Röbke, Peter / Edi Köhldorfer

„Improvisation ist schon in uns drin“

Über die andere Art des Lernens in der Popmusik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2014 , Seite 16

Jazzgitarrist Edi Köhldorfer ist nicht nur mit seiner Band “Global Kryner” erfolgreich, sondern auch als Musik­schullehrer und Band-Coach. Seit 2009 ist er Fachgruppenkoordinator für Zupfinstrumente für das Musik­schulmanagement Niederösterreich. Peter Röbke sprach mit ihm über Lernen in der Band, künstlerische Idole und weshalb fachliche Anleitung dennoch so wichtig ist.

Lieber Edi, diese Ausgabe folgt der Vermutung, dass Pop, Rock und Jazz nicht nur musikalische Praxen sind, die lauter sind als die Klassik, deren Rhythmik mehr Synko­pen aufweist und für die man Drums und Strom braucht, sondern dass es da noch etwas ganz anderes gibt…
Da ist definitiv noch etwas anderes: Einerseits die allgemeine Ebene, die alle Instrumente betrifft, nämlich dass die Musizierpraxis eine andere ist, also dass z. B. Improvisation von Anfang an eine Rolle spielt, dass die Art zu lernen anders ist, nämlich mehr übers Ohr und weniger über Noten, und dass andere Parameter eine große Rolle spielen: In der Musik, von der wir sprechen, ist etwa Timing ein ganz wesentlicher Faktor. Timing ist Met­rum, ist Rhythmus, ist Groove. Inneres Timing, das bedeutet bei uns, ein Tempo über lange Zeit halten zu können, ohne schneller oder langsamer zu werden, aber auch, mit dem Beat zu spielen, hinter dem Beat zu sein oder auf dem Beat zu spielen. Das zu schulen dauert Jahre und mitunter ein Leben lang. Ein Musiker, der ein gutes Timing hat, ist in jeder Band begehrt. Timing ist für den klassischen Musiker nicht so ein großes Thema.

Was bedauerlich ist?
Möglicherweise, aber nach meiner Erfahrung gibt es ja auch den umgekehrten Fall: Wenn ein Jazz-Saxofonist im Sinfonieorchester spielen muss, hat er oft Probleme, mit diesem schwebenden Metrum, das ja im 19. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hat, klarzukommen. Da geht’s ja eben genau darum, dass man mit diesem Metrum spielt, mit diesem Langsamer- oder Schneller-Werden, sowohl in der einzelnen Phrase wie im großen Rahmen.
Was nun mein Instrument, die E-Gitarre, betrifft, ist natürlich die Technik, mit der man spielt, eine andere als auf der klassischen Gitarre. Aber auch die Peripherie, sprich Verstärker, Effektgeräte und alles andere, was zwischen dem Instrument und dem Lautsprecher ist, ist praktisch Teil des Instruments und muss somit auch Teil des Unterrichts sein. So wie der klassische Gitarrist an seiner Fingerhaltung und an seinen Nägeln im wahrsten Sinne des Wortes feilt, so setzen wir uns mit dem Verstärker auseinander: Wie wirkt und funktioniert ein Verstärker und was macht alles andere zwischen Gitarre und Verstärker, also das Kabel, die Regler an der Gitarre, die Effektgeräte. Das ist alles Teil des Klangs und von Anfang an zu bearbeiten.

Lass uns über die „andere Art des Lernens“ sprechen. Neulich sagte ein E-Gitarren-Student im Seminar: Mein wichtigster Lehrer war Jimi Hendrix, also Platten hören ohne Ende und versuchen, Hendrix in der Nuance nachzuspielen. Und in Lucy Greens Buch „How Popular Musicians Learn“ entsteht der Eindruck, Üben und Musizieren seien total ineinander verwoben, es gibt kaum eine Abspaltung des Technischen in Etüden und Ähn­liches, eigentlich auch kaum eine Übe­systematik. Und vor allen Dingen scheint ein Popmusiker keine Angst zu haben, dass er sich etwas Falsches beibringt, das er dann nie wieder oder nur mit größten Anstrengungen wieder los wird…
Glücklicherweise gibt es so viele musikalische Möglichkeiten, ein technisches Problem zu beackern. Um ein spezielles Thema anzusprechen: Wenn Bindungen auf der Gitarre geübt werden müssen, dann isoliere ich schon ganz gerne das Problem, versuche aber die Lösungswege immer gleich mit einer Musik zu verbinden: Es gibt dafür genug Stücke aus dem Heavy Metal, aus dem Funk oder aus dem Jazz, sodass ich den Schüler immer abholen kann. Der will etwa ein bestimmtes Stück von Deep Purple lernen und ich habe die Möglichkeit, das Bindungsprob­lem musikalisch zu verpacken.
Grundsätzlich werden technische Probleme in der Popularmusik weniger isoliert betrachtet. Und ich glaube, dass die meisten Schüler, die Jazz-Saxofon, E-Gitarre oder Schlagzeug lernen wollen, schon mit einer anderen Geisteshaltung kommen. Ich biete z. B. einen Theoriekurs an der Musikschule an, und es ist ganz erstaunlich, wie anders die Schüler „ticken“, je nachdem, ob sie klassisches Klavier oder E-Gitarre lernen. Die einen lieben es, Intervalle zu analysieren und Noten zu lesen, die anderen hassen es, hören dafür aber mitunter sehr, sehr gut und freuen sich, ein Intervall am Klang zu erkennen, was die anderen wiederum schlecht können.
Da fällt mir noch die Antwort von Joe Zawinul ein, der auf die Frage eines Journalisten, ob er denn als Fünfzigjähriger noch jeden Tag übe, sagte: „I probiers, oba noch zehn Minuten bin i schon am Spün drin!“

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2014.