kompetenz, Neues zu entdecken und in Bezug zueinander zu setzen, professionalisieren kann. Man wählt also, würde man neben einem seltenen Gestein einen Klumpen Gold finden, das seltene Gestein, der Klumpen Gold ist bekannt.
Die Ausgangssituation kann mit voraussetzungs-, referenz- und erwartungsloser Neugierde passend umschrieben werden. Übertragen auf die Klangkunst bedeutet dies, dass bekannte Klänge wie die der Tongeschlechter Dur und Moll, rhythmische Patterns oder Melodien nur in collagenartigen Kontexten als Ausnahme angewandt werden. Sie sind uns nicht nur bekannt, sondern auch vertraut, unsere Komfortzone sozusagen, die wir ja verlassen wollen. Unbekannt hingegen sind uns z. B. die Klangeigenschaften von Oberflächen oder Hohlkörpern, die – jenseits von ihren Funktionen – zu Forschungsgegenständen erklärt werden könnten.
Also aktivieren wir unsere Abenteuerlust, unsere Leidenschaften für das Unscheinbare und unsere kreativen Kompetenzen, Ungewohntes, Unerhörtes und Verborgenes hör- und gegebenenfalls sichtbar und spielerisch zum Inhalt unseres Unterrichts zu machen. Haben wir diesen Entschluss gefasst, kann die Reise in unbekannte Klanggefilde losgehen, können wir zusammen mit der Schülerschaft Terrain erobern, das zwar seit ewigen Zeiten vorhanden ist, aber in musikvermittelnden Kontexten bislang kaum Bedeutung zugeteilt bekam. Es sind Konzepte gefragt, die aus dem Experimentieren und dem Prozess heraus entstehen und die auf Neugierde, Entdeckergeist und formale Kompetenz bauen. Am Beginn steht immer die Sensibilisierung für ungewöhnliche Klangereignisse und Klangsprachen in unserer unmittelbaren Umgebung – wie der Raum, in dem wir uns aufhalten.