Bandprojekt mit Geflüchteten / © Suse Petersen

Petersen, Suse

Horizonterweiterung

Bandprojekt mit jungen Geflüchteten an der Hochschule Luzern

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2025 , Online-Beitrag 22

Fünf junge Menschen aus Afghanistan, Syrien und der Türkei, die noch nie formellen Musikunterricht hatten und keine Noten lesen konnten – und von denen vier Personen zuvor noch nie ein Instrument gespielt hatten: Seit einem Jahr musiziert diese Band unter der Leitung eines (mittlerweile ehemaligen) Studenten der Musikpädagogik am Departement Musik der Hochschule Luzern (HSLU) und bereitet sich auf ihren ersten Auftritt im Sommer 2025 vor.
Die Koordination des Ensembles erfolgte durch die Autorin im Rahmen des Forschungsprojekts „Music as Empowerment: Engaging young refugees in musicking as a way of social immersion“ des Competence Center Musikpädagogik der Hochschule Luzern. Das Projekt fokussiert die Bedeutung von musicking[1] für die Ermächtigung, Identität und Integration von jungen Geflüchteten. Die Autorin baute im Rahmen des Projekts den Kontakt zu den Jugendlichen auf und koordinierte auch weitere musikalische Aktivitäten der Geflüchteten an der Hochschule, vornehmlich den Instrumentalunterricht durch Studierende. Ziel ist unter anderem zu untersuchen, inwiefern das Projekt zum Empowerment der jungen Geflüchteten beitragen, ihre Ressourcen wertschätzen und stärken sowie die kulturelle Teilhabe fördern kann.[2]
Neben dem Erlernen von Musikinstrumenten in der Zusammensetzung einer Band werden auch grundlegende musikalische Aspekte thematisiert wie Rhythmus, Lautstärke, Tonhöhe und -länge. Da die Inhalte von den jungen Menschen mitgestaltet werden sollen und Musik unter Einbezug ihrer Ideen und Ressourcen entstehen soll, werden nach dem Einstudieren von einfachen Pop-Songs und kurzen Melodiefolgen Arrangements in ihren Sprachen kreiert, mit denen sich die Bandmitglieder identifizieren können.[3] Dieser Prozess wird durch den Bandleiter strukturiert. Dabei machen sowohl er als auch die Bandmitglieder Vorschläge und probieren Sequenzen aus, verwerfen diese oder bauen sie aus, bis das Resultat sie zufrieden stellt.
Die Band begann Ende 2023 mit den Proben. Sie setzt sich aus den folgenden Instrumenten zusammen: Gesang, Klavier/Synthesizer, Gitarre, Saz, E-Bass und Schlagzeug. In der Band spielen zwei junge Frauen und drei junge Männer. Zwei der Bandmitglieder erhalten im Rahmen weiterer Angebote des Forschungsprojekts Instrumentalunterricht durch Musikstudierende der HSLU.
Die finanziellen Ressourcen der meisten geflüchteten Jugendlichen sind beschränkt. Durch die kostenlose Teilnahme an der Band wird ihnen das Musizieren als sinnvolle Freizeitbeschäftigung unabhängig von finanziellen Fragen ermöglicht. Die Band bietet den Jugendlichen auch einen Zugang zu Kunst und Kultur[4] neben der eigenen musikalischen Tätigkeit, beispielsweise durch gemeinsame Konzertbesuche und durch die Teilnahme an einem Konzertnachmittag der lokalen Musikschulen, in dessen Rahmen der Auftritt der Band stattfinden wird.
Insbesondere in der von Unsicherheiten geprägten Lebenssituation von jungen Geflüchteten kann eine regelmäßige, in der Gruppe ausgeübte Tätigkeit stabilisierend wirken. Zudem werden die eigene Selbstwirksamkeit und das Kompetenzerleben gestärkt, da die Band sich nur gemeinsam weiterentwickeln kann und somit jede/r Einzelne gebraucht wird.[5] Damit diese Aspekte zum Tragen kommen, ist eine musikalisch sowie sozialpädagogisch geschulte Leitung von Vorteil. Der Bandleiter erfüllte die Voraussetzungen durch seine musikpädagogische Ausbildung sowie seine Arbeitserfahrung als Sozialpädagoge und Musiklehrperson. Zudem konnten die Inhalte aus Modulen zur Ensembleleitung als Teil der Ausbildung des Masters Musikpädagogik umgesetzt werden.
Erst die passende personelle Besetzung und die Möglichkeit der Nutzung der Ressourcen der Hochschule z. B. hinsichtlich der Proberäume und Instrumente machte die Gründung dieses speziellen Ensembles überhaupt möglich. Die jungen geflüchteten Menschen erhielten einen Zugang zur musikalischen Bildung und zur Infrastruktur an der Hochschule, der ihnen normalerweise verwehrt bleibt.[6] Dadurch nimmt die HSLU auch eine gesellschaftliche Verantwortung wahr. Es wurde eine Verbindung zwischen Musikstudierenden und -lehrpersonen, den Studieninhalten der Ausbildung, einem laufenden Forschungsprojekt, lokalen Musikschulen sowie marginalisierten geflüchteten jungen Menschen geschaffen. Von dieser Verbindung konnten alle Beteiligten profitieren und ihren Horizont erweitern.

[1] Small, Christopher: Musicking: The Meanings of Performing and Listening, Wesleyan University Press 1998.
[2] Lenette, Caroline / Sunderland, Naomi: „Will there be music for us?“ Mapping the health and well-being potential of participatory music practice with asylum seekers and refugees across contexts of conflict and refuge, in: Arts & Health, 8(1), 2016, S. 32-49. https://doi.org/10.1080/17533015.2014.961943; Nationaler Kulturdialog (Hg.): Erstes Handbuch zur kulturellen Teilhabe in der Schweiz, Seismo Verlag, 2019, https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/57315.pdf
[3] Hess, Juliet: Singing our own song: Navigating identity politics through activism in music, in: Research Studies in Music Education, 41(1), 2019, S. 61-80, https://doi.org/10.1177/1321103X18773094; Rice, Timoti: Reflections on music and identity in Ethnomusicology, in: Muzikologija, 1(7), 2007, S. 17-38.
[4] Crossick, Geoffrey / Kaszynska, Patrycja: Understanding the value of arts & culture | The AHRC Cultural Value Project, 2016, https://www.ukri.org/wp-content/uploads/2021/11/AHRC-291121-UnderstandingTheValueOfArts-CulturalValueProjectReport.pdf
[5] Roos, Stefanie / Wieczorek, Meike: Selbstwirksamkeit und Musik – Ein vielversprechendes Duett. Gemeinsam leben 2/2021. https://doi.org/10.3262/GL2102115.
[6] Simonett, Helena / Ahmadi, Jawed: Music in and for a Mobile World: Home, Place, and Memory in the Context of Migration and Displacement. In Performing, Engaging, Knowing: Proceedings of the 7th Study Group Meeting of the ICTM Study Group on Applied Ethnomusicology, 2022, Lucerne University of Applied Sciences and Arts. https://doi.org/10.5281/zenodo.10518301

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