Ehrler, Hanno

„…ich war so ’ne eigene Komponistin, irgendwie…“

10 Jahre Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche Winsen – eine Untersuchung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Pfau, Saarbrücken 2009
erschienen in: üben & musizieren 6/2009 , Seite 55

Diese Veröffentlichung berichtet von einer interessanten Initiative des ursprünglich in Hamburg ansässigen Ensembles L’art pour l’art in Winsen an der Luhe. Erklärte Absicht zweier Gründungsmitglieder, Astrid Schmeling und Matthias Kaul, ist es dabei, Kindern Anregungen zu eigenen Kompositionen zu geben, dadurch aber auch andere Ziele als nur musikalische zu erreichen. Der schmale Band ist eine Dokumentation nach einer Phase 10-jähriger Erfahrungen und gleichzeitig eine Evaluation der Ergebnisse dieses Unternehmens auf Seiten der beteiligten Kinder und Jugendlichen.
Didaktische Leitlinie der beiden InitiatorInnen ist nichts Geringeres als die Absicht, ein Forschen über das Phänomen Musik anzuregen, „das zunächst nicht in bestimmte Bahnen gelenkt ist und erst nach und nach in eine Arbeit mit definierten Materialien und Strukturen mündet“. Erklärtes Ziel ist es, „den Musikbegriff neu, anders und quasi noch einmal von vorn zu denken und zu verstehen“.
Methodisch liegt dem Unterricht die Bedingung zu Grunde, dass der Unterricht unter diesen Prämissen nur als Einzelunterricht sinnvoll sein und gelingen kann, da die Persönlichkeitsunterschiede nicht nur signifikante Variablen des kompositorischen Prozesses sind, sondern sich nach Meinung des pädagogischen Duos Schmeling/Kaul gegenseitig negativ beeinflussen und den kreativen Prozess hemmen würden.
Innerhalb der Evaluation stehen dann Fragen nach dem veränderten Verhältnis beim Wahrnehmen elementarer und strukturierender musikalischer Parameter, zu einer eventuellen Veränderung des gesamten Hör- und Musizierverhaltens und zu persönlichkeitsverändernden Aspekten wie Kreativität, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und größere Sicherheit bei Entscheidungsprozessen im Vordergrund.
Der abschließende Teil des Projekts ist ausgerichtet auf teilstandardisierte Interviews der beteiligten Kinder und stellt sicherlich den interessantesten Teil der vorliegenden Dokumentation dar. Die Heterogenität der verbalen Beschreibungsversuche, was die Beschäftigung mit selbstentwickelten Klängen und musikalischen Strukturen in den Betroffenen ausgelöst hat und wie sie in der Tat zu einer neuen Dimension des Musikhörens gelangt sind, lesen sich spannend und geben wichtige Einblicke in Gefühls- und Anschauungswelt junger Menschen.
Die Ergebnisse der Kompositionsklasse werden in der Zusammenschau durchaus als positiv und der Absicht entsprechend interpretiert – mit der Einschränkung allerdings, dass sich in den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen kein Bevölkerungsdurchschnitt widerspiegelt, da diese überwiegend aus dem Bereich bildungsbürgerlich kulturell vorgeprägter Elternhäuser kamen.
Thomas Holland-Moritz