Bossen, Anja

Integrationskurse für Deutsche?

Kommentar

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 01

Ich stehe an einer „Brennpunktschule“ inmitten einer Lerngruppe aus neunzehn Zweitklässlern deutscher Herkunft und fünf Flüchtlingskindern und versuche, der Gruppe ein Lied über den Biber beizubringen. Die Kinder hatten zuvor ein Naturkundemuseum besucht und sich dabei vor allem mit dem Biber und dessen Lebensraum befasst. Die Musik soll nun ein zusätzlicher Zugang zum Thema sein. Aber: Die Kinder singen einfach nicht. Offenbar haben sie keine Singerfahrung oder keinen Spaß am Singen. Als nächstes versuche ich es mit der Umsetzung in Bewegung zur CD, denn auch die Fortbewegungsarten der Tiere waren Thema des Unterrichts und das Lied war zuvor mehrfach gehört und über dessen Text ausführlich gesprochen worden.

Ich bitte die Kinder, sich im Kreis aufzustellen. Die Flüchtlingskinder stellen sich auf, die deutschen Kinder schauen in die Gegend. Bis alle in einem Kreis stehen, vergehen fünf Minuten. Nun sage ich unter Vermeidung der Worte „rechts“ und „links“ an, dass wir zur Musik „so herum zum Fluss“ gehen, und zeige dabei in die entsprechende Richtung. Die Flüchtlingskinder gehen los, die deutschen Kinder verstehen nicht, was sie tun sollen. Also fasse ich meine beiden Nachbarn an den Händen und bitte alle, sich ebenfalls anzufassen. Sehr, sehr langsam setzt sich der Kreis in Bewegung, wobei einige der deutschen Kinder zunächst in die falsche Richtung gehen.

Weitere Aktionen, z. B. sich klein machen und in eine imaginäre Biberburg hinein gehen, scheitern am allgemeinen Unverständnis. Die Flüchtlingskinder haben deutlich weniger Probleme und schauen zusätzlich bei mir ab, was ich vormache. Die deutschen Kinder blicken verständnislos und verlieren die Lust. Zwei deutsche Jungen sagen, sie wollten sich jetzt lieber hinsetzen und gar nichts machen. Als ich mit den Kindern noch eine simple Begleitung mit einfachen Rhythmusinstrumenten einübe, zeigen sie dann aber doch Interesse. Allerdings wollen sie vor allem eins: Lärm erzeugen. Die fünf Flüchtlingskinder, vier davon Jungen, stürzen sich hingegen förmlich auf die Instrumente und sind auch in der Lage, sie an den dafür vorgesehenen Zählzeiten zum Klingen zu bringen.

Nach dieser Stunde ist mir mehr denn je klar: Die Trennung verläuft nicht zwischen Flüchtlingskindern und deutschen Kindern, sondern zwischen „oben“ und „unten“. Und diese Kluft scheint immer breiter zu werden. Wer spricht eigentlich von Integ­rationskursen für deutsche Eltern?