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Engelhardt, Sandra

„Ich verstehe, was du sagst, aber nicht, was du meinst“

Lernhindernisse vermeiden, erkennen und bearbeiten

Rubrik: Kommunikation
erschienen in: üben & musizieren 6/2020 , Seite 38

„Ich verstehe, was du sagst, aber nicht, was du meinst“ – mit diesen Worten schließt der Refrain des Hits „Zieh die Schuh aus“ von Roger Cicero aus dem Jahr 2006. Und so charmant wie dieser Macho mit Hut hatte wohl lange niemand mehr über das „genetisch bedingte“ Nicht-Verstehen zwischen Mann und Frau gesungen. Aber eigentlich passt der Satz für jede Art von Beziehung – auch für die zwischen SchülerInnen und LehrerInnen.

Der Duden führt zu „Hindernis“ die Bedeutungen „hindernder Umstand, Sachverhalt, Hemmnis, Schwierigkeit“ auf. Und weiter: „Etwas, was das direkte Erreichen eines Ziels, das Weiterkommen be- oder verhindert.“ Und als Beispiel: „Ein Hindernis errichten, beseitigen, wegräumen.“ Nehmen wir doch diese Beschreibung zum Anlass zu schauen, wer im Instrumentalunterricht wem welche Hindernisse in den Weg legt – und vor allem, wie sie überwunden oder beseitigt werden können. Oder besser noch: Was können wir Lehrkräfte tun, um zu verhindern, dass unseren Schülerinnen und Schülern unerwünschte Hindernisse im Weg liegen?
Dass das Überwinden von Hindernissen, von Schwierigkeiten zum Lernen dazugehört, steht für mich außer Frage. Aber was ist, wenn SchülerInnen motiviert, viel und regelmäßig üben, sich aber trotzdem kein Fortschritt, keine Entwicklung zeigt? Wenn wir Lehrkräfte die Hindernisse nicht erkennen oder – um auf den Songtext zurückzukommen – nicht verstehen? Daher soll es in diesem Artikel darum gehen, wie wir uns rückversichern können, ob unsere Schülerinnen und Schüler verstanden haben, was sie tun sollen; ob sie unsere Vorschläge und Anweisungen in der Weise verstanden haben, dass sie wissen, wie und woran sie selbstständig weiterarbeiten können; und nicht zuletzt, wie wir herausbekommen können, an welcher Stelle des Verstehens ein Hindernis liegt, um es aus dem Weg räumen und so eine Entwicklung möglich machen zu können.

Verstehen wollen

„Verstanden werden wollen“ beginnt mit „verstehen wollen“. Mit Interesse am Gegenüber, mit zuhören können und sich einlassen auf andere Denk- und Handlungsideen. Dazu braucht es ein gesichertes Rollenverständnis – und das Wissen um die eigenen Grenzen, sonst verliert sich Mitgefühl schnell in Selbstaufgabe. Wie klar bin ich im Verständnis meiner Rolle? Mit welcher Haltung begegne ich meinen Schülerinnen und Schülern? Kränkt es mich, wenn sie nicht gut üben? Fühle ich mich persönlich angegriffen, wenn sie eine Aufgabe nicht so erledigen, wie ich es schon tausendmal erklärt und sogar vorgemacht habe?
Aus dem Improvisationstheater habe ich zwei Gedanken mitgenommen, die sich auf den Unterricht übertragen lassen:
1. Das Positive unterstellen.
2. Das Gegenüber gut aussehen lassen.
So einfach! Und doch erschreckend schwer in der Umsetzung. Zu 1: Das bedeutet für mich, dass ich zunächst grundsätzlich davon ausgehe, dass meine Schülerinnen und Schüler (mich) verstehen wollen. Und zu 2: Dass ich sie ernst nehme, indem ich ihren Äußerungen und Anmerkungen Ernsthaftigkeit und Engagement unterstelle.

„Wenn Worte meine Sprache wären…“

Noch eine Songtext-Zeile, die ebenfalls passend für Unterrichtssituationen ist. Denn schon im normalen Alltag ist es oft schwer genug, das, was man sagen möchte, auch wirklich zu sagen. Und beim Musikmachen gibt es so viele Fachbegriffe! Und daneben noch den uns Musizierenden so vertrauten speziellen Gebrauch von Worten, die im Alltag vielleicht eine ganz andere Bedeutung haben. Zwei Beispiele: „Beginnen wir mit der Sonate, aber heute gleich mit dem zweiten Satz.“ Schülerin betrachtet die Noten und sagt nach kurzem Überlegen: „Also nach der ersten Pause?“ Und: „Bist du mit dem neuen Stück gut klargekommen?“ Schüler (verwirrt): „Aber ich sollte doch das ganze Lied spielen, auch die Teile von letzter Woche…“
Es ist wirklich einfach, sich nicht zu verstehen. Viele Worte kennen die Kinder, nutzen sie aber in einem anderen Zusammenhang und versuchen dann, dieses Wissen auf das Gehörte anzuwenden. So stellen sie eine Verbindung von „Satz“ zu „Abschnitt“ her oder verstehen „Stück“ nicht als „Lied“ oder „Musikstück“, sondern als Teil eines Ganzen (was es ja irgendwie auch ist, aber in einem anderen Zusammenhang, der anscheinend noch nicht geklärt wurde). Also heißt es „Achtung!“ bei dem, was uns selbstverständlich ist und wo wir gedanklich einen Satz beginnen mit: „Ich kann doch wohl erwarten…“ oder: „Das hatten wir doch schon besprochen!“ oder besser noch: „Das habe ich doch schon mal erklärt!“ Diese Haltung ist das Gegenteil von „sich einlassen“ oder dem vielbeschworenen Perspektivwechsel.
Meiner Erfahrung nach braucht es die Versprachlichung, um wirklich Klarheit über ein Verstehen im nicht nur rein akustischen Sinn zu erlangen. Wenn SchülerInnen beispielsweise über Vorspielen und Nachspielen, über die Imitation lernen, bedeutet das nicht, dass sie auch wissen, was sie tun, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Auf welchen Aspekt haben sie sich gerade konzentriert? Nachfragen ist die einzige Chance, um Rückmeldung zu bekommen. Und zwar Nachfragen aus Interesse, nicht, um Wissen abzufragen.

Interesse bekunden statt kontrollieren

Das ist die große Kunst: dass unsere SchülerInnen sich nicht ausgefragt fühlen, sondern sich offen äußern über das, was so schwer in Worte zu fassen ist. Damit das Interesse (und nicht die Kontrolle) hinter meinen Nachfragen glaubhaft ist, muss ich bewusst mit Sprachfärbung, Körperhaltung und Gestus spielen. Probieren Sie es aus: Mit welchen Intentionen oder Hintergedanken können Sie die Frage „Wie hast du das gemeint?“ stellen? Häufig erkläre ich auch direkt, dass ich aus Interesse frage. Denn nur so kann ich herausfinden, wie ich ihnen helfen kann.
Fragen werden aber erst dann hilfreich, wenn ich mich z. B. bei der Frage: „Hast du verstanden, wie du zu Hause üben sollst?“ nicht auf ein „Ja“ als Antwort verlasse, sondern den Worten Taten folgen lasse. „Prima, dann schreib dir doch in Stichworten auf, woran du denken willst und worauf du achten möchtest.“ Auf diese Weise merken Sie schnell, ob Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, in eigenen Worten (!) wiederzugeben, was in den letzten Minuten besprochen oder erarbeitet wurde.
Nicht selten folgt dieser Aufforderung die Rückfrage: „Was soll ich denn aufschreiben?“ Und dann sind wir wieder beim Thema „Fragen aus Interesse“. Statt einfach zu diktieren, machen Sie sich die Mühe nachzufragen: „Was meinst du: Welche Tipps solltest du dir aufschreiben, damit du dich zu Hause erinnern kannst? Es ist deine Liste.“ Und wenn dann immer noch Unverständnis herrscht, gehen Sie die Punkte eben noch einmal durch – nach dem Motto: Wie gut, dass wir jetzt schon gemerkt haben, dass dir etwas noch nicht richtig klar geworden ist. Denn dann kann ich es dir nochmal erklären und du kannst mir gleich sagen, wie du es verstanden hast. Denn das ist meine Aufgabe als Lehrerin: es dir so zu erklären, dass du es verstehst.
Dazu ein Beispiel aus meinem Unterricht: Mit einer Schülerin wollte ich üben, dass sie eine Phrase gut geführt mit der Luft in einem großen Bogen spielt. Ich entschied mich für eine Vorspielen-Nachspielen-Einheit und erwähnte mehrmals, dass es um den großen Bogen, ganz dichte Töne und eine geführte Luft aus dem Bauch geht – und nach ein paar Versuchen klang es bei ihr richtig gut. „Prima! Worauf hast du jetzt geachtet?“, lautete meine Sicherungs-Nachfrage. „Dass ich auf beiden Füßen stehen bleibe“, lautete nach kurzem Über­legen die Antwort. Nun, das war nicht die Antwort, die ich erhofft hatte, und sicher nicht der Zusammenhang, den ich herstellen wollte. Das mit den Füßen war in den vergangenen Stunden immer mal wieder Thema, jetzt aber eigentlich nicht aktuell. Doch in diesem Moment war es offensichtlich das, worauf sie bei meinem Spiel besonders geachtet hatte (zum Glück hatte ich mich vorbildlich verhalten).
Wenn wir nicht drüber gesprochen hätten, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie ei­nen Zusammenhang „großer Bogen/Füße“ hergestellt hätte. Ein verstecktes Lernhindernis wäre entstanden und wenn ich später einmal auf die damalige erfolgreiche Übung verwiesen hätte, würde sie an die Füße denken, während ich davon ausgegangen wäre, dass sie das mit der Luftführung doch wunderbar verstanden hat. Und beide würden wir nicht verstehen, warum es nicht mehr gelingt.
Damit Sprache also nicht zum Hindernis wird, müssen wir mit unseren Schülerinnen und Schülern bewusst eine gemeinsame Sprache entwickeln, gemeinsame „Codes“ für Handlungen oder Aktivitäten erarbeiten und Worten und Wendungen eine für beide Seiten unmissverstandene Bedeutung geben. „Den anderen gut aussehen lassen“ bedeutet dabei also auch, dass SchülerInnen für ein Nicht-Verstehen eben auch nicht verurteilt werden. Das Nicht-Verstehen wird vielmehr auf die Schultern beider Kommunikationspartner verteilt. Es ist aber eben auch kein Problem, sondern, wenn es entdeckt wird, ein Anlass, dem Nicht-Verstehen zu begegnen und gemeinsam ein Hindernis aus dem Weg zu räumen.

Zeig mir, was du meinst!

Meine SchülerInnen werden Ihnen bestätigen, dass ich eine große Freundin von Haftnotizen bin. Ich führe stets eine ansprechende Sammlung in meiner Unterrichtstasche mit mir, um immer ein passendes Angebot machen zu können. So funktioniert etwa das „Eigene-Worte-Finden“ mit jungen Schülerinnen und Schülern schon sehr gut. Sie notieren sich auf einem Zettel ihrer Wahl ein Stichwort oder einen Aufmerksamkeitspunkt. Wenn dieser dann direkt in den Noten klebt, ist – so meine Hoffnung – die Wahrscheinlichkeit, dass diese Merkpunkte vor dem Spielen einmal angesehen (und damit bewusst) werden, wesentlich höher als eine Notiz im Hausaufgabenheft, das die Woche gut verstaut in den Untiefen der Flötentasche verbringt.
Und auch hier ist es wichtig, dass die Kinder selbst ein Wort, einen Satz finden sollen (eventuell unterstützt durch lenkende Fragen): im Tun einen Moment innehalten, sich sammeln und die Erkenntnis der vorangegangenen Arbeitsphase sichern. Und für mich wieder die Rückmeldung, was genau hängengeblieben ist, wie sie die Anweisungen verstanden haben – und ob überhaupt.
Das Aufschreiben als Visualisierung „zeigt“ nach meiner Erfahrung mehr als das, was ich beispielsweise dem Spiel der Kinder entnehmen kann. Denn oft fehlen ihnen schlicht die spieltechnischen Fertigkeiten, um einen Unterschied zwischen „wütend“ oder „mit freudiger Kraft“ darzustellen. Oder wie beim Beispiel oben den Zusammenhang zwischen Bogen und Luft (statt Füßen) zu verdeutlichen. Wenn mir aber die Unterscheidung für das weitere Fortkommen wichtig ist, hilft die Verschriftlichung als Anlass, darüber zu sprechen.

Verstehe ich dich?

Es ist eine Henne-Ei-Frage: Ist die Rückmeldung über das „Verstehst du mich?“ wichtiger oder beginnt es mit „Verstehe ich dich?“, wenn es darum geht, Lernhindernisse aufzudecken oder zu vermeiden? „Ich brauche mal einen Tipp“, bat eine Studentin im Methodik-Seminar. „Ich habe eine Schülerin, die kann sich einfach die Notenwerte nicht merken.“ Großes Thema. Und eine Fundgrube für Nicht-Verstehen auf so vielen Ebenen. Daher meine Nachfrage: „Wann bemerkst du das: beim Spielen oder wenn sie sie benennen soll? Oder beim Schreiben?“ Nach kurzem Überlegen erläutert die Studentin: „Nein, spielen kann sie alles prima, nur beim Benennen, da bringt sie alles durcheinander. Und ich hab schon tausendmal das alles mit ihr durchgesprochen!“
Ach wie schön – „durchgesprochen“ ist einer meiner Lieblingsindikatoren, wenn ich nach dem Grund für Verständigungsprob­leme suche. Doch bleiben wir zuerst beim Anliegen. „Wie äußert sich das Durcheinander?“ „Na, wenn sie die Notenwerte sagen soll, dann nennt sie die Achtel zum Beispiel immer Halbe.“ „Und nennt sie die Halbe dann auch mal ,Doppelte‘ oder so ähnlich?“ Verwundert sieht mich die Studentin an: „Ja, genau!“
Dieser Fall ist mir schon oft begegnet und er ist ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, die Gedanken unserer Schülerinnen und Schüler nachzuvollziehen. Denn nur, wenn diese Missverständnisse oder ungünstigen Verknüpfungen für sie nachvollziehbar sind, werden sie sie „überschreiben“ und das Richtige lernen können – werden sie verstehen können. In diesem Fall zeigt sich, dass die Schülerin sehr wohl die Verhältnisse der Notenwerte zueinander verstanden hat – aber mit einer anderen „Bezugseinheit“. Der Klassiker: die „Einschlagnote“. Wenn die Viertel als Einschlagnote als 1 = ein Ganzes verstanden und vor allem auch geübt wird (schon beim Zählen: 1 und 2 und 3…), dann ist es doch logisch, dass die Achtel die Halben sind, die Halbe also irgendwie doppelt… Uns ist das Jong­lieren mit den Zahlen auf den unterschiedlichen Bezugsebenen Notenwerte, Zählzeiten, Metren, Takteinheiten so vertraut, dass wir schnell übersehen, wie verwirrend das für AnfängerInnen sein muss.
Mit der Haltung, dass ich das Positive unterstelle, kann ich meine Wahrnehmung öffnen und herausfinden, welche Zusammenhänge die Schülerin hergestellt hat, sodass sie immer wieder auf diese Verknüpfung zurückkommt. Ich zeige Interesse, indem ich nachfrage: „Erklär mir, wie du dir das merkst.“ Ich zeige Bereitschaft zu verstehen, wie sie es sieht, und bewundere ihren Einfallsreichtum. In diese wertschätzende und offene Atmosphäre hinein gebe ich die „offizielle“ Erklärung. Dann ist das Missverständnis der Schülerin kein Versagen, sondern ein „Gut, dass wir darüber gesprochen haben!“ „Das Gegenüber gut aussehen lassen“: Hindernisse gemeinsam entdecken und aus dem Weg räumen. Kompetenz erlebbar machen: Motivation pur.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 6/2020.