Gagel, Reinhard / Matthias Schwabe (Hg.)

Improvisation ­erforschen – impro­visierend forschen

Beiträge zur Exploration ­musikalischer Improvisation

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: transcript, Bielefeld 2016
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , Seite 55

Die zweisprachige Publikation (englisch/deutsch) vereinigt Vorträge des Symposiums „Improvisation erforschen – improvisierend forschen“ vom Mai 2014 in Berlin. Das exploratorium berlin, ein Veranstaltungs- und Forschungszentrum für improvisierte Musik, veranstaltete zu seinem zehnjährigen Bestehen ein Jubiläumsfestival mit Konzerten, Workshops und offenen Bühnen, mit Vorträgen und Diskussionen. Die vorliegende Publikation präsentiert Beiträge von AutorInnen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen aus Theorie, aktiver Improvisation, Didaktik und Organisation – und manchmal auch aus allen Gebieten zugleich. Daraus ergibt sich natürlich kein einheitliches Gedankengebäude, aber eine Sammlung wichtiger Beiträge zur Improvisation.
So beschreibt Reinhard Gagel, einer der Herausgeber, Beispiele der praktischen Verschränkung zwischen Kunst und Theorie. Von ihm wurden offene performative Formate entwickelt, in denen Zuschauer als Akteure, Wissenschaftler als Musiker, Musiker als Vortragende etc. inhaltlich miteinander verschränkt auf der Bühne agieren. Corinna Eikmeier, improvisierende Cel­listin und Feldenkrais-Lehrerin, stellt neueste Ergebnisse ihrer Forschungen zum Thema Feldenkrais und Musik vor. Ein hoher Prozentsatz von BerufsmusikerInnen leidet unter Beschwerden des Bewegungsapparats. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Beschreibungen des Körpergefühls beim Improvisieren den Körperwahrnehmungen ähneln, die Menschen nach Feldenkrais-Stunden haben, untersucht Eikmeier „improvisatorische Bewegungsqualität“ und kann dabei auf erstaunliche Ergebnisse verweisen.
Alan Bern ist Komponist und Improvisator und stellt in seinem Artikel „Think Fast! Einführung in die Present-Time Composition“ Forschungen des Neurowissenschaftlers Daniel Kahnemann vor, der zwischen bewussten und unbewussten Entscheidungsstra­tegien unterscheidet. Bei der Übertragung auf die Improvisa­tion geht es um das oft nicht frei verfügbare kreative Potenzial im Menschen. Langsame, analysierende Entscheidungsvorgänge in Einzelschritten, die sich beim Improvisieren eher hemmend auswirken, werden nicht-linearen Denk- und Aktionsprozessen gegenübergestellt. Mirio Cosottini beschäftigt sich in seinem Text mit nicht-linearen Strategien der Improvisation und des Hörens, insbesondere auf Klang ausgerichtete Herangehensweisen der Improvisation, die sich eignen, um mentale Blockaden zu vermeiden und Ausdrucksprobleme zu überwinden.
Das ansprechende Layout mit Zeichnungen von Friedhelm Klein lässt einen gern durch die Seiten blättern. Die Beiträge sind leicht lesbar und für MusikerInnen sehr zugänglich. Sie verweisen auf unterschiedliche Fragestellungen und insbesondere auch auf Improvisation im Kontext der Neuen Musik.
Anja Kleinmichel