Welte, Andrea / Felicia Mischke
Improvisieren als menschliche Stärke
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover: Professionalisierung mit der Zusatzqualifikation Improvisationspädagogik
Die musikalische Improvisation kann als eine grundlegende menschliche Äußerungsform gelten. Nicht umsonst bezeichnet der Philosoph Georg W. Bertram das menschliche Improvisieren als eine Stärke, die uns als Menschen ausmacht, und die Künste als die „Wahlheimat des Improvisierens“.[1] Improvisieren lehren und lernen steht an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover verschiedentlich im Fokus, sei es im Bereich Jazz Rock Pop, Kirchenmusik oder Musikpädagogik.
In diesem Beitrag wird eine spannende Möglichkeit der improvisationsbezogenen Profilbildung vorgestellt: Seit 2019 kann im Masterstudiengang Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung eine improvisationspädagogische Qualifikation erworben werden. Diese einjährige Zusatzqualifikation bezieht sich besonders auf das Feld der musikalischen Gruppenimprovisation. Das Modul umfasst 18 Leistungspunkte (ECTS) und ist in fünf Teilmodule unterteilt.[2] Die Studierenden sammeln praktische Erfahrungen in der Anleitung von Gruppenimprovisation (1); in einem begleitenden Seminar erwerben sie Hintergrundwissen und reflektieren ihre Erfahrungen (2); sie bilden sich improvisatorisch auf ihrem Instrument weiter (3) und vertiefen ihr improvisationsbezogenes Repertoire im Bereich von Musik und Bewegung bzw. Elementarer Musikpädagogik (4); ergänzend befassen sie sich mit aktuellen theoretischen und praktischen Themen (5).
Die Lehrpraxis (1) findet derzeit vorwiegend im Rahmen des Projekts ImproKultur statt. Das Projekt, in dem seit 2015 Kinder und Jugendliche mit und ohne Zuwanderungsgeschichte gemeinsam musizieren, Musik erfinden und Ergebnisse ihrer Arbeit in Konzerten aufführen, ist eine Kooperation der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover mit verschiedenen Hannoveraner Schulen.[3] Wöchentlich findet improvisationsbasierte Musikpraxis à 90 Minuten in heterogenen Gruppen von zehn bis 16 SchülerInnen statt. Lehrende im Projekt sind neben Masterstudierenden auch ehemalige Studierende der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Im Teamteaching erhalten die Studierenden einen inspirierenden und zugleich geschützten Freiraum, um ihre Kompetenzen auszubauen.
Verbunden mit der Reflexion eigener Lehrerfahrungen werden im Begleitseminar (2) theoretische Grundlagen gelegt. Neben Themen wie Teamteaching oder didaktischem Know-how bei der Anleitung von Improvisation – auch hinsichtlich verschiedener Settings – geht es u. a. um Improvisation als Haltung, interdisziplinäre Ansätze zur Improvisation, relevante Literatur sowie künstlerische und wissenschaftliche Forschung zu musikalischer Improvisation.
Um Improvisationen motivierend initiieren und authentisch anleiten zu können, sind fundierte eigene improvisatorische Erfahrungen unabdingbar. Die Studierenden entwickeln im dritten Teilmodul ihre eigene improvisatorische Praxis unter Einbezug interdisziplinärer Aspekte weiter. Den Abschluss bildet eine eigene Performance.
In Teilmodul vier werden elementarpädagogische bzw. musik- und bewegungspädagogische Kompetenzen vermittelt. Es wird das Anleiten geübt und die Verknüpfung verschiedener Ausdrucksmedien wie Musik und Sprache oder Musik und Bewegung angeregt.
Souveränität und Flexibilität im Umgang mit speziellen Herausforderungen in der Improvisationspraxis werden im Vertiefungsmodul (5) gefördert. Zu Schwerpunktthemen gehören z.B. Classroom Management, Umgang mit Diversität, sprachsensibler Unterricht, Traumapädagogik, Improvisation und Digitalität, Improvisation mit großen Gruppen.
Insgesamt stellt die Zusatzqualifikation Improvisationspädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, künstlerische und pädagogische Haltungen und Kompetenzen in der Konzeption, Anleitung und Reflexion von Improvisation zu entwickeln und zu professionalisieren. Die Studierenden sammeln Erfahrungen mit einem produktiven, wertschätzenden Umgang mit Diversität. Sie lernen, einen geeigneten Rahmen für Improvisationspraxis zu schaffen, musikalische Improvisationsprozesse zu konzipieren und zu begleiten, die eigene künstlerisch-pädagogische Praxis im Kontext des aktuellen Fachdiskurses zu reflektieren und weiterzuentwickeln sowie das Phänomen der Emergenz zu nutzen. Nicht zuletzt werden sie befähigt, musikalische Improvisationspraktiken vielfältig in ihre beruflichen Aktivitäten zu integrieren.
[1] Bertram, Georg W./Rüsenberg, Michael: Improvisieren! Lob der Ungewissheit, Ditzingen 2021, S. 7.
[2] siehe die Studien- und Prüfungsordnung des Masterstudiengangs Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung unter https://www.hmtm-hannover.de/de/bewerbung/studienangebote/kuenstlerisch-paedagogische-ausbildung-mmus (Stand: 28.08.2023). Die Zusatzqualifikation ist Modul 8 in der Studienrichtung Instrumentalpädagogik, Modul 9 in der Studienrichtung Chor- und Ensembleleitung.
[3] siehe auch https://www.hmtm-hannover.de/de/hochschule/kooperationen/interkulturalitaet/improkultur (Stand: 28.08.2023).