Arendt, Gerd
Instrumentalunterricht für alle?
Zur langfristigen Relevanz des Klassenmusizierens und der Notwendigkeit einer Reform des Musikunterrichts
Mit Band 91 der Reihe „Forum Musikpädagogik“ der Augsburger Schriften legt Gerd Arendt seine Dissertation an der Universität Köln vor. Sein Untersuchungsgegenstand, dem Arendt sich sowohl theoretisch als auch empirisch nähert, ist das Klassenmusizieren, das der Autor verdienstvollerweise gegen den Begriff des „Musizierens im Klassenverband“ abgrenzt, womit er der Gefahr entgeht, sich im gegenwärtigen diffusen Gebrauch dieser Termini zu verstricken. Arendt konkretisiert sein Vorhaben an Streicherklassen und führt dazu u. a. eine Befragung von 76 SchülerInnen der Klassenstufen 9, 10 und 13 eines Gymnasiums durch. Ein weiteres empirisches Instrument sind Interviews mit acht ehemaligen Schülern im Alter zwischen 20 und 25 Jahren.
Arendt erörtert in seiner Veröffentlichung nicht nur den derzeitigen fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand, sondern setzt sich auch kenntnisreich mit untersuchungsmethodischen Fragen auseinander. Der Autor entscheidet sich begründet und nachvollziehbar für seine Vorgehensweise und legitimiert so den Gültigkeitsanspruch seiner Untersuchungsergebnisse. Er spricht vom „gelungenen inneren Versuchsaufbau“ als wichtigem Kriterium für die Plausibilität der Methodenwahl.
Die von Arendt formulierten Ergebnisse seiner Untersuchung sind vor allem in den Punkten interessant und zum Teil überraschend, in denen er nahe liegende Thesen falsifiziert. So ergibt sich etwa, dass das Klassenmusizieren nicht für die spätere Berufswahl entscheidend ist, dass die Pubertät nicht der entscheidende Faktor bei Brüchen in der musikalischen Biografie ist oder dass das Klassenmusizieren die Scheu vor Auftritten nicht mindert. Was es aber auf jeden Fall leistet, ist z. B. ein verbessertes Sozialklima zu schaffen oder die Funktion einer Initialzündung zu erfüllen, von der die weitere musikalische Entwicklung abhängt.
Diese Rezension bietet nicht den Raum, alle Ergebnisse des Autors zu referieren. Auch seine am Ende formulierten Konsequenzen für die Fachdidaktik können hier nur kurz gestreift werden, z. B. die Forderung nach Entwicklung fachdidaktischer Konzepte auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung oder die Idee einer „Agenda zur Förderung individueller Instrumentalleistungen“ im Zusammenhang mit der Frage der Individualisierung von Lernprozessen.
Wer sich intensiver mit dem Klassenmusizieren auseinandersetzen und seine eigene Praxis theoretisch gespiegelt wissen möchte, sollte die Veröffentlichung von Gerd Arendt unbedingt lesen. Sie ist, obwohl sie als Dissertation naturgemäß mit vielen Tabellen und „trockenem“ statistischen Material aufwarten muss, erstaunlich gut lesbar und verständlich geschrieben, wofür dem Autor besonders zu danken ist.
Wolfgang Koperski